Mangelnde Diversität im Handball: Spiel der Autochthonen

Im deutschen Handball tummeln sich weiße Recken. SpielerInnen mit Zuwanderungsgeschichte findet man fast gar nicht. Woran liegt das?

Männer sitzen auf der Bank am Hallenrand, sie tragen Handballschuhe und sind vom Knie abwärts zu sehen

Handball ist Hallensport: Eine Straßenspielkultur wie im Fußball oder Basketball gibt es nicht Foto: imago/Eibner

Vor zwei Jahren wurde das deutsche Handball-Nationalteam Europameister. Dem Sport wurde eine Blüte vorausgesagt. Doch der Berliner Philosoph Wolfram Eilenberger wollte nicht so recht daran glauben. In seiner Kolumne für Zeit Online beschrieb er den Handball als konservatives Provinzvergnügen, in dem Menschen mit Migrationshintergrund keine Rolle spielen.

Eilenberger erhielt wütende Reaktionen. Sein Text sei eine Provokation gewesen, sagt er, vielleicht zu hart im Ton. Doch er führte auch dazu, dass in Verbänden und Vereinen intensiver über kulturelle Hintergründe nachgedacht wurde. „In vielen Ländern, aus denen wir eine intensive Zuwanderung haben, ist der Handball kein Sport mit hoher Strahlkraft“, sagt Eilenberger. Die Folge: Menschen mit Wurzeln in der Türkei oder in arabischen Ländern schicken ihre Kinder fast nie zum Handball, sondern zum Fußball oder zu Kampfsportarten.

Vor der am Donnerstag beginnenden Weltmeisterschaft in Deutschland und Dänemark hat sich kaum etwas geändert. Deutsche Nationalspieler, deren Biografien an Fußballkollegen wie Özil, Boateng oder Khedira erinnern, sucht man vergebens.

Natürlich ist die Handball-Bundesliga internatio­nal, aber die Nationalteams sind bis in die Jugend meist ziemlich homogen. Sichtungslehrgänge zeigen, dass höchstens 5 Prozent der Spieler eine Einwandererbiografie haben. Dabei hat in Deutschland ungefähr jede fünfte Person einen Migrationshintergrund. Warum spiegelt sich gesellschaftliche Vielfalt in der zweitwichtigsten Teamsportart nicht wider?

Typisch deutsche Werte

Das Ursachen sind komplex: Handball war über Jahrzehnte nur in ländlichen Gebieten und mittelgroßen Städten verankert. Der Trend zur Urbanisierung ist vergleichsweise jung. Die Sportsoziologen Klaus Cachay von der Universität Bielefeld und Carmen Borggrefe von der Universität Stuttgart haben in einigen Städten Daten erhoben: in Stuttgart, Bielefeld, Minden und Göppingen.

Nach ihren Beobachtungen, die im August 2018 im European Journal for Sport and Society erschienen sind, schließen Vereine Migranten nicht bewusst aus. Dennoch ziehen sie unbewusst Grenzen, indem sie Werte beanspruchen, die als typisch deutsch gelten: Bodenständigkeit, Ehrlichkeit, Authentizität. „Auf manchen Internetseiten der Vereine sieht man nur blonde, autochthon aussehende Kinder“, sagt Carmen Borggrefe. Das Signal: Wir sind eine geschlossene Gruppe.

In ihren Forschungen stießen die Wissenschaftler auf einen türkischstämmigen Spieler im Alter von 16 Jahren. Er erklärte im Interview, dass es sich für Handball entschieden habe, weil er zu den Deutschen gehören und sich von der türkischen Gemeinschaft abgrenzen wolle. „Das ist ein Extrembeispiel“, sagt Borggrefe. „Aber in Abstufungen hatten wir andere türkischstämmige Spielerinnen und Spieler, die Grenzen innerhalb ihrer eigenen Community gezogen haben.“

Der Handball wird in Hallen gespielt. Eine ungezwungene Straßenspielkultur wie im Fußball oder Basketball gibt es nicht. Zudem sind die Handballvereine sozial weniger durchmischt, sagt Klaus Cachay, der als Spieler Anfang der 1970er Jahre mit Frisch Auf Göppingen erfolgreich war.

„Der Handball muss in die Schulen und in die Kindergärten“

Für eine gesellschaftliche Öffnung sollten die Vereine auf Schulen zugehen, sagt Cachay: „Die Schule ist ein Raum des Vertrauens. Der Verein hat diesen Vertrauensvorschuss bei Familien mit Migrationshintergrund nicht. Leider findet Handball in der Schule so gut wie gar nicht statt. Die Qualifizierung der Sportlehrer ist nicht genügend.“ Auch Handball-AGs finden gibt es jenseits des Unterrichts selten.

Cachay und Borggrefe beleuchten in ihren Forschungen auch zwei Breitensportvereine, die überdurchschnittlich viele Migranten in ihren Reihen haben. Über Jahre waren dort engagierte Trainer und Betreuer auf unterschiedliche Milieus zugegangen. Eine ähnliche Offensive erwarten die Wissenschaftler vom Deutschen Handball-Bund. Es gebe zwar inzwischen etliche Broschüren und Programme zu Integration im Sport, sagt Cachay. „Aber ohne verpflichtende Fortbildungen werden diese von den Vereinen nicht wahrgenommen.“

Bob Hanning, Vizepräsident beim DHB für Leistungssport, nimmt die Anregungen auf. „Beim Verband hat sich viel getan, aber er muss sich noch weiter entwickeln“, sagt Hanning und verweist auf die Umstrukturierung im DHB. Im Vorstand gibt es nun einen Posten für Mitgliederentwicklung. Bei den Landesverbänden wird das Thema jedoch mit unterschiedlichem Tempo angegangen. „Der Handball muss in die Schulen und in die Kindergärten“, sagt Hanning. „Dort müssen wir die Kinder abholen.“

Hanning hat als Geschäftsführer des Bundesligisten Füchse Berlin etliche Projekte mit Schulen angestoßen. Jenseits der Metropolen haben viele kleinere Vereine in den vergangenen zehn Jahren bis zu 30 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Ein Zugehen auf Menschen mit Einwanderungsgeschichte wäre für sie nicht nur eine gesellschaftliche Aufgabe. Es könnte langfristig den Spielbetrieb sichern. Daher geht es bei der WM nicht nur ums Nationalteam, sondern auch um Werbung für deren Basis.

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