Medienrechtlerin über Journalisten-Mord: „Die Regierungen müssen handeln“

In der Slowakei wurden ein Investigativjournalist und seine Freundin ermordet. Die Ermittlungen müssen schnelle Ergebnisse bringen, sagt Flutura Kusari.

Mehrere Tageszeitungen, die berichten über die Ermordung eines slowakischen Enthüllungsjournalisten und seiner Verlobten

Schockierende Nachrichten: Der slowakische Investigativjournalist Ján Kuciák wurde ermordet Foto: dpa

taz: Frau Kusari, am Montag wurden der slowakische Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte in ihrem Haus erschossen. Sie fahren nun nach Bratislava, um die Ermittlungen zu überprüfen. Wie genau gehen die Behörden in der Slowakei vor?

Flutura Kusari: Die Polizei hat eine Untersuchung begonnen. Das ist das Einzige, was wir bisher wissen. Deshalb fahren wir dorthin: Wir wollen verstehen, was die Behörden in der Slowakei unternehmen. Ich denke, es ist wichtig herauszufinden, wie sie vorgehen. Hatte Ján Kuciak schon vor seiner Ermordung Drohungen gegen sein Leben angezeigt? Einige Medien berichten das. Wenn es stimmt, dann ist die Polizei für den Mord mitverantwortlich. Sie haben schließlich eine rechtliche Verpflichtung, den Journalisten zu schützen.

Wer sind die Verdächtigen?

Das wissen wir noch nicht. Auch deshalb fahren wir nach Bratislava. Die Verdächtigen ausfindig zu machen und vor Gericht zu stellen ist der einzige Weg, wie die Öffentlichkeit den Behörden wieder vertrauen kann.

Denken Sie, dass die Verantwortlichen für den Mord gefunden werden?

Der slowakische Kulturminister Marek Madaric hat seinen Rücktritt erklärt. „Nach der Ermordung eines Journalisten kann ich mir nicht vorstellen, ruhig weiter Chef dieses Ministeriums zu bleiben, das auch für die Medien zuständig ist“, erklärte der 51-Jährige am Mittwoch in Bratislava.

In der Nacht auf Montag waren der 27-jährige Journalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova in ihrem Privathaus im Dorf Velka Maca im westslowakischen Bezirk Galanta erschossen aufgefunden worden. Sie waren nach Polizeiangaben durch Schüsse in Kopf und Brust im Stil einer Hinrichtung getötet worden.

Kuciak hatte vor allem über die Verfilzung zwischen Politik und Geschäftswelt recherchiert. Er war dabei auch auf mögliche Verbindungen italienischer Mafia-Clans zu slowakischen Politikern und Regierungsmitarbeitern gestoßen. Madaric galt schon seit Monaten als parteiinterner Kritiker eben dieser Verfilzung. (dpa)

Ich hoffe es. Wenn niemand verurteilt wird, wäre das eine schockierende Nachricht für alle Journalisten. Es würde bedeuten, dass man getötet werden kann, wenn man öffentliche Figuren genauer untersucht und ihr Fehlverhalten aufdeckt – ohne dass die Verantwortlichen vor Gericht gebracht werden. Ich hoffe, der Fall wird schnellstmöglich aufgeklärt.

Im Oktober 2017 wurde die Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia in Malta ermordet. Sie beobachten auch die Ermittlungen in diesem Fall. Wie geht das in Malta vonstatten?

Wir beobachten den Fall, indem wir selbst nach Malta fahren und indem wir Quellen vor Ort nutzen. Es ist eine sehr komplizierte Angelegenheit. Es gibt drei Verfahren. Das erste ist vor dem Verfassungsgericht. Allerdings fordert Daphne Caruana Galizias Familie, dass der Leiter der Ermittlungen entfernt wird, weil sie einen Interessenkonflikt vermuten. Der Ermittlungsführer ist mit einer Ministerin verheiratet. Das zweite Verfahren läuft am Gericht von Valletta. Dort gibt es zwei Verdächtige. Es werden Beweise und Zeugen vor Gericht gebracht, mit denen die Staatsanwaltschaft die Richter überzeugen will. Das dritte Verfahren ist eine Untersuchung, die das Gericht in Valletta selbst veranlasst hat. Das ist getrennt von der Anklage der Staatsanwaltschaft.

Wer sind die Angeklagten?

Die Staatsanwaltschaft hat Beweise gegen die beiden Verdächtigen vorgelegt, die in Valletta vor Gericht stehen. Aber wir wollen wissen: Wer hat sie beauftragt? Wir haben noch gar kein Motiv der Verdächtigen gefunden. Deshalb ist es uns wichtig, herauszufinden, für wen sie gearbeitet haben.

Wie kann das herausgefunden werden?

Menschenrechtsanwältin und Rechtsberaterin für das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit. Mehrere Jahre lang hat sie komplexe Investigativrecherchen in Print und TV rechtlich betreut und eng mit Journalist*innen im Kosovo und andernorts zusammengearbeitet. Sie hat einen LL.M.-Abschluss in Recht und absolviert im Moment ihren Doktor in Medienrecht an der Universität von Ghent.

Das Gericht und die Staatsanwaltschaft arbeiten daran. Aber sie können nur erfolgreich sein, wenn ihnen die Polizei hilft. Falls das nicht geschieht, werden die Leute denken, dass die Polizei eine Mitschuld hat.

Beide Morde geschahen innerhalb der EU. Was bedeutet das für den Investigativjournalismus in Europa und in der Welt?

Innerhalb von nur fünf Monaten wurden zwei Journalisten in der EU ermordet. Normalerweise sehen wir Europa als sicheren Ort für Journalismus und Pressefreiheit. Deshalb sind die beiden Taten so beunruhigend für uns. Es ist sehr wichtig, die Mörder zur Verantwortung zu ziehen. Und wenn die Polizei vorher über die Bedrohungslage Bescheid wusste, ist sie ebenfalls verantwortlich für den Tod der beiden Journalisten. In Malta war das der Fall, Daphne Caruana Galizia hatte zuvor Morddrohungen erhalten und sie auch zur Anzeige gebracht. Wir werden sehen, ob das bei Ján Kuciak genauso war. Die Regierungen müssen auch handeln. Die beiden Fälle sind die wichtigsten, wenn es um die Sicherheit für Journalisten in der EU geht.

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