Magazinmacher-Treffen Indiecon: Independence ist kein Programm

Schön, dass so viele Magazine jenseits der Großverlage erscheinen – schade, dass die meisten nur wenig zu sagen haben.

Finde die Indies: auch nicht immer gehaltvoller als die Großen. Bild: dpa

Wenn Teenager heutzutage Gleichaltrige als Indie bezeichen, dann ist das nicht als Lob gemeint. Stattdessen wird da jemand für sein Streben bestraft, sich von der Masse abzusetzen. Das mehr oder weniger ostentative Ausscheren aus der Masse wird als unauthentisch, als Masche begriffen. Dieses Verdikt trifft beileibe nicht nur Gleichaltrige – als noch unechter gelten die vielen Berufsjugendlichen, die mit Turnschuhen, Facebook-Account und lustigen Anglizismen ihr Alter verschleiern.

Oder die trendigen Einzelhändler, die es mit einer besonders individuellen Ansprache der Kunden versuchen – wie der Buchladen in Berlin Mitte, an dessen Fassade nicht nur der Name steht, sondern auch verheißungsvoll: „Not just another bookstore.“ Und der tatsächlich mit seinem großen Holztisch und der zischenden Espressomaschine eher an eine Starbucksfiliale erinnert als an ein Buchgeschäft. Der Laden wird von vielen Unter-20-Jährigen gemieden.

Nun steht im Magazingeschäft das Wort Indie nicht für Individualität sondern für Independence, also für Unabhängigkeit, und dennoch wird dieses Etikett mit demselben wohligen Gefühl vor sich hergetragen, auf der richtigen Seite zu stehen. Zum Beispiel auf keinen Großverlag angewiesen zu sein, auf die Marktforschung zu pfeifen und nach Bauchgefühl zu agieren.

Das sind für Herausgeber und Kleinverleger hehre Voraussetzungen, aber wenn auf der anderen Seite nur ein analoges Abbild der narzisstischen Moden des Internets steht, dann bleibt ein blödes Gefühl. Kurz gesagt: Ein Magazin, das sich vor allem mit kleinen Whiskey-Brennereien und lustigen Einrichtungsideen fürs Wohnzimmer beschäftigt,wird ja nicht deshalb gehaltvoller, weil es nicht bei Gruner + Jahr oder im Burda-Verlag erscheint.

*1968, war Redakteur bei der taz, der Berliner Zeitung, beim Spiegel und bei der Süddeutschen Zeitung, bevor er 2003 sein eigenes Magazin Dummy gründete. Seit 2008 ist er für die redaktionelle Koordination des Magazins Fluter im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung zuständig.

Zum „Indiecon“ genannten Ferstival versammeln sich am 5. und 6. September in Hamburg rund hundert Menschen, die unabhängige Magazine publizieren. Also ohne Burda, Bauer, Springer, sondern ganz alleine oder im kleinen bis mittelgroßen Eigenverlag.

Manche der Hefte liegen am Kiosk, manche gibt es nur in handgeklebter Kleinauflage. Dabei sind etablierte Titel wie Brandeins, aber auch lokale, kostenlos vertriebene Magazine wie Read oder Stadtlichh

„Was ist Indie?“ ist die Leitfrage der Indiecon, zu der Olivers Gehrs mit diesem Text einen Anstoß gegeben hat.

So wie das Stricken eine Renaissance erlebt, das Kochen bei Freunden und das mittlerweile omnipräsente Wort „Manufaktur“ – als Chiffre für das bessere Produzieren – so erleben derzeit auch gedruckte Magazine ein Comeback. Dabei lohnt sich ein wenig Trennschärfe und ein wenig Demut auch. Denn was da so unter der Flagge Independent-Magazin durchs Meer der Zeitschriften segelt, ist bei näherem Hinsehen auch nicht werthaltiger als viele Seiten im Internet oder mancher Titel der bösen Großverlage.

Man möge doch mal die Probe aufs Exempel machen und im Weihetempel der Indie-Magazine nach Lesestoff suchen. Also im Berliner Laden „Do you read me“, der schon vor Jahren die Sehnsucht mancher Menschen nach Journalismus jenseits der Konfektionsware am Kiosk entdeckt hat und erfolgreich zu befriedigen weiß.

Die Regale sind voll kunstvoller Zeitschriften aus aller Welt, und es werden immer mehr. Wunderbare Fotografie glänzt auf den Covern von Magazinen, deren geheimnisvolle Namen wenig bis gar nichts Layouts, für die man sich ein begleitendes Booklet wünscht, um sie dechiffrieren zu können. Man geht durch die Reihen, blättert und staunt über die vielen Hefte vornehmlich zu den Themen Mode, schwuler Sex und individuelle Interieurs. Am Ende geht man womöglich lieber mit einer Brandeins oder der Zeit aus dem Laden, die man dort Gott sei Dank auch noch kaufen kann.

Kein Hirnfutter

Vielleicht, weil die Besitzer vom „Do you read me“ wissen, dass die meisten der angebotenen Zeitschriften eher Augen-, statt Hirnfutter sind. Coffeetablebücher im Magazinformat. Blätter, die man nicht lesen kann, über Wohneinrichtungen, die man nicht kaufen kann.

Ganz im Ernst: Wer etwas zu lesen, qualitätsvolle Recherche, gesellschaftlich wichtige Geschichten sucht, der ist inmitten all der Neugründungen womöglich am falschen Ort. Es dominiert die Form in Gestalt jener Selbstverliebtheit, die man aus sozialen Netzwerken kennt. Statt Reflexion gibt es Dekoration.

Dass ein Großteil der neuen Magazine grafik- und nicht inhaltsgetrieben ist, wundert nicht. Oft werden sie heute von Artdirektoren gegründet und nicht von Journalisten. Das überbevölkerte Grafikdesign wartet nicht länger auf Engagements, es schafft sich seine eigenen Auftritte, und die sind oftmals gekennzeichnet von einer Feier des eigenen Lifestyles. So wie sich mancher dieser neuen Magazinmacher selbst gern mit Tätowierungen, Vollbart und einem trendigen Fixie komplettiert, so strotzen diese Hefte von einer Reduzierung auf Äußerlichkeiten.

So wie Websites wie „Freunde von Freunden“, auf denen man sich gegenseitig für seine Einrichtungsideen feiert, im Internet reüssieren, so sehr sind viele Grafiker eher daran interessiert, ihren Freunden aus dem Designstudium zu gefallen als dem Leser zu dienen. Schön, dass es so wenig Text gibt und wenn, dann wird der nach allen Regeln der Kunst dekonstruiert. Das sieht dann so aus, dass die Paginierung größer ist als die Überschrift, die manchmal kleiner ist als die Subline.

Eine Zumutung

Manchmal rücken die Texte ganz nah an die Bilder, das kann man dann nicht so gut lesen, macht man aber jetzt so, weil es vorher noch keiner gemacht hat. Eine besonders hässliche Schrift wiederum ist oft ein Querverweis auf Typodiskurse in der Szene, die feinen Linien, die sich durch den Text ziehen, sehen einfach schick aus. Für Menschen, die lesen und nicht nur gucken wollen, ist das oft eine Zumutung.

Nichts gegen ein neues Selbstbewusstsein der Artdirektoren, aber gute Magazine entstehen nur dann, wenn Grafiker und Journalisten eine Kollaboration eingehen. Denn das ist ja auch klar: Magazine von Journalisten, die den Artdirektor nur als Dienstleister sehen, der die Bleiwüsten irgendwie parzelliert, sind genauso öde. Es spricht ja nichts dagegen, dass heute Magazine von gelangweilten Grafikern gegründet werden, aber es spräche einiges dafür, dass sich diese Grafiker mit Journalisten zusammentun, die nicht nur den Workshop Modejournalismus besucht haben.

Solange diese Art Zusammenarbeit aber eher in den USA oder den Niederlanden vorkommt als in Deutschland, ist das Label Independent-Magazin genauso marktschreierisch wie der Untertitel „Zeitgenössische Pizza“ für ein italienisches Restaurant in Prenzlauer Berg. Unabhängig? Leider nicht von den Moden dieser selbstverliebten Zeit.

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