Nachrichten von 1914 – 4. Juli: Berliner Asphalt bei 54 Grad

Die Straßenbeläge in Berlin leiden unter der direkten Sonneneinstrahlung. In mancher Wohnstraße werden Pferdehufe und Wagenräder ihre Spuren hinterlassen.

Unerträgliche Hitze im Frühsommer 1914 in Berlin. Bild: getty

Wer heute bei einer Temperatur, die in der direkten Sonnenstrahlung an der Leipziger Straße schon ½ 12 Uhr bis auf 54 Grad Celsius stieg, durch die Straßen ging, konnte wahrnehmen, dass der Fuß besonders auf den mit künstlichem Asphalt ausgelegten Decken der Schächte für die Telephon- und Telegraphenkabel sich in die weiche schwarze Masse leicht eindrückte. Das gleiche zeigt sich in so mancher Wohnstraße, wo in der schwarzen Oberschicht die Pferdehufe und Wagenräder ihre Spuren hinterlassen.

Diese Erscheinungen veranlassten unseren K.-Mitarbeiter, an maßgebender Stelle sich zu informieren, welche Erfahrungen man in Berlin mit der Asphaltdecke der Straßen im allgemeinen gemacht hat. Man muss doch bedenken, dass Asphalt zu unserer Zeit in den deutschen Städten das für die obere Straßendecke am meisten verwendete Material geworden ist und dass ganz besonders Groß-Berlin vorwiegend viel Asphaltstraßen aufzuweisen hat.

An der Spitze steht dabei das eigentliche Berlin. Von seinen (1911) rund 6,8 Millionen Quadratmetern Straßenoberfläche sind rund 45 Prozent oder etwa 3 Millionen Quadratmeter mit Asphalt belegt. Charlottenburg hat von etwa 1 670 000 Quadratmetern Straßenfläche rund 1 Million oder 64 Prozent Asphalt. Wilmersdorf von rund 800 000 Quadratmetern 54 Prozent oder 430 000, Schöneberg von 722 000 61 Prozent oder 440 000 Quadratmeter. Neukölln von circa 800 000 Quadratmetern Straße 17 Prozent oder 126 000 Quadratmeter Asphalt.

Anfänglich ergaben sich so manche Schwierigkeiten bei der Verwendung des Asphalts. Nicht nur war er oft bröcklig und brüchig, er zeigte amtlich im Sommer unter der Einwirkung der großen Wärme das Bestreben, weich zu werden, so dass die Pferdehufe und Wagenräder sich eindrückten, die ganze Decke sich schob oder in Wellen legte. Diese Nachteile hat heute nur ab und zu noch der künstliche Asphalt, während man in der Zurichtung des natürlichen Asphalts so weit vorgeschritten ist, dass auch verhältnismäßig hohe Sommertemperaturen im allgemeinen keinen wesentlich nachteiligen Einfluss mehr ausüben.

aera online ist die Simulation einer Live-Berichterstattung aus dem Jahr 1914. Das Magazin veröffentlicht Nachrichten, die auf den Tag genau vor hundert Jahren von den Menschen in Deutschland in ihren Zeitungen gelesen wurden. Drei historische Zeitungen wurden aus den Archiven gehoben und ausgewertet. Die Texte sind im Wortlaut erhalten, Überschriften und Kurz-Zusammenfassungen wurden teilweise modernen Lesegewohnheiten angepasst.

Das Projekt ist eine Kooperation der zero one film und der Leuphana Universität Lüneburg. taz.de kooperiert mit dem Magazin und veröffentlicht jeden Tag ausgewählte Nachrichten von 1914. Das gesamte aera online Magazin finden Sie hier.

In Berlin selbst wird daher auch zum weitaus überwiegenden Teil nur natürlicher Asphalt verwendet und lediglich in stillen, verkehrsarmen Wohnstraßen kommt künstlicher Asphalt in Gebrauch, aus besonderen, noch zu erwähnenden Gründen.

Der in Berlin liegende Asphalt stammt aus Bal de Travers im schweizerischen Kanton Reuenburg, ferner aus Ragusa aus Sizilien, aber auch aus Deutschland und zwar aus der Gegend von Borwohle im Braunschweigischen und Limmer in Hannover. Meist haben sich bestimmte Firmen die einzelnen Lager gesichert und die Stadt Berlin hat mich nicht weniger als neun solchen Firmen feste Verträge. Diese Verträge, die ausnahmslos auf einen festen Preis von 12,50 Mark pro Quadratmeter Asphaltdecke beruhen, bedingen eine fünfjährige unentgeltliche Unterhaltungszeit aus; vom 6. bis 20. Jhre erhalten dann die Firmen für die Pflicht der Unterhaltung der Decke 50 Pfennig pro Quadratmeter und Jahr.

Der Asphalt – es ist ein mit Bitumen getränkter Kalkstein – ist zunächst in der Form, wie er in Brüchen gewonnen wird, noch nicht gebrauchsfähig. Das rohe Material wird zuerst nach seinem recht verschiedenen Bitumengehalt sortiert, dann gewaschen, dann gemahlen. Dieses Produkt wird auf Darren erhitzt bis auf 105 bis 110 Grad Celsius und nun möglichst in dieser Temperatur gehalten, bis es auf der Baustelle zur Verwendung gelangt. Auf der eigentlich tragenden Unterlage, einer 20 Zentimeter starken Betonschicht, wird es in entsprechender Stärke ausgebreitet und mit kleinen erwärmten Stampfen festgestampft. Wird das Asphaltmehl zu abgekühlt verwendet, so wird es schalig und pulverig; ist es zu heiß, dann verbindet es sich nicht mit der Unterlage.

Von großer Wichtigkeit für die Haltbarkeit der Asphaltdecke ist ihr Gehalt an Bitumen, das Heißt an Rohölstoffen, die das Produkt von Erdölen (Petroleum) sind und wohl von vorweltlichen Tierresten stammen. Hinsichtlich dieses Bitumengehalts haben die sorgfältigen Untersuchungen und Ersuche stattgefunden, und ganz besonders Berlin steht mit diesen Untersuchungen und ihren ausgezeichneten Ergebnissen wohl mit an der Söitze großer Gemeinwesen. Jedenfalls hält sich die Asphaltdecke hier besser als in den meisten anderen Städten, so dass unsere Metropole mit ihren Asphaltstraßen auch von Fachleuten als musterhaft bezeichnet wird.

Ist der Bitumengehalt zu gering, so backt der Asphalt nicht, ist er zu groß, dann „schiebt“ die Asphaltdecke und sie wird weich unter der Hitze. Um guten Asphalt zu geben, muss der Kalkstein einen Bitumengehalt von 8 – 10 Prozent aufweisen, je nach den sonstigen Eigenschaften des Steins. Zu magerer Asphalt muss durch Zuführung von Petroleumrückständen künstlich angereichert, zu bituminöser mit magerem vermischt werden.

Die mit natürlichem Asphalt hergestellten Straßen haben die Eigentümlichkeit, unter dem Verkehr, unter dem Druck der darüber hin bewegten Massen besser, fester zu werden, während in stillen, unbenutzten Straßen die Decke verrottet, bröcklig, mürbe wird. Aus diesem Grunde verwendet man in solchen Straßen den aus Petroleum- und Teerrückständen hergestellten künstlichen Asphalt, der für starken Verkehr nicht widerstandsfähig genug, aber zäh ist und sich in den stillen Wohnstraßen gut bewährt.

Der künstliche Asphalt wird in hoher Temperatur gegossen und gestrichen, natürlich auch auf der üblichen Betonunterlage. Die Temperaturen sind natürlich auf den Asphalt von wesentlichem Einfluss. Kälte schadet ihm meist nur dann, wenn in poröse Schichten Wasser eindringt, dieses gefriert und dabei den Asphalt zermürbt. Von größerer Wichtigkeit ist die Sommerwärme und besonders die direkte Sonnenbestrahlung, namentlich da der Asphalt die Wärme aufsaugt, so dass er nicht selten eine bis zu 15 Grad höhere Eigenwärme aufweist als die Luft oder die sonstige Umgebung. Ist nun der Bitumengehalt genau und sorgfältig ausgeglichen, so widersteht die Decke den Einwirkungen der Wärme, ohne dass sich Pferdehufe oder Wagenräder, selbst von sehr schweren Wagen, eindrücken können.

Ist der Asphalt zu bituminös, so wird er mehr oder minder zu weich, er „schiebt“ und wird wellig. Es muss daher darauf geachtet werden, dass der Bitumengehalt mit der sorgfältigsten Genauigkeit eingehalten wird, und nur fortlaufende spezielle Untersuchungen und Beobachtungen haben in Berlin das schon erwähnte gute Halten der Asphaltstraßen ermöglicht. Eine gewisse obere Temperaturgrenze ist durch die Tatsache gegeben, dass das Bitumen an sich bis zu einer Temperatur von 52 Grad zäh und fest bleibt, dann aber weich wird.

Quelle: Berliner Tagblatt

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