Migrantinnen in Katar: Wenn Sex zum „Love Case“ wird

Die Arbeitsgesetze verbieten außereheliche Beziehungen und bringen junge Mütter nach der Geburt ins Gefängnis. Auch auf Abtreibung steht Haft.

Wäscheleine in einem Arbeiterquartier

Eine der besseren Unterkünfte für Migrantinnen in Doha, der Hauptstadt von Katar Foto: reuters

BERLIN taz | An Weihnachten 2012 hat Mary (Name geändert), eine technische Assistentin bei Qatargas, dem weltgrößten Erdgasproduzenten, per Kaiserschnitt ihren Sohn auf die Welt gebracht. Die Geburt verlief gut, die Kosten waren von der Krankenversicherung des Arbeitgebers gedeckt.

Dann aber kamen Polizisten des Criminal Investigation Departments (CID) und steckten Mutter und Kind ins Gefängnis. Hintergrund ist, dass ausländischen Arbeitskräften in Katar außereheliche Beziehungen verboten sind. Auf die Einhaltung dieser Gesetze wird mal mehr, mal weniger streng geachtet. Die Angst vor dem CID kontaminiert allerdings die Liebe im konservativen Wüstenstaat.

„Mit meinem Arbeitgeber hatte ich bis dahin keine Probleme. Bis eine Woche vor der Geburt ging ich sogar noch arbeiten“, erzählt Mary. Anderen Frauen geht es schlechter, hat sie beobachtet: „Manche werden von ihrem Arbeitgeber angezeigt. Vor allem Frauen, die als Haushaltshilfe arbeiten, haben es schwer. Die Familien, bei denen sie angestellt sind, stört vielleicht gar nicht einmal so sehr, dass die Frauen einen Freund haben. Sie wollen aber verhindern, dass fremde Männer ins Haus kommen, und erstatten deshalb Anzeige.“

Für Mary, die seit 2007 bei einem japanisch-katarischen Subkontraktor des Erdgasgiganten tätig war, wurde es erst gefährlich, als das Krankenhaus nach ihren Heiratspapieren fragte. „Spätestens drei Tage nach einer Geburt muss diese in das staatliche Geburtenregister eintragen. Sie ließen mir die drei Tage Zeit, um die Papiere zu besorgen“, schildert Mary. Sie hörte von Frauen, die sich gefälschte Papiere besorgten, schreckte selbst aber davor zurück.

Zwei Jahre und zehn Monate Haft

Wegen der unerlaubten Geburt erhielt sie ein Jahr Gefängnis, ein weiteres Jahr und zehn Monate kamen hinzu, weil während der Haftdauer Schulden wegen nicht gekündigter Verträge aufliefen.

Über die Bedingungen im Gefängnis findet die mittlerweile wieder auf den Philippinen lebende Frau im Telefonat mit der taz überraschenderweise nur gute Worte. „Es war sehr sauber, jede Frau bekam bei Einlieferung eine neue Matratze und neues Bettzeug. Wir hatten Waschmaschine und Trockner zur Verfügung. Ärzte kümmerten sich um uns. Wer arbeiten wollte, konnte dies auch tun“, erzählt sie. Weil auch „nur“ sieben Frauen ein Zimmer belegten, waren die Bedingungen sogar besser als in mancher Arbeiterunterkunft jenseits der Gefängnismauern.

Mary

„Wenn ihr schwanger werdet, fliegt sofort heim und bringt das Kind dort zur Welt!“

Mary trägt ihr Schicksal mit Gelassenheit. Sie schimpft nicht einmal auf die katarischen Gesetze. „Natürlich, vom Ausland aus wirkt ein solches Gesetz sehr seltsam. Aber für die Leute in Katar ist es normal. Es ist meine Schuld, dass es so weit kam“, meint sie. Sie würde sogar für einem neuen Job nach Katar kommen, wenn sie wegen der Gefängnisstrafe keine Nachteile befürchten müsse, versichert sie.

Vor allem Frauen werden angeklagt

Frauen und Mädchen in ähnlicher Lage rät sie aber: „Wenn ihr schwanger werdet, nehmt sofort einen Flug nach Hause und bringt das Kind dort zur Welt!“. Abtreibung wäre im Übrigen auch kein Ausweg. „Dafür drohen in Katar drei Jahre Gefängnis“, erklärt Mary.

Ihre Geschichte ist kein Einzelfall in dem Golfstaat. Sogar Vergewaltigungsopfer werden mitunter ins Gefängnis gesteckt. Genaue Zahlen gibt es nicht, nur episodisch kann man die Dimension ermessen. Eine Untersuchungskommission des philippinischen Parlaments listet für 2011 21 Landsleute auf, die in Katar wegen „Love Cases“ und weitere sechs, die wegen Ehebruchs angeklagt oder verurteilt waren. Die meisten von ihnen, 24 der 27, waren Frauen – ein deutliches Ungleichgewicht in der Strafverfolgung.

Zugleich wird der hohe Kriminalisierungsdruck für migrantische Arbeiterinnen deutlich. „Love Cases“ waren gender–übergreifend die zahlenmäßig stärkste Deliktgruppe, mit Abstand folgten Diebstahls- (12) und Drogenfälle (8). Die Vergabe der Fußball-WM 2022 an Katar hat die Weltöffentlichkeit aufmerksamer auf den Wüstenstaat werden lassen. Vor allem die Arbeitsbedingungen der Stadionerbauer für das Turnier stehen immer wieder in der Kritik. Hier hat sich einiges getan. Betrachtet man andere Bereiche der katarischen Gesellschaft, stellt sich allerdings die Frage, zu welcher Art von Sportfest man dort eingeladen sein wird.

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