Muslimische Zivilgesellschaft: Ausgegrenzte Helden

Fast jeder zweite muslimische Mensch hilft Geflüchteten. Gesellschaftliches Misstrauen erschwert das Engagement.

Rückenansicht von zwei am Ufer sitzenden jungen Frauen

Muslimische Menschen werden selbst dann noch diskriminiert, wenn sie anderen helfen Foto: michaelheld/photocase.de

BERLIN taz | Während sie zum ersten Mal zusammen beteten, räumte Davids Katze Kasems Rucksack aus. Nach dem Gebet musste Kasem los. Die beiden jungen Männer verabredeten sich noch zum Konsolespielen. Dann saß David allein in seiner Einzimmerwohnung und dachte über Vorurteile nach.

David betreut als Mentor den Geflüchteten Kasem. So wie viele Mentor*innen des Wegweiser-Programms studiert er noch. Organisiert wird es von Inssan, einem Verein junger Leute aus verschiedenen Berliner Moscheen. Wegweiser habe „trotzdem ein gutes Image“, sagt Projektleiterin Natalia Loinaz. „Weil wir nicht so offensiv als muslimische Organisation wahrgenommen werden.“

Das „trotzdem“ der Helferin ist begründet. Vorurteile behindern viele muslimische Hilfsorganisationen. Die Ankömmlinge würden nicht in die Gesellschaft integriert, sondern bloß in muslimische Gemeinden, lautet eines. Sie radikalisierten Geflüchtete, ein anderes. Diese Annahme sei „haltlos“, kommentiert nun die Bertelsmann Stiftung. „Allenfalls bei ein bis zwei Prozent der Helfer kann von einer Absicht, Geflüchtete zu radikalisieren, gesprochen werden.“

Die Stiftung veröffentlichte am Montag ihren aktuellen Religionsmonitor. Ein Ergebnis der Studie: 44 Prozent der muslimischen, 21 Prozent der christlichen und 17 Prozent der konfessionslosen Befragten in Westeuropa gaben an zu helfen.

„Mit uns fühlen die sich wohler“

Fast jeder zweite muslimische Mensch engagiert sich also in der Geflüchtetenhilfe. Auch rund die Hälfte der Ankommenden ist muslimisch. „Durch ihre eigenen Integrationserfahrungen und ihre demokratischen Kompetenzen können engagierte Muslime in der Flüchtlingshilfe ein Vorbild sein“, bekundet die Bertelsmann Stiftung. Wegweiser-Projektleiterin Loinaz formuliert ihren Eindruck so: „Mit uns fühlen die sich wohler.“

Die Gemeinde der Hamburger Al-Nour-Moschee war weder von Wohlfühlüberlegungen noch von Radikalisierungsplänen motiviert. Im Sommer 2014 kamen Helfer*innen vom nahen Hauptbahnhof in die Moschee und fragten, ob die neuen Ankömmlinge im Gebetsraum schlafen könnten. So wurde die Moschee ungeplant zu einer Notunterkunft für Hunderte und blieb es über Monate.

Fast jeder zweite muslimische Mensch engagiert sich in der Geflüchtetenhilfe

Die Gemeinde fühlte sich damals von der Stadt alleingelassen. Statt Geld schien die Verwaltung ihnen eher Misstrauen entgegenzubringen. „Die Arbeit muslimischer Gemeinden in der Flüchtlingshilfe wird von der Gesellschaft mit äußerstem Misstrauen beobachtet“, sagte etwa Migrationsforscher Werner Schiffauer der dpa.

Stundenlange Diskussion über Öffentlichkeitsarbeit

„Alles, was negativ ist, wird in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Was wir sonst noch machen, kriegt niemand mit“, sagt Loinaz. Deshalb organisiert sie seit letztem Jahr regelmäßig Treffen muslimischer Helfer*innen. Sie veranstaltete auch eine Pressekonferenz. Bloß kam die Presse nicht.

Das Thema des zweiten Netzwerktreffens war daher Öffentlichkeitsarbeit. Acht Männer und sechs Frauen saßen an einem Samstag im Februar im Kreis. Sie vertraten allesamt Organisationen, die mit Geflüchteten arbeiten, etwa ein Pflegeheim, eine Stadtratsfraktion, ein Psychologenverband, Moscheen und Islamverbände. Stundenlang diskutierten sie „Synergien“ und „Strukturen“, wie man auf Zeitungen zugeht – und warum eigentlich kaum jemand die Facebookgruppe muslimischer Hilfsorganisationen geliked hat.

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