Modetrend Upcycling: Kaffeekapseln am Handgelenk

T-Shirts aus Milchfasern, Ohrringe aus Skateboards: Beim Upcycling werden Kleidungsstücke und Accessoires aus Müll hergestellt. Eine tolle, teure Idee.

Aus alt mach neu: Abgetragene Socken werden per Upcycling zum modischen Pulli. Bild: steffne/photocase.com

Die Kundin im Pelzmantel hält einen Pullover aus alten Tennissocken hoch: „Das ist echt geil!“ Ohrringe aus alten Skateboards, Röcke aus getragenen Herrenhosen, Armreifen aus alten Kaffeekapseln: Der Upcycling Fashion Store in Berlin macht Kleidung aus Dingen, die normalerweise im Müll landen. Diese werden hier aber nicht bloß wiederverwendet: „Ihr Wert wird erhöht“, erklärt Arianna Nicoletti, Mitbegründerin des Geschäfts und des Modelabels Aluc.

Upcycling nennt sich das Prinzip, das mehr sein will als Recycling, und nicht nur Aluc hat dieses Verfahren als Geschäftsidee entdeckt. Das Leipziger „yea yea-Büro für Gestaltung“ baut Lampen aus alten CDs, die Firma Qmilch aus Hannover macht Kleidung aus Milchfasern, die bei der Käse- oder Milchproduktion übrig bleiben. Daraus stellt das Unternehmen Milchproteinfasern her, die Designer wiederum für Kleidung verwenden können. Katja Strøm Cappelen und Jürgen Breiter haben „stadtfund“ in Berlin gegründet. Sie sammeln zum Beispiel verlorene Handschuhe von der Straße und arbeiten sie auf.

Breiter legt ein Paar, der eine mit Leopardenmuster, der andere aus braunem Kunstfell, auf den ebenfalls gefundenen Tisch. Alle Objekte in der Wohnung, die gleichzeitig das Büro des Duos ist, sind Fundstücke – so wie etwa die Leuchten aus alten Kühlschrankthermostaten an der Wand. Dass sie einmal Essen beleuchtet haben, sieht man ihnen nicht an.

Beim Upcycling ist es auch wichtig „die erbrachte ideelle Leistung, den der Gegenstand schon hatte, aufzugreifen“, sagt Breiter. Wie eben die verwaisten Handschuhen auf der Straße niht als Müll zu sehen, sondern sie aufzuheben und wieder zu zweit auftreten zu lassen: Dinge, die ihren Wert verloren haben, mit einem anderen Bewusstsein zu betrachten.

Herstellungsstrategie

Gegenstände von der Straße sammelt Breiter schon seit seiner Jugend. Den Begriff „Upcycling“ benutzt er dafür seit 2007. Breiter und Strøm Cappelen geht es nicht um Sammelleidenschaft oder darum, viel Geld zu verdienen, sagen sie. Es geht ihnen um Upcycling als Strategie. Darum, weniger Ressourcen zu verschwenden. Laut dem Statistischen Bundesamt kamen 2010 rund 158 Tausend Tonnen Abfall aus der Leder-, Pelz- und Textilindustrie. Davon waren 42.900 Tonnen Abfälle von verarbeiteten Textilfasern.

Der Begriff: „Upcycling“ wurde 1994 erstmals von dem Ingenieur Reiner Pilz benutzt, den am Recycling störte, dass Dinge eher kaputt gemacht werden, als dass man sie tatsächlich weiterbenutzt. Sachen heil zu lassen und sie wertvoller zu machen, upzucyceln eben, hielt er für die bessere Lösung.

Die Läden: Der Upcycling Fashion Store in Berlin verkauft ausschließlich Upcycling-Mode, unter anderem Anzüge aus alter Arbeitskleidung von Daniel Kroh. Das Label oldgold-berlin fertigt aus alten Kaffeekapseln Ohrringe, Armreife, Knöpfe und anderen Schmuck. Erhältlich im Upcycling Fashion Store. Das Kulturlabor trial&error in Berlin veranstaltete letztes Jahr die "Schrottregatta", bei der die TeilnehmerInnen mit selbst gebauten Booten aus Müll auf dem Wasser fuhren. Das Kulturlabor bietet Workshops zum Upcyceln, Kleidertauschaktionen und betreibt eine offene Upcyclingwerkstatt. Der Designer Andreas Linzner stellt aus alten Frotteehandtüchern Kuscheltiere und Wärmflaschen her.

Ganz so neu ist die Idee, Dinge weiterzuverwenden und dabei aufzuwerten, nicht. Schließlich werden anderswo aus Pragmatismus und nicht aus ideologischen Gründen Dinge repariert und weiterverwendet. Was hier die Verarbeitung zu schicken Designerobjekten ist, ist anderswo schlichte Notwendigkeit. „In unserem Land sind wir nicht mehr darauf angewiesen, wiederzuverwenden. Der Unterschied ist, dass die Sachen gerettet werden“, erklärt Nicoletti vom Label Aluc. Die Motivation ist eine andere: hier die Lust an schönen Dingen, dort ökonomische Zwänge.

Im Mainstream angekommen sei Upcycling aber noch nicht, sagt Nicoletti. Meist handelt es sich um Wohnaccessoires oder Bekleidung, die in kleinen Designerläden verkauft wird. Viele würden denken, es reiche aus, sich an Bio- oder Fairtrade-Produktion zu halten, wenn es um Kleidung geht, sagt Nicoletti. Aber auch in der ökologischen Baumwollproduktion entstünden natürlich Abfälle: „Wir haben so viel Müll, dass wir eigentlich morgen die Maschinen stoppen und zehn Jahre lang keine Bekleidung mehr produzieren müssten.“

Es ist ohnehin fraglich, ob die Biokunden auch die Upcycling-Kundschaft sind. Denn trotz aller grünen Ideologie, die hinter dem Konzept steht: Ihre Kunden kämen jedenfalls eher aus Interesse an den Unikaten, Upcycling als Bewusstseinsfrage stehe da weniger im Vordergrund, auch wenn viele neugierig auf das Prinzip seien, sagt Nicoletti. Vor allem ist es aber der Style-Faktor, der zieht.

Ein Pullover für 300 Euro

Und der hat natürlich auch seinen Preis. Der Pullover aus alten Tennissocken kostet über 300 Euro. Ein Hemd von Aluc um die 100 Euro. Das Handschuhpaar bei stadtfund 29 Euro. „Wir sprechen eher Berufstätige an, weil der Preis hoch ist“, räumt Nicoletti ein. Aber die Leute fänden den Preis okay, weil sie wüssten, wie viel Arbeit in den Dingen steckt. Und für einen herkömmlichen Markenanzug würden sie das Gleiche zahlen, ohne zu wissen, unter welchen Umständen produziert wurde. Nicoletti sieht die Industrie und die großen Unternehmen in der Pflicht, wirklich etwas zu ändern: eine Upcycling-Abteilung einzurichten, zum Beispiel, die dafür sorgt, dass Stoffreste gleich wieder der Produktion zugeführt werden.

Auch Breiter findet den Preis für seine Handschuhe nicht zu hoch. „Man muss sich fragen, wie viel uns die eigene und die Arbeit anderer in einer Welt globalisierter Warenströme noch wert ist“, erklärt er. Um Upcycling aus einer Nischendiskussion herauszubringen, brauche es Leute, die es sich leisten können und wollen, für geistreiche Alternativen Geld auszugeben. „Upcyclingprodukte müssen faszinieren und eine gute Geschichte erzählen können“, sagt er – deshalb lege er demonstrativ seine Hände mit den verschiedenen Handschuhen auf seine Knie, wenn er U-Bahn fährt. Er hofft, dass die Leute nicht nur irritiert sind, sondern inspiriert werden.

8.500 Sceondhandläden

Nur: Leisten können sich viele den Tennissockenpullover oder Breiters Handschuhen eben noch lange nicht, auch wenn sie die Arbeit anderer vielleicht gern honorieren würden. Also doch wieder zu den großen Shoppingketten gehen?

Vielleicht einfach selber machen, das wäre immerhin eine Teillösung. Oder secondhand kaufen. Mehr als 8.500 Secondhandläden gibt es mittlerweile in Deutschland. Für manche Leute sind sie aber keine Alternative. Weil secondhand, sieht man mal von Läden ab, die Zweite-Hand-Ware als Vintage oder Retro-Schick teuer verkaufen, eben einfach bloß schon mal getragen ist. Zweite Wahl eben.

Upcycling hingegen haftet das Außergewöhnliche und das Wieder-Neue an. Geschenkband aus alten Videobändern, Ofenbriketts aus unverkauften Zeitungen, das hätte natürlich einen gewissen Coolness-Faktor. Die Frage der Nachhaltigkeit, die eigentlich hinter dem Upcycling-Konzept steht, auch ins Bewusstsein einer breiteren Masse zu bringen, ist nun die eigentliche Aufgabe.

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