Mitteldeutscher Rundfunk: Die letzte DDR der Welt

Beim Mitteldeutschen Rundfunk wird am Montag ein neuer Chef gewählt. Zeit für eine Erklärung: Wie der Skandalsender wurde, was er ist.

Niemand hat die Absicht einen MDR zu errichten. Bild: dpa

Die Geschichte ließe sich so erzählen: Im schönen Leipzig bewohnt der MDR ein ehemaliges Schlachthofgelände im Osten der Stadt, das so heißt, wie sich Marketingagenturen Aufbruch und Zukunft vorstellen: Media City. Hier sitzt die Anstalt mit dem erfolgreichsten dritten TV-Programm und den meisten Skandalen der ARD, hier wird in der berühmten Sachsenklinik die Weißkittel-Schmonzette "In aller Freundschaft" gedreht, und hier geht allwöchentlich das "Riverboat" im seichten Talk unter.

Am Montag wählt der Rundfunkrat des MDR einen neuen Intendanten, weil der alte nicht mehr mag und weil es mit den Skandalen doch ein bisschen viel geworden ist. Der Neue wird ein wenig aufräumen, viele werden erschüttert tun, dann geht es weiter wie bisher - und wenns besonders schön wird, tanzt dazu das MDR-Fernsehballett.

Die Geschichte ließe sich aber auch so erzählen: Das US-Fernsehen hat Serien wie "Boardwalk Empire" über Atlantic City während der Prohibitionszeit. Mit dem Lokalpolitiker "Nucky" Thompson, der die Strippen einer mafiösen Gesellschaft mit seriöser Fassade zieht. Der MDR ist vielleicht nicht so cool und hochglanztauglich wie "Boardwalk Empire", aber dafür - echt.

Eventuell ist dies auch die Geschichte der letzten DDR der Welt - inklusive originalem Personal, in der alles über Beziehungen läuft: Gibst du mir ein paar Fliesen, dann mache ich dir dein Auto startklar - oder eben eine Fernsehproduktion.

Ohne die wilden Neunzigerjahre - die Gründerzeit des MDR - lässt sich der Sender nicht verstehen. Denn der Geist dieser großen Zeit, als der Westen seine Altlasten und Abenteuerer mit Buschzulage in die neuen Länder schickte, wo die sich mit den neuen Verhältnissen und vor allem den alten Seilschaften auf das Prächtigste arrangierten, lebt immer noch ein bisschen fort in der Anstalt für Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt.

Mitten drin: Udo Reiter, der scheidende Intendant. 1991 wurde er von der sächsischen CDU als Gründungsintendant des MDR aus Bayern geholt. Dass der Architekt des Deals - der damalige CDU-Fraktionschef im Dresdner Landtag, Herbert Goliasch - ein paar Jahre später als IM "Henri Guhl" enttarnt wurde und 1998 aus der CDU austreten musste, um - so damals der Spiegel - einem Parteiausschlussverfahren zuvorzukommen, kann man heute gleichsam als Ouvertüre lesen.

Danach ging es munter weiter. Weil beim Aufbau des MDR alles schnell gehen musste und das Geld nicht reichte, zockte Reiter gekonnt an der Börse. Das entsprach zwar auch damals so gar nicht den Gepflogenheiten einer öffentlichen-rechtlichen Anstalt, aber gedeckt von den drei MDR-Ländern konnte Reiter nach eigenen Angaben die zur Verfügung stehende Summe fast verdoppeln. Und alle waren baff.

Erst als 1999 eine hochspekulative Anlage in die ecuadorianische Währung Sucre in die Hose ging, gab es Ärger. Der erste Millionenverlust für den MDR stand an. Und Reiter reagierte nach einem bis heute bewährten Muster: Er wusste von nichts - die Verantwortung übernahm Verwaltungsdirektor Rolf Markner, der umgehend in die Wüste geschickt wurde.

Der Chef weiß von nichts

Die Aufsichtsgremien des MDR galten damals als die republikweit zahmste Variante des Papiertigers: Im Verwaltungsrat saßen die Abgesandten der Staatskanzleien aus Dresden, Erfurt und Magdeburg. Und der Rundfunkrat "war ein Witz", sagt ein langjähriger MDR-Weggefährte: "Der Intendant hielt eine launige Rede, dann wurde fein gegessen, und zu besonderen Anlässen tanzte das Fernsehballett." Auch wenn böse Medien im Sender Stasi-IM enttarnten und korrupte Sportchefs vorführten, tat das dem hausinternen Korpsgeist keinen Abbruch.

Fast Forward: Ob sich im 20. Jahr des Mitteldeutschen Rundfunks etwas geändert hat, zeigt sich heute. Der MDR-Rundfunkrat wählt einen neuen Intendanten, Udo Reiter tritt Ende Oktober ab. Was auch ein bisschen daran liegt, was gerade los ist. Und wofür Reiter natürlich gar nichts kann. Denn in Sachen Skandalen blieb sich die Anstalt treu: Mindestens 8,2 Millionen Euro Gebührengelder verschwanden durch Scheinrechnungen beim Kinderkanal, für den verwaltungstechnisch der MDR zuständig ist.

Über Jahre lief das so, der MDR zahlte brav, ohne zu prüfen. Erst als eine in den Schmu verwickelte Produktionsfirma sich selbst anzeigte, flog das Ganze im Dezember 2010 auf. Intendant Reiter wusste wie immer von nichts und opferte, MDR-üblich, im März 2011 seinen Verwaltungsdirektor.

Parallel dazu kam im Sommer der nächste Skandal: MDR-Unterhaltungschef Udo Foht hat ebenfalls über Jahre sehr freihändig mit MDR- und anderem Geld jongliert. Bei harmloser Deutung wirkt das Ganze, als hätte da einer 22 Jahre nach dem Ende der DDR immer noch die Mangelwirtschaft im Blut und würde deshalb stets ein paar Fliesen in der Garage horten, um sie bei Gelegenheit gegen Trabi-Ersatzteile zu tauschen. Der Volksmusikimpresario lieh sich bei Produktionsfirmen und Musikmanagern gern vier- bis fünfstellige Summen, manchmal auch auf MDR-Briefpapier.

Die Rückzahlung kam aber nie oder viel zu spät - und dann auch nicht vom MDR, sondern oft von anderen Produktionsfirmen und Musikmanagern. Im Gegenzug bekam Foht offenbar Sendungskonzepte frei Haus. Es gibt aber auch obskure Beraterverträge mit noch obskureren Firmen wie dem Berliner Unternehmen Fit for Fun, das zwar gar nichts mit Fernsehen am Hut hat, aber den MDR in Formatfragen berät und dafür 160.000 Euro kassierte.

Auch hier hatte Reiter zunächst von nichts gewusst, musste sich dann aber später erinnern, doch schon 2009 über Fohts Merkwürdigkeiten informiert gewesen zu sein. Das war Ende August, und für Reiter kam es noch dicker: Weil der Posten blöderweise noch nicht wieder besetzt war, hatte er gar keinen Verwaltungsdirektor zum Suspendieren mehr. Auch im Fall Foht ermitteln die Staatsanwälte, es geht um Betrug, Bestechlichkeit, Korruption.

Dieser Dreiklang überschattet nun auch die Intendantenkür. Nicht, dass hierbei Geld flösse. Aber das politische Tauziehen und die Einflussname der Landesregierungen korrumpieren das Verfahren. Ungeniert gibt hier die sächsische CDU wie zu Zeiten des seligen Herrn Goliasch die Marschrichtung vor, in reinster Kaderpolitik: Gewählt werden soll der Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung (LVZ), Bernd Hilder.

Schon im MDR-Verwaltungsrat, der den Kandidaten offiziell nominieren muss, hatte der zunächst keine Mehrheit. Doch weil noch ein Verwaltungsdirektorenposten frei ist, der versprochen werden kann, und weil die CDU-MinisterpräsidentInnen Sachsens und Thüringens Druck ausübten, stimmte das an keine Weisungen gebundene Gremium am 5. September dann doch noch mit der benötigten Zweidrittelmehrheit für den von der Politik gewünschten Hilder. Im vierten Wahlgang. Was natürlich keine Bestechlichkeit ist, sondern Realpolitik. Und ein Betrug an der Gesellschaft, die die Gremien vertreten soll.

Scheitert das Komplott?

Der MDR-Rundfunkrat muss dieses Komplott zum Scheitern bringen. Hilder macht es ihm dabei relativ leicht. Denn der Kandidat hat nicht einmal das vom Rundfunkrat erbetene Konzept vorgelegt, wie er den MDR zu führen gedenkt. Seine Bilanz bei der LVZ ist ebenfalls eher mittelprächtig: "Die Auflage liegt noch unter dem miserablen Betriebsklima", sagt ein LVZler. Und jetzt hat sich Chefredakteur Hilder auch noch dabei erwischen lassen, wie er seinen Kollegen Paul-Josef Raue von der Thüringer Allgemeinen anrief und sich wortreich über seine schlechte Presse beklagte.

Selbst das Verhältnis des Möchtegern-Intendanten zum öffentlichen-rechtlichen Rundfunk lässt sich nur als seltsam bezeichnen: Bernd Hilder, der in einem früheren Leben für die ARD als Radiokorrespondent arbeitete, zahlt nicht gern Rundfunkgebühren. Dieser Tage kursiert im MDR-Land Hilders GEZ-Ummeldung von 2005, als er nach Leipzig zog. Die Frage "Bezahlen Sie schon Rundfunkgebühren" auf dem Formular hat Hilder mit "Ja" beantwortet und handschriftlich ein "leider" hinzugefügt.

Einen wirds freuen: Hilders Protektor Nummer eins, den Dresdener Staatskanzlisten Joachim Beermann (CDU). Denn der will als oberster CDU-Medienpolitiker den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verschlanken. Da wäre ein ihm ergebener MDR-Intendant, der genauso denkt, höchst willkommen.

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