Mahnwache gegen „Ende Gelände“: Protest gegen den Protest

Bergleute demonstrieren mit einer Kundgebung gegen die angebliche „Gewalttätigkeit“ der KlimaschützerInnen.

Vor einem Zirkuszelt stehen viele kleine Zelte

Bisher sieht alles friedlich aus Foto: dpa

JACKERATH/ERKELENZ taz | Was tut man, wenn man gerade einen Aufreger braucht, es aber keinen gibt? Man denkt sich einen aus. So wie Jens Spahn die englischsprechenden Hipster und ihre „kulturelle Selbstverzwergung“ in Berlin. Ganz ähnlich hat die Gewerkschaft IG BCE im rheinischen Braunkohlerevier der „Gewalt“ von KlimaschützerInnen in diesen Tagen den Kampf angesagt. Davon nämlich hat sie die „Schnauze voll“ – so das Motto ihrer 24-stündigen Mahnwache am Rand des Tagebaus Garzweiler. Die Aktion ist ihre Erwiderung auf das „Ende Gelände“-Klimacamp. Während sich dort, einige Kilometer weiter westlich, am Donnerstagmittag rund 3.000 KohlegegnerInnen auf die geplanten Besetzungen des Tagebaus vorbereiten, entzünden die Kumpel an der Autobahnabfahrt Jackerath ein „Mahnfeuer“.

Dabei sprechen sie weniger von Arbeitsplätzen oder Kohle, dafür umso mehr über drohende „Gewalt“ gegen Kumpel. Die Sonne scheint, etwa 100 Männer in Warnwesten haben sich versammelt, in Metallschalen kokeln Holzscheite, daneben grillt ein Bergmann. „Wir für Deutschland“, steht auf einem Plakat, das über ihm hängt. „Wir müssen raus aus den Betrieben, unsere Belange klarmachen“, sagt Walter Butterweg. 1979 kam er zur Rheinbraun AG, die heute RWE Power heißt, seit 2005 ist er freigestellter Betriebsrat. „Wenn wir von Gewalt sprechen, dann meinen wir die körperliche Unversehrtheit von unseren Kollegen.“

Bei den zurückliegenden Klimacamps, 2015 und 2016, sei zwar kein einziger Bergmann zu Schaden gekommen, räumt Butterweg ein. Aber das könnte sich ja ändern. Butterweg und andere verweisen immer wieder auf Sabotageaktionen von KohlegegnerInnen im weiter südlich gelegenen Hambacher Wald, der für einen weiteren Tagebau gerodet werden soll.

Denn schließlich, bei ihrem jetzt startenden Camp, hätten die UmweltschützerInnen eine „rote Linie“ angekündigt, sagt der IG BCE-Sekretär Manfred Maresch. „Das macht uns Sorgen.“ Gegen „Meinungsäußerung“ hätte ja niemand was, im Gegenteil, „das finden wir toll,“ aber: „Bitte gewaltfrei.“ Immer wieder versichern die Bergleute, sie wollten die Camper „nicht alle mit Straftätern gleichsetzen“. Andererseits: „In der Masse gehen die Straftäter unter.“

So wollen die Bergleute den UmweltschützerInnen in diesen Tagen begegnen: Sie in die Nähe von Militanten rücken und so unter Druck setzen – eine nach den G20-Krawallen womöglich erfolgversprechende Strategie. Die Gewaltfrage sei „bei denen schließlich eine schwierige Diskussion“, sagt Maresch. Zwar hätten die Aktivisten sich zu einem „Aktionskonsens“ verpflichtet, der die „Gefährdung von Menschen“ ausschließt. „Das finden wir gut“, sagt Marsch. Aber sie wollen mehr: „Eine absolute Distanzierung von dem was im Hambacher Forst passiert.“

Ziviler Ungehorsam interessiert sie nicht

Die Aktionen, die die CamperInnen für dieses Wochenende angekündigt haben, fallen jedoch in eine andere Kategorie: Ziviler Ungehorsam. Sitzblockaden etwa. Wie finden die Bergleute das? „Das klammern wir immer aus,“ sagt Maresch. „Das ist nicht unsere Diskussion. Das sind ja auch Straftaten, aber das muss die Polizei entscheiden.“

Tatsächlich aber reden die KohlearbeiterInnen und die KohlegegnerInnen viel mehr miteinander, als man vermuten könnte. 2016 wurden Butterweg und zwei weitere Kumpel auf das letzte Klimacamp eingeladen. „Da haben wir unsere Positionen persönlich klargemacht, das war eine angenehme Atmosphäre, null Agressivität“, sagt er. Maresch hat in den vergangenen Tagen das Camp des BUND und eine Podiumsdiskussion im Camp besucht. „Das ist neu, dieses Verhältnis“, sagt er. Und auch jetzt, zum Beginn der Mahnwache sind zwei der CampsprecherInnen gekommen. „Den Milan und die Janna, die kennen wir schon,“ sagt Maresch, „die haben wir zum diskutieren eingeladen.“

Inhaltlich näher, so stellen die Bergleute klar, kommt man sich allerdings nicht: „Wir haben da keinen Konsens, keine einheitliche Meinung“, sagt Maresch. „Die wollen eine andere Welt, aber das ist nicht unsere“, sagt Butterweg. Denn zur Welt, die die Kumpel wollen, gehört der Tagebau dazu. „Manche von den Klimaschützern sagen ja: Das soll nicht eure Sache sein. Ihr kriegt Geld und wir machen das Ding zu. Aber das wollen wir nicht. Das ist ein Lebensgefühl für uns. Wir identifizieren uns mit unserer Arbeit.“

Im Camp selbst, einer etwa zwei Fußballfelder großen Wiese, die von rot-gelben Zirkuszelten und ein paar hohen, alten Bäumen begrenzt wird, ist die Stimmung am Donnerstag gelöst und entspannt. Schon jetzt sind mehr als 2.000 Menschen vor Ort, die meisten zwischen 20 und 40, viele sitzen auf dem strohbedeckten Boden. Ein paar sind barfuß, andere tragen feste Wanderschuhe, viele Wollpullis. „Ziemlich hippiesk“, sagte eine 20-Jährige aus Dänemark und schaut sich um. „Aber irgendwie auch politisch genug, dass ich mich hier wiederfinde.“

Aus ganz Europa sind Menschen angereist, bei den Plena oft zu erkennen an kleinen Radios, die sie sich an die Ohren halten und über die die Simultanübersetzung übertragen wird. Aus Dänemark und Großbritannien sind ganze Busse mit AktivistInnen gekommen, eine rund zehnköpfige Gruppe ist 18 Tage lang von Wien bis ins Rheinland geradelt, um die Anreise zum Klimacamp auch CO2-neutral zu gestalten.

Vorbereitung auf gewaltfreie Aktionen

Schon vormittags herrscht Betriebsamkeit, kleinere und größere Gruppen besprechen sich, in welchen „Fingern“, so nennen sich einzelne Teile der Aktion, sie mitlaufen wollen. Viele stopfen Stroh in gelbe und rote Netzsäcke, die sie später zum Schutz in die Aktion mitnehmen wollen, bemalen weiße Baumarktanzüge oder Regenschirme oder packen Proviantpakete. Im Zelt, in dem Material ausgegeben wird, können noch Atemschutzmasken gegen den Braunkohlestaub abgeholt werden.

Dieses Jahr wird das Konzept schon allein wegen der geografischen Lage und der Größe des Reviers in die Fläche gespielt: Es soll darum gehen, verschiedene Gruben und Schienen einzubinden. „Wir wollen ganz viel Chaos verbreiten“, motiviert eine Rednerin die AktivistInnen. Es wird Fahrraddemos geben, Sitzblockaden, Menschenketten und Kleingruppenaktionen. Der Vorteil: Wenn irgendwo was schief geht, funktioniert es woanders. Und schwer nachzuvollziehen für Sicherheitskräfte ist es sowieso.

Auch die Struktur, mit der es in die Aktion gehen soll, hat sich ausdifferenziert: Es gibt mehr Finger als noch vergangenes Jahr, sie organisieren sich selbstständiger, und sie haben sich eigene Themen gegeben. Ein Finger zeigt sich solidarisch mit Menschen, die vom steigenden Meeresspiegel bedroht sind, einer will zeigen, was Feminismus mit dem Klimawandel zu tun hat.

Auch für den Ernstfall wird geübt: Sitzblockaden und das Durchfließen von Polizeiketten werden simuliert, auch die Erfahrung, sich wegtragen zu lassen, kann schonmal geprobt werden. Bei einem Aktionstraining sitzen etwa dreißig Menschen auf dem Boden und halten sich gegenseitig fest. „Auf geht’s, ab geht’s, Ende Gelände!“, brüllen sie einer anderen Gruppe entgegen, die die Sitzenden erbarmungslos auseinanderreißt und wegträgt – den PolizistInnen also, die die Demonstrierenden aus der Blockade entfernen wollen. „Wir bereiten die Leute darauf vor, dass es zu stressigen Situationen kommen kann, und dass es deswegen wichtig ist, in einer Bezugsgruppe organisiert zu sein“, erklärt eine Aktivistin von Ende Gelände.

Mit einigen von der IG BCE sei Ende Gelände gut im Gespräch, sagt Sprecherin Insa Vries. „Die wissen, dass es den Strukturwandel gibt und haben auch Interesse daran, ihn gut zu gestalten.“ Und was die Gewalt angehe: Der Konsens, dass von Ende Gelände keine Gewalt ausgehe, sei bislang immer eingehalten worden.

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