Missbildungen durch Medikament: Kampf gegen Bayer geht weiter

In Großbritannien soll der Duogynon-Fall neu aufgerollt werden. Auch von Missbildungen Betroffene in Deutschland schöpfen dadurch neue Hoffnung.

Schon 2010 klagten Duogynon-Geschädigte gegen den Konzern – und verloren. Bild: dpa

BERLIN taz | Nachdem seine Mutter Duogynon eingenommen hatte, kam André Sommer 1976 mit einer Blase außerhalb des Bauchraums und einem verkümmerten Penis zur Welt. Seitdem musste er sich mehreren Operationen unterziehen. Sommer sieht sich als einer der Geschädigten von Duogynon, einem Hormonpräparat. Nun bereiten er und sein Anwalt Jörg Heynemann erneut eine Strafanzeige vor. „Ich will, dass die Wahrheit endlich ans Licht kommt“, sagt Sommer.

Auf Sommers Homepage haben sich inzwischen rund 380 Betroffene oder deren Hinterbliebene gemeldet. Schätzungsweise leben heute um die 1.000 bis 1.500 Geschädigte allein in Deutschland. Sie haben Gaumenspalten oder Herzfehlbildungen, viele sind angeblich an den Folgen des Medikaments verstorben. Deshalb lautet der Vorwurf der Strafanzeige auch Mord.

Duogynon wurde 1950 von der Firma Schering auf den Markt gebracht. Es sollte eigentlich bei ausbleibenden Monatsblutungen helfen und galt als Indikator für eine Schwangerschaft. Heute gehört Schering zum Pharmariesen Bayer.

Sommers Anliegen hat nun neuen Wind bekommen – aus Großbritannien. Dort hat Premier David Cameron jetzt die Aufdeckung aller offenen Fragen rund um Duogynon gefordert. Die britischen Behörden hatten in den 70er Jahren lang verabsäumt, die Warnung, Duogynon nicht während der Schwangerschaft zu verwenden, an der Medikamentenpackung anzubringen. Dabei hatte das Gesundheitsministerium diese längst ausgesprochen.

Bisher keine inhaltliche Prüfung

Es war bereits ein langer Kampf für Sommer, der heute als Grundschullehrer mit Frau und Kindern in Bayern lebt. „Wegen meiner Mutter kämpfe ich weiter, denn sie hat sich viel zu lange Vorwürfe gemacht.“

2012 stand Sommer das letzte Mal gegen Bayer vor Gericht. Das Landgericht Berlin entschied damals auf Verjährung. Allerdings sei das Gericht nie zu einer inhaltlichen Prüfung der Vorwürfe gekommen, betont Anwalt Heynemann. Der Richter redete dem Chemiekonzern schon damals ins Gewissen: „Ein Weltkonzern wie Bayer sollte den Dialog suchen.“

Hoffnung geben Heynemann und Sommer neben den Nachrichten aus London diesmal Fundstellen in alten Prozessakten: „Es gibt Hinweise, dass Duogynon fruchtschädigend wirkt und es deshalb in manchen Ländern vom Markt genommen wurde, nur in Deutschland nicht. Daraus kann man schließen, dass Schering den möglichen Tod der Betroffenen billigend in Kauf genommen hat“, sagt Heynemann.

In der Tat wurde das Präparat in Deutschland erst 1981 aus dem Handel gezogen, viel später als anderswo. Mit der Strafanzeige könne die Staatsanwaltschaft die Herausgabe der Dokumente bei Bayer erzwingen, die sie den Geschädigten schon lange vorenthalte, so Anwalt Heynemann.

Sommer hofft mit seiner Strafanzeige auch, dass sich etwas in der deutschen Politik bewegt. „Außerdem ist eine Verurteilung Bayers in Großbritannien wahrscheinlicher, denn das englische Gesetz kennt, im Unterschied zum deutschen, keine absolute Verjährung“, erklärt Anwalt Heynemann.

Auch die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung beobachtet den Fall: „Wenn dort neue Fakten bekannt werden, sollten wir nochmals nach Möglichkeiten zur Unterstützung der Geschädigten suchen“, sagt Verena Bentele. Die Erforschung der Ursachen der Schädigung sei in diesem Fall besonders wichtig.

Bayer selbst bleibt bei seinem Standpunkt: „Umfangreiche Expertenuntersuchungen wurden durchgeführt, ohne dass sich daraus Hinweise auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Duogynon und den gemeldeten Fällen von Missbildungen ergaben. Darauf haben sich auch die Gerichtsentscheidung in England 1982 und die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Berlin von 1980 bezogen“, schreibt das Unternehmen der taz.

„In der Tat ist es sehr schwierig, eine direkte Kausalität zwischen dem Medikament und den Missbildungen herzustellen“, sagt auch Sommer. Allerdings sei ein Zusammenhang von Duogynon-Einnahme und Missbildungen festzustellen.

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