Musealisierung des Alltags: Krempel aus der Zwischenwelt

Was wir aufbewahren, auch wenn ihm sein Zweck abhanden kommt: Eine Ausstellung in Oldenburg widmet sich allem, was übrig bleibt.

Dinge, die man ausrangiert, aber dann doch nicht verschrottet, wie ein verschmiertes Waffeleisen. Bild: Ossietzky-Uni

Wohl jeder hat zu Hause so ein Ding, das irgendwo herumsteht oder liegt. So ein Ding, das irgendwann einmal bei irgendetwas übrig geblieben ist und das man deshalb in Ehren hält. Oder das man einfach nur noch nicht weggeworfen hat. Ein Kleidungsstück aus ferner Jugendzeit vielleicht, das nie, nie wieder passen wird, man weiß es ja selbst und macht sich nichts vor, aber trennt sich trotzdem nicht davon. Die Muschel, die man an irgendeinem Strand aufgelesen und – im Gegensatz zu anderen Muscheln von anderen Stränden – behalten hat, weil jener Urlaub eben schöner war als andere. Oder ein hässliches Geschenk, übrig von der Hochzeitsfeier, das man behält, um es dem Schenker auf Nachfrage jederzeit vorweisen zu können.

Solchen Gegenständen widmen Studierende der Universität Oldenburg nun eine eigene Ausstellung: „Was übrig bleibt“ ist gewissermaßen das Gesellenstück der zehnköpfigen Gruppe, die sich für den Masterstudiengang „Museum und Ausstellung“ eingeschrieben hatte. Die erste Ausstellung, die die Studierenden selbstständig auf die Beine stellten, und vielleicht für lange Zeit die letzte, bei der sie so viele Freiheiten hatten.

Fünf Kategorien

„Alles, was übrig ist, kann Ausstellungsstück sein“, sagt Franziska Scholl, eine der Ausstellungsmacherinnen. Übrig ist, was in eine der fünf von der Gruppe festgelegten Kategorien passt: „Emotionsgeladen“, „Entbehrlich“, „Überholt“, „Überstanden“, „Verfehlt“. Es gäbe sicher noch andere, sagt Scholl. Diese Einteilung sei nicht in Stein gemeißelt, und das sei „ja auch das Spannende daran: Vielleicht sehen Besucher das ja ganz anders.“

Zunächst aber sind es diese fünf Kategorien, von denen sich die eine oder andere selbst erklären dürfte. „Emotionsgeladen“ ist etwa ein Top, von seiner Besitzerin nur einmal getragen, auf dem Geburtstag der Großmutter – die vier Tage später starb. „Überholt“ wiederum kann ein altes, aber noch funktionierendes Telefon sein – dessen Besitzer jetzt ein neueres, cooleres hat.

Die verlorene Funktion

Ein Objekt habe eine Funktion, erklärt Nora Spielvogel, die Sprecherin der Studierenden, die Sache mit dem Übrigsein: „Irgendwann verliert es diese Funktion.“ Bis es einer neuen zugeführt werden kann oder schlicht weggeworfen wird, existiere es in einer Art Zwischenwelt. In die gerate es manchmal auch rein zufällig: die Vase etwa, die die Bombardierung und Zerstörung eines Hauses unversehrt überstanden hat – nun in der Rubrik „Überstanden“.

Man ahnt es bereits: Es gibt viele, sehr viele Gegenstände, die in eine dieser Kategorien passen würden und also auch in diese Ausstellung. All die Dinge, von denen man immer hört oder selbst sagt, dass sie „zu schade zum Wegwerfen“ seien, dass man sie „noch mal brauchen“ könne, dass man sie „irgendwann wieder benutzen“ werde. Wie diesen komisch aussehenden Bauchmuskeltrainer, den man eines Tages verwenden wird, ganz ehrlich, bestimmt, wenn man halt mal Zeit hat. Und Muße.

In Anlehnung an ein zuletzt viel strapaziertes Bonmot könnte man fragen: Ist das übrig – oder kann das weg? Viele der gezeigten Dinge hätten irgendwann wegkommen können, auf die eine oder andere Weise. Sind sie aber nicht. Sie sind vielmehr gefangen in ihrem Zwischenwelt-Dasein, das sich definiert über das Festhaltenwollen, eine längst vergangene Sammelwut oder die bloße Ratlosigkeit ihrer Besitzer. Eine Lavalampe etwa ist dabei, die nur deshalb noch da ist, weil irgendwer nicht weiß, wie man sie korrekt entsorgen müsste.

Dort verläuft die Trennlinie zwischen „Übrigem“ und, nun ja, „Müll“. Ein Begriff, der nicht wenigen Besuchern durch den Kopf schießen wird, wenn sie das eine oder andere der Exponate betrachten. Aber die sind eben gerade nicht dort gelandet, im Müll, obwohl sie keinen Zweck mehr erfüllen, manchmal nicht einmal mehr den des bewusst aufbewahrten Erinnerungsstücks. Und das macht sie für die Oldenburger Gruppe zu Ausstellungsstücken, zu Exponaten, von denen jeder Betrachter sofort eines beisteuern könnte.

Auch die Macher müssen nicht lange überlegen, welche Dinge aus ihrem irdischen Besitz übrig sind. Für Franziska ist es ein T-Shirt, von Freunden vor einem mehrmonatigen Auslandsaufenthalt bemalt, nie getragen und auch nicht gewaschen: Franziska fürchtet, dass es die Farbe verlieren würde. Nora erzählt von einer Jacke in der Kruschtelkiste unter ihrem Bett, zurückgelassen von einem Exfreund – „Emotionsgeladen“. Dozentin Karen Ellwanger fällt ihre Sammlung altertümlicher Biografien ein, die ihr immer als Mahnung dienten, dass sie „so etwas nie machen soll“, sagt sie. Die – oder die roten Pumps einer alten Freundin.

Und nach der Ausstellung? Dann findet sich jedes einzelne Stück in genau derselben Situation wieder wie zuvor. Konfrontiert mit der Frage: Was tun mit dem Ding? Zurück in die Schublade, auf den Dachboden, in die Umzugskiste im Keller? Oder bekommt es einen Platz im Regal, auf dem Kaminsims, dem Beistelltisch? Oder geht es den Weg allen Irdischen – Flohmarkt, immer öfter Ebay. Oder doch bloß die Mülltonne?

Diese Unsicherheit, aber auch die reine Vielfalt der Objekte verleiht der Ausstellung ihre Spannung. Sie bedient sowohl den Faktor Nostalgie als auch den zum Fremdschämen, die ganze Palette von „Weißt du noch“ bis „Mein Gott, hat sich das wirklich wer in die Wohnung gestellt?“ Ein bisschen Zeitgeschichte hier, ein wenig Soziologie dort, garniert mit einer Prise Psychologie – eben solchem Schubladendenken aber verweigern sich die Exponate.

Lieb gewonnenes Scheusal

Die 50er-Jahre-Zimmeruhr mag mancher grässlich finden, für Leihgeber Carsten Schipke ist sie eine lieb gewonnene Erinnerung an „Opa Martin“, nicht einmal sein leiblicher Großvater, sondern ein freundlicher alter Mann aus der Nachbarschaft, der „mit über 90 Jahren noch in die Bäume geklettert ist, um Zweige abzusägen“. Als Opa Martin 96-jährig starb, half Schipke der Verwandtschaft bei der Auflösung des Haushalts, man ist seitdem miteinander befreundet. Und von Opa Martin sind Fotoalben übrig geblieben, Bücher, eine Urkunde von den Reichsjugendwettkämpfen 1930 – und eben die Uhr.

Es ist müßig anzumerken, dass jedes Objekt eine solche ganz eigene Geschichte hat – das trifft auf so ziemlich jedes Exponat in so ziemlich jeder Ausstellung dieser Welt zu. Die „übrigen“ Objekte von Oldenburg aber erzählen ihre Geschichte über die reine Provenienz hinaus. In wenigen Sätzen erfährt man den Hintergrund des Gezeigten, sei er rührend oder schräg.

Der Schachcomputer etwa, Marke „Mephisto“. Eine ältere Frau hatte ihn von Verwandten geschenkt bekommen, da sie gerne Schachspielen lernen wollte, aber dem rein männlich geprägten örtlichen Schachclub nicht beitreten durfte. Der Computer war ein gut gemeintes Präsent, mit dem die Frau aber nichts anfangen konnte: Ihr war es weniger um das Spiel selbst gegangen als um die sozialen Kontakte, die sie darüber zu knüpfen hoffte. Die Ausstellungsmacher fanden das Ding auf dem Flohmarkt, nun baumelt es von der Decke, neben geschmacklosen Snoopy-Figuren, die ebenfalls in die Kategorie „Verfehlt“ eingeordnet wurden.

Es war eine Idee, die ihnen spontan gekommen sei, sagen die Studierenden. Eine, die sofort funktionierte, weil „jeder sofort etwas damit anfangen kann“, sagt Nora. Und auch eine, die nicht starr festgelegt bleiben soll, denn die Macher wollen auch Rückmeldungen von den Besuchern haben, schließlich ist es ja ihre erste Ausstellung. Eine Reaktion hängt bereits an der Pinnwand im Ausstellungsraum: „Denn das, was übrig bleibt, ist meistens Gekotztes“, hat jemand geschrieben.

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