Maskenpflicht in Deutschland: Und das Volk näht

Erst sinnlos, nun Pflicht? Wenn einzelne staatliche Maßnahmen Misstrauen erwecken, wird es auch schwieriger, Vernünftiges umzusetzen.

Ein Mann trägt eine bunte Gesichtsmaske.

Statt Krawatte trägt Mann heute einen Mundschutz Foto: Carsten Koall/dpa

Es hat sich als ungesund erwiesen, bei der Explosion einer Atombombe in der Nähe zu sein. Aber Schutz ist mit einfachen Mitteln möglich, zumindest glaubte das die US-Zivilverteidungsbehörde in den 1950er Jahren. „Duck and cover“, Deckung suchen und sich zudecken. Mit einem Tuch oder auch einer Zeitung: Das empfahl das Amt seinerzeit in einem Lehrfilm für Kinder.

Vergangene Zeiten. Auf so einen Quatsch fielen wir nicht mehr herein. Wir informieren uns gründlich, sofern uns das Basteln hübscher, handgefertigter Masken die Zeit dafür lässt. So stylisch sehen manche übrigens aus! Vielleicht landen einige Modelle einmal im Museum of Modern Art.

Vorläufig landen sie aber erst einmal auf Gesichtern von Leuten, die damit – so die derzeitige Lesart – ihre Mitmenschen vor Ansteckung schützen wollen. Es hat schon viele Positionen zum Thema gegeben. „Masken waren erst unnötig, dann waren sie Virenschleudern, dann waren sie eine Höflichkeitsgeste, dann waren sie ein dringendes Gebot, und heute gibt es eine Maskenpflicht“, fasste Christian Lindner im Bundestag die Entwicklung zusammen. Es passiert ihm nicht oft, aber damit traf der FDP-Vorsitzende ins Schwarze.

Nichts gegen lebenslanges Lernen

Nun ist nichts gegen lebenslanges Lernen zu sagen, und selbstverständlich ist es auch Wissenschaftlern erlaubt, ihre Meinung zu ändern. Aber es wäre erfreulich, wenn sie die Öffentlichkeit an ihrem Erkenntnisprozess teilnehmen ließen. Zumal für mich als Laiin nur schwer nachvollziehbar ist, welche bahnbrechend neuen Einsichten ausgerechnet im Zusammenhang mit ein wenig Stoff dazu geführt haben, dass fast die gesamte Zunft einen Kurswechsel um 180 Grad vollzogen hat.

Fast. Unbeirrt hält Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery an seiner kritischen Haltung zur Maskenpflicht fest. Bei unsachgemäßem Gebrauch könnten Masken sogar gefährlich sein. Tatsächlich wirksame Schutzmasken müssten medizinischem Personal und Gefährdeten vorbehalten bleiben. Eine Pflicht, Tücher oder Schals zu tragen, sei „lächerlich“.

Stunden könnte ich dem Mann zuhören. Ich bin ihm so dankbar. Mag ja sein, dass ich mich irre und dass es mir eines Tages peinlich ist, das geschrieben zu haben. Aber ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass es sich bei der Maskenpflicht um eine bizarre Form der Beschäftigungstherapie handelt. Gepaart, vielleicht, mit einer Er­geben­heits­adresse an die Regierenden.

So lange ich mit meiner Skepsis fast alleine bin, ist es ziemlich egal, welche Meinung ich vertrete. Aber wenn sich Misstrauen gegen einzelne staatliche Maßnahmen erst einmal Bahn bricht, wird es zunehmend schwierig werden, auch sinnvolle Entscheidungen durchzusetzen. Das könnte dann tatsächlich Leben gefährden. Macht wird ja nicht nur ausgeübt, sondern immer auch verliehen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Wie werde ich mich nun künftig verhalten? Brav. Natürlich. So wenig überzeugt ich von der Maskenpflicht bin, binde ich mir dennoch einen Fetzen um, wenn ich zum Einkaufen gehe. Weil ich keine Lust habe, mich anpöbeln zu lassen, ganz einfach. Da unterwerfe ich mich lieber dem so­zia­len Druck. Das hätte ich von mir nicht gedacht.

Während ich diesen Text schreibe, verfolge ich mit einem Auge die Berichterstattung auf n-tv. Unten am Bildschirmrand, dort, wo normalerweise aktuelle Meldungen zu lesen sind, steht plötzlich eine strenge Ermahnung: Tragen Sie eine Mund-Nasen-Bedeckung! Ein Nachrichtensender hält es für geboten, sein Publikum zu erziehen. Auch eine bemerkenswerte Entwicklung. Kannte man bisher in demokratischen Staaten eher nicht.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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