Model Pari Roehi im Interview: „Ich habe nie als Mann gelebt“

Pari Roehi war als erste Transfrau bei „Germany’s Next Topmodel“. Ein Gespräch über ihre Identitätsfindung und niederländische Krankenkassen.

Roehi beschreibt sich: „Ein Mädchen, das einen Freund hat, eine tolle Familie und geliebt wird.“ Bild: David Oliveira

taz: Frau Roehi, warum haben Sie sich bei „Germany’s Next Topmodel“ beworben?

Pari Roehi: Als die letzte „Topmodel“-Staffel vor einem Jahr lief, waren mein Freund und ich gerade dabei, umzuziehen. Beim Zusammenpacken habe ich mir die Show angeschaut und gesagt: Das kann ich auch. Ein paar Zickereien, ein bisschen in der Villa chillen … Mein Freund sagte nur: „Ja, das musst du machen.“ Bei der US-Version „America’s Next Topmodel“ hatte ja schon mal ein Transgender-Model teilgenommen, das hat mich ermutigt.

In Deutschland waren Sie die Erste.

Das stimmt, aber ich habe niemals gedacht, dass meine Teilnahme in den Medien zu so einem großen Ding werden würde. Ich dachte, es ist das Jahr 2015, und die Leute haben sich längst daran gewöhnt. Man sieht Transgender-Leute überall.

Haben Sie den Produzenten der Castingshow gleich zu Beginn von ihrer Geschlechtsangleichung erzählt?

Ja, gleich im ersten Formular, das ich beim Vorcasting – also noch vor den großen Auswahl-Catwalks in Köln und München – ausfüllen musste, habe ich meine Story erzählt. Ich habe aufgeschrieben, dass „Germany’s Next Topmodel“ für Diversity steht, dass türkische, schwarze, asiatische Frauen gleichermaßen die Chance bekommen, zu Deutschlands schönstem Mädchen gewählt zu werden. Also warum nicht ein Transgender-Mädchen?

Sie kamen unter die Top 50. Doch dann sind Sie in der Sendung, die vergangene Woche ausgestrahlt wurde, rausgeflogen. Was glauben Sie, waren die Gründe dafür?

Na, die fanden mich als Typ interessant, aber „Germany’s Next Topmodel“ bin ich nicht. Da sitzen eine Menge 16- und 17-jähriger Mädchen herum. Ich bin 25 Jahre alt und passe damit nicht so richtig ins Konzept. Ich meine, bei Gesprächen mit den anderen Mädels habe ich gemerkt, wie jung und unsicher die teilweise noch sind. Sie waren total süß, ich mochte alle, aber da wäre ich total herausgestochen.

25, wurde aufgrund körperlicher Merkmale nach der Geburt als Junge eingeteilt und wuchs als Kind iranischer Eltern in den Niederlanden auf. Mit 17 Jahren begann sie den Prozess der Geschlechtsangleichung. Nun nahm sie als erstes Trans-Modelan der aktuellen Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ teil. Pari Roehi lebt mit ihrem Freund und ihrem Hund Balu in Berlin.

Liegt das nicht auch an dem Druck, dem man in der Sendung ausgesetzt wird?

Klar! Ich dachte auch, ich würde niemals im Fernsehen weinen, aber am Ende habe ich es doch getan. Man steht den ganzen Tag auf 15-Zentimeter-High-Heels, muss in die Kamera sprechen, hat keine freie Minute, um sich hinzusetzen. Da kann weinen sehr befreiend sein. Die Show kreiert ja diese Situationen, wo dir nichts anderes übrig bleibt, als zu weinen. Psychologisch ist das total gut. Also wenn Sie Frustrationen haben, die Sie nicht rauslassen können, hilft das.

Aber dass Sie rausgeflogen sind, hat nichts damit zu tun, dass Sie Transgender sind?

Nein. Heidi Klums Kinder sind schwarz. Warum sollte sie nicht tolerant sein gegenüber einer Transgender-Person?

Bereuen Sie es, an der Sendung teilgenommen zu haben?

Nein, auf keinen Fall. Denn ich habe ein Beispiel gesetzt. Jedes Mal, wenn eine Transgender-Person im Fernsehen ist, geht es um einen Sexskandal. Ich wollte einfach zeigen, dass auch ein ganz normales Mädchen wie ich Transgender sein kann. Ein Mädchen, das einen Freund hat, eine tolle Familie und geliebt wird. Viele sagen nun, ich sei das Topmodel der Herzen, und das freut mich sehr. Die können mich aber gerne als Jurorin nächstes Jahr einladen, I would love that!

Ist die „Topmodel“-Redaktion respektvoll mit Ihrer Story umgegangen?

Ja, sie sind sehr sensibel mit dem Thema umgegangen und haben die Aufnahmen total gut geschnitten. Ich bin sehr happy, dass ich so viele tolle Angebote bekommen habe nach der Show, es haben sich viele Türen für mich geöffnet. Und ich habe alles dieser Show zu verdanken. Es gab nur eine Kleinigkeit, die mich aber erst im Nachhinein genervt hat, als die Sendung ausgestrahlt wurde.

Was ist passiert?

Ich musste im Bikini laufen, und am Tag vorher hatte mir die Jury gesagt, dass ich kein Make-up tragen und die Haare zu einem festen Zopf binden soll. Das habe ich alles gemacht. Bevor ich auf den Laufsteg ging, kam sogar jemand von der Produktion und hat noch mal gecheckt, ob ich tatsächlich ungeschminkt bin, da war alles gut. Dann ging ich auf den Laufsteg und hatte ein sehr gutes Gefühl dabei. Ich dachte, ich hätte das Ding gerockt.

Aber später sah ich dann im Fernsehen, dass Thomas Hayo sich während meines Walks umdreht und sagt: „Haben wir ihr oder ihm nicht gesagt, dass heute kein Make-up getragen wird?“ Ich meine, ich laufe im Bikini, man sieht, dass ich eine Frau bin. Selbst wenn ich einen Penis hätte – ich sehe doch aus wie eine Frau! Du arbeitest seit mehr als zehn Jahren in der Fashionwelt, dort hat man ständig mit Transgender-Personen und Homosexuellen zu tun. Und Thomas Hayo weiß immer noch nicht, wie er mich anzusprechen hat?

Haben Sie auch teilgenommen, um Ihre TV-Karriere voranzubringen?

Nein, ich habe mitgemacht für die Erfahrung. Und natürlich auch, um nach Los Angeles zu fliegen (lacht). Ich meine, wie oft hat man die Chance, Bungeejumping von einem Hochhaus zu machen, und Mario Testino fotografiert einen dabei? Ich habe niemals gedacht, dass so viele Leute mich mögen und ich so viele TV-Angebote bekommen würde. Das tut mir echt gut, und ich werde das auch machen.

Früher dachte ich immer, dass man ein Talent haben muss, um berühmt zu werden. Aber ich habe verstanden, dass „Germany’s Next Topmodel“ auch eine Chance ist, dich der Welt zu präsentieren, es geht um Personality. Und wenn ich damit Karriere machen kann: gerne. Und wenn ich damit ein Vorbild für junge Menschen sein kann: sehr gerne. In den USA hat man jetzt Transgender-Frauen wie Laverne Cox und Carmen Carrera, die toll sind und Karriere machen. Die gehen so toll damit um, dass sie vielen jungen Mädchen Mut machen.

Hinkt Deutschland hinterher, was die Präsenz von Transgender in den Medien angeht?

Ja, ganz Europa hinkt hinterher. Aber dafür kümmert man sich in Europa besser um die Leute als in den USA. Dort werden immer noch viele schwarze Transfrauen umgebracht, weil die schwarze Community in dieser Hinsicht sehr konservativ ist. Auch die Selbstmordrate ist wahnsinnig hoch. Für mich, als jemand, der in Holland aufgewachsen ist, ist es total normal, dass meine Eltern damit kein Problem haben, dass ich in ein Krankenhaus gehe und behandelt werde. In Holland bezahlt die Krankenkasse alle Behandlungen und Operationen. Man zahlt nichts für die Medikamente und wird psychologisch betreut.

Ihre Eltern haben Sie in diesem Punkt unterstützt?

Ja, total. Das Einzige, worauf meine Mutter immer beharrt hat, war, dass ich mich nicht zu einer Witzfigur mache. Denn sie wollte mich zu einer starken Frau erziehen. Sie wollte, dass ich mich anständig anziehe und mich anständig benehme. Es gab viele Regeln. Ich durfte zum Beispiel kein Make-up tragen, bis ich zu Hause ausgezogen war. Da war ich 15 Jahre alt. Sie hat nur gesagt: Du willst ein Mädchen sein? Mädchen in deinem Alter tragen kein Make-up!

Wie früh haben Sie über diese Dinge mit Ihrer Mutter gesprochen?

Eigentlich konnte ich es mir anfangs gar nicht eingestehen. Mit vier Jahren bin ich mit meiner Mutter aus dem Iran nach Holland gezogen, weil meine Eltern sich haben scheiden lassen. Wir haben drei Jahre in einem Flüchtlingsheim gelebt, das heißt, ich hatte sowieso keine normale Kindheit. In dieser Phase war meine Mutter mit vielen anderen Dingen beschäftigt und konnte sich nicht richtig auf mich konzentrieren. Aber die Lehrer in der Schule haben gemerkt, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte, und haben mit ihr gesprochen. Danach hat sie näher hingesehen und mit der Zeit gemerkt: Okay, mein Kind ist Transgender.

Wie hat sie reagiert?

Sie war erst mal überfordert. Klar, sie war in einem Land, dessen Sprache sie nicht sprach, dessen System sie nicht kannte. Mit 13, 14 Jahren war ich ein sehr androgyner Typ, ich habe lange Haare getragen und meine Nägel lackiert. Irgendwann kam dann meine Mutter total wütend in mein Zimmer und hat gesagt: „So kannst du nicht leben! Sei dies oder das, aber was soll dieses Ding dazwischen? Bist du es nicht leid? Du darfst machen und sein, was du willst, aber entscheide dich endlich.“ Sie hat gesehen, wie unglücklich ich war, auch mit meinen Noten ging es bergab.

Wann haben Sie die Geschlechtsanpassung durchgeführt?

Erst begann ich eine Therapie, danach wurde ich in die Gender Dysphoria Klinik nach Amsterdam geschickt. Mit 17 Jahren erst begann ich Medikamente zu nehmen. Normalerweise kann man schon früher etwas bekommen, um die Hormone während der Pubertät zu kontrollieren. Aber mein Körper hat sich erst sehr spät entwickelt, ich hatte weder Stimmbruch noch Bartwuchs. Mein Körper war echt komisch. Und als ich mit der Hormonbehandlung begann, habe ich sehr gut darauf reagiert.

Ich glaube, meine Brüste fingen schon nach zwei Monaten an zu wachsen. Für die Operation wurde ich auf eine Warteliste aufgenommen, und mit 19 wurde ich dann operiert. Aber es war nie etwas Außergewöhnliches für mich, weil alles geplant war und ich mich darauf gefreut habe. Ich wollte endlich einen Bikini tragen und tolle Dinge erleben. Und ich hatte so viel Unterstützung von meiner Familie und von Freunden. Die Schule war natürlich eine Katastrophe für mich. Kinder mobben einen, wenn sie Dinge nicht verstehen.

Die Medien sind nun auf Sie aufmerksam geworden. Wie nehmen Sie das wahr?

Transgender zu sein ist kein Geheimnis. Die Leute können ruhig über mich reden. Aber ich habe in der letzten Zeit Dinge gelesen, die habe ich in meinen 25 Jahren vorher nicht gehört. Es gab Schlagzeilen wie „Die Transe von Klum“, oder die Bild schrieb: „Klum-Model war ein Mann.“ Bitte? Ich habe nie einen Bart oder Männerklamotten getragen und habe nie als Mann gelebt.

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