Nach Einführung des Mindestlohns: Mindestens passabel

Der Mindestlohn wird 100 Tage alt. Viele Beschäftigte verdienen besser, wenige verlieren ihre Jobs. Und einige Unternehmen versuchen zu tricksen.

In der Gastronomie verändert der Mindestlohn etwas. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles schaut sich das lieber mal an. Bild: dpa

BERLIN taz | Der neue Mindestlohn in Deutschland ist erfolgreich – darüber sind sich viele KennerInnen des Arbeitsmarktes einig. „Ja, der Mindestlohn setzt sich durch“, sagt beispielsweise Reinhard Bispinck von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Schleswig-Holsteins Arbeitsminister Reinhard Meyer (SPD) sieht es ähnlich.

8,50 Euro pro Stunde – so viel sollen nun alle ArbeitnehmerInnen erhalten, von Ausnahmen abgesehen. Am 1. Januar trat das Gesetz in Kraft. Die ersten 100 Tage sind vorbei. Doch eine Bilanz ist schwierig zu ziehen. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls kontrolliert die Firmen zwar, hat aber noch keine Statistik aufgestellt. Die Erfolgsmeldungen können daher nur auf Indizien beruhen.

Rund 3,7 Millionen Beschäftigte, die bisher weniger als 8,50 Euro bekamen, profitieren laut Bundesarbeitsministerium von der neuen Lohnuntergrenze. Ihre Löhne sollen steigen. Tun sie das nicht, stehen den Betroffenen Telefonhotlines beim Ministerium und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zur Verfügung. Doch die Beschwerden dort halten sich in Grenzen. Gut 9.000 Leute hätten seit Januar angerufen, sagt eine Sprecherin des DGB – die meisten um sich zu informieren. Der Anteil der Beschwerden im Verhältnis zu den 3,7 Millionen liegt bei weniger als 0,1 Prozent. In einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des DGB sagten 3 Prozent der Befragten, ihnen werde der Mindestlohn vorenthalten.

Trotzdem müsse sich vieles „zurechtruckeln“, so Bispinck. Manche Betriebe verhandeln mit ihren Beschäftigten noch über die neuen Arbeitsverträge. Und die Kontrolleure des Zolls drücken ein Auge zu. Jetzt ermahnt man sie nur, erst bei der nächsten Prüfung wird es ernst. Viele Fälle, in denen der Mindestlohn umgangen wird, entdeckt der Zoll auf Baustellen, im Taxigewerbe und in der Fleischindustrie.

Unternehmen suchen und finden Schlupflöcher. So bekommen ArbeitnehmerInnen etwa neue Verträge mit gleicher Bezahlung wie vorher, aber niedrigerer Arbeitszeit. Nur auf dem Papier steigt die Bezahlung auf 8,50 Euro. Dies ist der Hintergrund des Streits über die sogenannte Dokumentationspflicht. Um Täuschungen zu erschweren, müssen die Unternehmen den Beginn und das Ende der Arbeitszeit, die Stundenzahl und die Entlohnung der Beschäftigten erfassen. Während Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und der DGB daran festhalten wollen, kritisieren CSU und Wirtschaftsverbände die vermeintlich überflüssige Bürokratie.

150.000 Minijobs weniger

Auch zu einem anderen beliebten Streitpunkt fehlen Daten: Führt der Mindestlohn dazu, dass hunderttausende Arbeitsplätze verlorengehen? Auf bis zu 900.000 hat der Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn die möglichen Jobverluste beziffert. Begründung: Wenn die Arbeitnehmer zu teuer werden, schmeißen die Unternehmen sie raus.

Die Minijobzentrale in Essen, bei der geringfügig Beschäftigte unter anderem in Privathaushalten angemeldet sind, registrierte im Januar dieses Jahres rund 150.000 Minijobs weniger als saisonal üblich. „Ein Zusammenhang zum Mindestlohn ist zu vermuten“, aber nicht nachweisbar, heißt es. Unklar sei, ob die Minijobs einfach wegfallen, die Tätigkeiten in die Schwarzarbeit abwandern oder die ArbeitnehmerInnen bessere, komplett sozialversicherungspflichtige Stellen bekommen.

Belege für Jobverluste gibt es auch in anderen Branchen – allerdings nur in Form von Einzelbeispielen, systematische Untersuchungen fehlen. So werden Taxifahrer entlassen, die nicht die 8,50 Euro erwirtschaften. Manche Betreiber von Hotels und Gaststätten reduzieren ihr Angebot, um auf die teureren Niedriglöhner verzichten zu können. Ingesamt seien die Auswirkungen des Mindestlohns für die Zahl der Arbeitsplätze aber nicht dingfest zu machen, sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Es würden sich zu viele Entwicklungen überlagern, um eine davon isolieren zu können.

Angesichts der allgemeinen Lage am Arbeitsmarkt muss man sich jedoch keine Sorgen machen: Die Arbeitslosigkeit geht zurück. „6,4 Prozent liegen nahe an der Vollbeschäftigung“, heißt es beim DIW. Und die Zahl der Stellen wird wohl weiter zunehmen. Das bedeutet: Sollte der Mindestlohn Jobs kosten, gleicht die positive Wirtschaftsentwicklung diesen Verlust mehr als aus. Die Arbeit zu verlieren ist hart. Aber eine neue zu finden, war lange nicht so einfach wie heute.

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