Nachruf auf US-Autor Philip Roth: Er war nicht allen geheuer

Seine Figuren umtrieb ein Wunsch: Ein Leben, das von anderen unbeurteilt bleibt. Philip Roth war ein Großer, dem die größte Huldigung verwehrt blieb.

US-Autor Philip Roth

Klar, man konnte von seinen Beschreibungen, vom Lecken, Kauen, Kotzen, auch mal genug haben. Philip Roth im Jahr 2006 Foto: Imago/Zuma Press

Verräter, Antisemit, zionistischer Agent, jüdischer Selbsthasser, Dilettant, Voyeur, geiler Bock – der dritte Roman des damals 36-jährigen Autor Philip Roth bescherte ihm ein Image, das er zeit seines Schreibens nie wieder ganz los wurde.

Eine Fernsehmoderatorin kündigte damals an, ihn in ihre TV-Show einzuladen, ihm aber nicht die Hand zu geben. Die Tschechoslowakei erteilte ihm Einreiseverbot. Kritiker wie Gershom Scholem oder auch Marcel Reich Ranicki warfen ihm damals vor, Rechtfertigungen für die antisemitische Wahnvorstellung zu liefern. „Ich habe ein paar Witze über Piepelspielchen in Newark gerissen, aber man könnte glauben, ich hätte die Knesset in die Luft gesprengt“, kommentierte Roth Jahre später die Aufregung über sein Buch „Portnoys Beschwerden“ von 1969.

Es sollte sein größter Erfolg werden: Die Bekenntnisse des in die Leber fürs Abendessen onanierenden Alexander Portnoy wurden über sechs Millionen Mal gekauft. Der jugendliche Titelheld erzählt darin in einem grotesken Monolog seinem Analytiker von seinen nicht zu unterdrückenden sexuellen Begierden. Portnoy glaubt, dass diese eine Folge seines Kampfes mit den Regeln seiner jüdisch-amerikanischen Familie und der Emanzipation von seiner übersorgsamen Mutter sind.

Es ist der Kampf gegen all die Projektionen auf den Juden, von außen wie von innen. Die amerikanisch-jüdische Mittelklasse, die mit ihrer zwar spezifischen Geschichte sich in Kleingeist und Borniertheit von christlichen Mittelklassefamilien aber kaum unterscheidend, in den Mittelpunkt einer Geschichte zu stellen, in denen der jüdische Protagonist kein bemitleidenswertes Opfer oder eine rettende Erlöserfigur ist, sondern ein vor Selbstmitleid und Anklage zerbeultes Wrack, das hatte sich nach der Shoah bislang kein namhafter Autor getraut. Und das in den 60er Jahren! Statt sich mit dem Vietnamkrieg zu beschäftigen, schrieb Roth über Haarausfall und einen wichsenden jüdischen Jungen mit Identitätskonflikt.

Viel onanieren

So wie „Portnoys Beschwerden“ spielen die meisten von Roths Romanen in Newark, New Jersey, wo er geboren ist. Und so wie die meisten seiner Romane ist auch Portnoy in einer Mischung aus Parodie, Burleske, Slapstick, Lächerlichkeit, Beleidigung, Schmähung, Spott, Frivolität sowie den Methoden und Mustern der Komödie verfasst. Und so wie bei Portnoy zieht sich durch sämtliche Figuren von Roths Romanen immer nur der eine Wunsch: ein Leben zu führen, das von anderen oder von ihm selbst nicht beurteilt wird. Ein Leben, das eine Protagonistin in „Die Anatomiestunde“ so schildert: „Viel malen. Viel im Garten arbeiten. Viel onanieren.“

„Der menschliche Makel“, Roman (deutsche Erstausgabe 2002): Das Werk schließt eine Trilogie ab, in der Roth den Zustand der US-Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts thematisiert.

„Amerikanisches Idyll“, Roman (1998): Erzählt wird die Geschichte von emigrierten osteuropäischen Juden und deren Integration in die amerikanische Gesellschaft.

„Portnoys Beschwerden“, Roman (1970): Das Kultbuch handelt von der Beichte eines sexbesessenen jüdischen Intellektuellen auf der Couch seines Psychiaters.

„Der Ghost Writer“ (1980), „Zuckermans Befreiung“ (1982), „Die Anatomiestunde“ (1986), Roman-Trilogie: Im Mittelpunkt steht Nathan Zuckerman, Roths Alter Ego, der seine Karriere als junger, vielversprechender amerikanisch-jüdischer Autor beginnt. Schließlich gerät er aber in eine schwere berufliche und persönliche Krise. (dpa)

Auch wenn Roth seit etlichen Jahren zu den wichtigsten US-Schriftstellern des 20. Jahrhunderts gezählt wird und immer wieder für den Nobelpreis gehandelt wurde – so richtig umschwärmt wurde er, vor allem in Europa, nie so richtig leidenschaftlich. Marcel Reich-Ranicki hielt ihn für einen Dampfplauderer, aber auch in den USA war er gerade am Anfang seiner Karriere nicht allen geheuer. Roths Image als sonderbarer, zwielichtiger, menschenscheuer, wenn auch äußerst talentierter Autor blieb. Und das, obwohl er sich mit Journalisten traf und Interviews gab und immer wieder auf charmante Weise erläuterte, dass er selbst, Mr. Roth, nicht identisch sei mit den Mistern, die er als Autor in seinen Romanen beschrieb.

Früher war er mal witzig, im Alter wurde er ernst – so in etwa beurteilen seit Jahren die Kritiker sein Werk. Dass es falsch sei, seine Arbeiten in komisches Früh- und melancholisch-moralisches Spätwerk zu unterscheiden, hatte der Autor allerdings schon in einem Interview mit der Schriftstellerin Joyce Carol Oates 1974 klargestellt: „Meine engsten Freunde waren schon immer die pure Heiterkeit und das Todernste“.

Zwar bilden in seinem Spätwerk sowohl in der Trilogie, „Amerikanisches Idyll“ (1997), „Mein Mann, der Kommunist“ (1998) und „Der menschliche Makel“ (2000) als auch in „Verschwörung gegen Amerika“ (2004) tatsächlich politische Ereignisse – der Vietnamkrieg, die McCarthy-Zeit, akademische Debatten um Politcal Correctness – den Rahmen der Erzählungen. Die Inspektion der Konflikte des Egos bleiben trotzdem Roths Thema. Und das geht bei ihm gar nicht ohne Slapstick, denn die Probleme des Egos sind nun mal ein einziger Slapstick. Wer sie zu ernst nimmt, läuft Gefahr sie nicht zu überleben.

„Was werden die Leute dazu sagen?“

Ohne Rücksicht auf Opferstatus, Gruppen-, Klassen- oder Geschlechterzugehörigkeit war sein Schreiben darum bemüht, so genau wie möglich zu inspizieren, was uns so quält, wenn wir glauben, mit uns alleine zu sein. Denn wir sind es ja nie. Immer sitzt irgendein drohendes Urteil neben uns und mahnt: „Was werden die Leute dazu sagen?“ oder „Was werden die Leute über dich denken?“ Sein Interesse galt den tabuisierten Konflikten und Kämpfen der Individuen, die jenseits der großen Erzählungen von Krieg und Kapitalismus geführt, aber den Alltag, die Geschichte, die Handlung, das Denken, das Welt- und Lebensgefühl des Einzelnen bestimmen und in vielen Fällen bei der Sexualität anfangen und enden.

Von so einem Autor könnte man erwarten, dass ihm der Aufruhr um seine Autorenschaft nur Recht gewesen sei, schließlich wäre es kein Tabubruch, bliebe die Empörung aus. Doch Roth ging die Kritik an seinem Portnoy sehr wohl nahe. Für die deutsche Ausgabe schrieb er sogar ein Vorwort, in dem er sich vor etwaigem Missbrauch der Geschichte verwahrte: Es handle nicht von Menschen, die in einem totalitären System wie Tiere behandelt werden, sondern von Menschen, die man in einer freien Republik wie Menschen behandelt.

1979 nimmt er sich dann aber doch eine Figur vor, die direkt von der Shoah betroffen war: In „The Ghostwriter“ hat Anne Frank die Nazis überlebt und ist nun Schriftstellerin, die um Anerkennung als Künstlerin kämpfen muss.“ „Einmal werden wir auch wieder Menschen und nicht bloß Juden sein“, sagt sie, weil sie als Autorin immer auf ihre persönliche Geschichte reduziert wird. „Geschmacklos“ lautete das Urteil der Kritiker. Aber wie Recht hatte Roth schon damals, dass die obsessive Beschäftigung und Vermarktung der auf dem Foto immer lächelnden Anne Frank vor allem zur eigenen Erbauung und Bändigung des Schreckens diente.

Als der mittlerweile auf die 70 zugehende Philip Roth zunehmend ältere Männer in den Fokus seiner Erzählungen stellt, wird er dem Publikum noch suspekter. Viele sehen jetzt nur noch Altherrenerotik. Roth gilt als alter Sack. Warum aber sollte ein alter Herr, der als junger Mann über die Illusionen, Begierden, Frivolitäten und Perversionen junger Männer geschrieben hatte, nicht über die Illusionen, Begierden, Frivolitäten und Perversionen alter Männer schreiben? Und so unangenehm die Lektüre sein mag, so nah kommt sie den Psychen der weißen, alten Männer.

Freilich, man konnte von Roths Beschreibungen, vom Lecken, Kauen, Kotzen, Pinkeln, Ejakulieren, Aussscheiden, Verstopfen, auch irgendwann genug haben. Aber Philip Roth war und blieb einer, der das Unangenehme beschrieb und damit nie ganz verdaubar war. Und genau dieses Unverdaubare machte ihn als Autor so interessant, so gut und so groß.

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