Macker im Fußball: Kleine Pässe statt dicke Eier

Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm wird vorgeworfen, zu wenig Eier zu haben. Solches Gerede ist von gestern. Heute werden Titel im Team gewonnen.

Xavi, Messi, Busquets – und oben drauf noch Iniesta. Die früheren Ordnungen im Fußball gelten nicht mehr. Bild: reuters

Der interessanteste Spieler der Bundesliga ist derzeit zweifellos Bastian Schweinsteiger. Der frühere "Schweini" ist aktuell beim FC Bayern sicher noch nicht in Topform. Allerdings legt der neue Trainer Jupp Heynckes das Hauptaugenmerk zunächst auf die Stabilisierung der Defensivarbeit.

Das 2:0 gegen den FC Zürich am Mittwoch in der Champions-League-Qualifikation war das dritte zu null in vier Pflichtspielen. Inmitten der allgemeinen Vorsicht ist es für Schweinsteiger nicht einfach, das Tempo der Passfolgen so zu erhöhen, wie es nötig ist, damit Ballbesitzfußball nicht im Leerlauf endet.

Grundsätzlich aber ist Schweinsteiger, 27, ein moderner Weltklassefußballer und inmitten einer vorangeschrittenen Entwicklung vom individualistischen Flügeldribbler zu einer Art Xavi des deutschen Fußballs. Beim 3:2 der Nationalmannschaft gegen Brasilien hat er sein Handwerk unlängst fast in Perfektion ausgeübt. Er ist ein Meister der scheinbar einfachen Bälle geworden.

Diese kleinen, direkten Pässe - Schweinsteiger spielt sie auch noch unprätentiös mit dem Innenrist - sind der Rhythmus des modernen Fußballs: Klack, klack, klack, oder wie Xavi zu sagen pflegt: "Toque, toque, toque". Das hat Spanien zum Welt- und Europameister gemacht und den FC Barcelona zur besten Mannschaft der Welt. Netzers legendär verklärte Flugbälle - einst Deutschlands Metapher für Perfektion - werden heute allenfalls als zusätzliche Variante angewandt.

Xavi und Schweinsteiger

Hinter Xavis und Schweinsteigers Spiel steht ein neues Verständnis von Fußball: Der wichtigste Mann spielt die kleinsten Pässe. Das beinhaltet notwendigerweise auch ein anderes Verständnis von "Führung", als es die Heldenfußballer Beckenbauer, Matthäus oder Kahn im 20. Jahrhundert praktizierten.

Nach Kahns Verständnis sind nun aber die international titellosen Jahre für Deutschland und die Bayern seit 2001 darauf zurückzuführen, dass Schweinsteiger und Kollege Philipp Lahm "vehement leugnen, dass eine Mannschaft echte Führungsspieler braucht", dass sie sich scheuten, die "unbequemen Wahrheiten auszusprechen", und damit egoistisch ihr Image vor den Erfolg stellten.

Dass der frühere Bayern- und Nationaltorwart seine Eigen- und Weltsicht ("Wir brauchen Eier!") verteidigt, kann man verstehen. Er lebt davon. Und dass Beckenbauer ihm beispringt und das ("notfalls") In-den-Hintern-Treten von Mitspielern als Grundlage für maximale Erfolge benennt, ebenfalls. So hat er es ja damals mit Uli Hoeneß gemacht. Sehr erfolgreich. Das war 1974.

Flache Hierarchien sind für BILD ein Problem

Wenn Schweinsteiger und Lahm "den nächsten Schritt in ihrer Entwicklung" machen sollen, wie Kahn im Kicker sagte, dann eher nicht jenen, den er im Kopf hat. Es wäre unweigerlich ein Schritt zurück. "Flache Hierarchien" mögen für Bild und seine Protagonisten ein Problem sein, aber sicher nicht für Teams, die Erfolge haben wollen. Soll Schweinsteiger sich hinstellen und "Wir brauchen Eier" rufen oder sogenannte Wutreden halten? Lächerlich.

Der Fortschritt besteht ja eben darin, dass Lahm und Schweinsteiger ihren Mitspielern nicht körperlich oder verbal Gewalt antun, wie einst Kahn das tat. Es sind zwei Dinge, die im modernen Teamfußball immer wichtiger werden: Die Strategie – und der Teamspirit, wie man an Barcelona und auch an Dortmund oder Mainz sehen kann. Man kann trotz der Niederlage im Champions-League-Finale sagen, dass 2010 das größte Jahr der Bayern seit Jahrzehnten war. Es war das erste Van-Gaal-Jahr und das Jahr, in dem Qualität, Strategie und eben auch Teamspirit zusammenkamen.

Altruistische, soziale Teamplayer

Was die Wichtigkeit des Starfußballers angeht, der es allein reißt: Ja, Messi ist ein solitärer Angreifer. Aber das Barca-Spanien ist auch ohne ihn Weltmeister geworden. Aber nicht, weil Schweinsteiger und Lahm die Eier fehlen, um rumzuschreien, sondern weil Spanien mit Xavi und Iniesta die besseren neuen Führungsspieler hatte. Altruistische, soziale Teamplayer, die ihren Vorsprung dadurch haben, dass sie das dienende Verständnis vom Starsein beim FC Barcelona seit 20 Jahren täglich leben müssen oder dürfen.

Das Problem von Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm besteht darin, dass sie Wanderer sind zwischen der neuen Welt von Joachim Löw und der in Teilen alten Welt des FC Bayern. Wenn aber deutsche Teams wieder Titel gewinnen sollen, dann muss Schweinsteiger ganz Xavi werden – und nicht Lothar Matthäus. Genau darum geht der Kampf zwischen der alten und der neuen Schule.

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