Mossul nach dem IS: Zwischendurch knallt's

Gesprengte Brücken und kein Benzin: Mossul ist zerstört, doch in Teilen der Stadt kehrt der Alltag zurück. Westlich des Tigris herrscht weiter Krieg.

Menschen laufen über eine eingestürzte Brücke

Zerstört, aber weiter in Benutzung: Passanten auf einer Brücke in Ost-Mossul Foto: dpa

MOSSUL taz | Auf Deutsch heißt Mossuls Saidadi-Al-Jamila-Platz „Platz der schönen eleganten Dame.“ Zwar ist die obere Hälfte eines der Häuser durch Artilleriebeschuss vollkommen zerstört. Vor dem Haus bietet ein Gemüsehändler aber schon wieder enthusiastisch seine Waren feil. Gegenüber schneidet ein Dönerverkäufer in einem ­Kebabrestaurant Fleischstücke vom Spieß. An der Einfahrt des Kreisverkehrs drängeln sich Autos.

Nach über zwei Jahren unter der Terrororganisation IS (Islamischer Staat) und nach vier Monaten Krieg fängt das normale Leben in der nordirakischen Metropole langsam wieder an. Zumindest am östlichen Ufer des Tigris. Auf der anderen Seite herrscht immer noch der IS.

„Die Befreiung von Ost­mossul ist abgeschlossen“, sagt Generalleutnant Abdel Wahab Al-Saedi, Kommandeur der Antiterroreinheit der irakischen Armee. „Wir wollen, dass die Zivilisten zurückkehren.“

Wenige Kilometer vom Kreisverkehr entfernt radelt ein junger Mann, eine Hand am Lenker, die andere hält einen Benzinkanister. „Ich versuche, Benzin zu organisieren, denn es gibt keinen Treibstoff. Wir sind ein Öl produzierendes Land, aber es gibt hier kein Öl“, klagt Ali ­Nejem. Der Student ist glücklich, den IS losgeworden zu sein – „aber es fehlt der Regierung an Ernsthaftigkeit, die Menschen schnell wieder zu einem normalen Leben zu bringen“, sagt er.

Menschen stehen um einen Gemüsestand

Einkaufen nach dem Krieg: Marktstand in Ost-Mossul Anfang Februar Foto: reuters

Ali Nejem deutet auf eine Autobrücke hinter ihm, deren Mittelteil eingestürzt ist: vom IS in die Luft gejagt. „Wir sind hier schon einen Monat befreit, aber es tut sich nichts“, meint er. Ob er nicht etwas ungeduldig ist? Schließlich geht der Krieg nur wenige Kilometer entfernt weiter. „Der Krieg geht natürlich weiter, aber unsere Ostseite ist befreit. Bei uns ist es ­weitgehend ruhig.“ Er hat den Satz gerade zu Ende gesprochen, da knallt es ­zweimal. Ein Lkw-Fahrer hat mit seiner Kalaschnikow in die Luft geschossen, weil es ihm im Stau zu langsam vorangeht. Auch ohne IS ist es nicht so einfach mit der Normalität im Irak.

Die Dschihadisten konnten in Mossul nie wirklich Fuß fassen, glaubt der Student. „Natürlich hat der IS versucht, die Leute auf seine Seite zu ziehen. Aber sie haben es nicht geschafft. Die Mehrheit der Einwohner Mossuls sind gebildet und zivilisiert. Wir haben hier eine städtische und keine Stammesgesellschaft. Wir können unterscheiden zwischen dem wahren Islam und dem dieser Verbrecher.“

Er hofft nun, weiterstudieren zu können, nachdem er in den Zeiten des IS nur zu Hause herumsaß. Aber der Krieg hat einen guten Teil der Universität, die sich im befreiten Ostteil befindet, in Ruinen verwandelt.

Kain Nachschub für den IS

Zurück im Hauptquartier der Antiterroreinheit wägt deren Chef die Sicherheitslage ab. „Wir haben einige Maßnahmen getroffen, um Anschläge des IS in Ostmossul zu verhindern“, sagt Al-Saedi. „Wir wissen, sie haben Schläferzellen, daher ist die Arbeit der Geheimdienste so wichtig. Wir kooperieren mit den Einwohnern Mosuls, denn die wissen genau, wer mit dem IS sympathisiert oder zusammengearbeitet hat.“

Der schwierigste Teil des Krieges kommt erst noch: die Eroberung des Westteils von Mossul mit den engen Gassen der Altstadt. Aber der Generalleutnant ist optimistisch. „Der IS hat Tausende seiner Kämpfer verloren und Hunderte seiner Selbst­mord­attentäter, auch die Kommandozentrale und die Drohnen. Sie bekommen keinen Nachschub. Viele der ausländischen Kämpfer sind gefallen. Die Moral der Dschihadisten auf der anderen Seite des Flusses ist im Keller.“

Ein paar Straßen weiter Richtung Tigris ist die Fahrt zu Ende. Ein Soldat der Antiterroreinheit fordert zum Anhalten auf. Ab hier sei es nicht mehr sicher, erklärt er. Die Straße weiter unten Richtung Fluss liege im Bereich der IS-Scharfschützen. Auf der anderen Seite des Tigris werden am gleichen Tag von Flugzeugen Flugblätter der irakischen Regierung abgeworfen, die den Zivilisten Hinweise geben, wie sie sich verhalten sollen. Demnächst, steht da, beginne die Offensive zur Rückeroberung Westmossuls.

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Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

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