Loveparade-Prozess in Düsseldorf: Spiel auf Zeit

Der Prozess startet zäh: Die Verteidiger fahren mit immer neuen Anträgen eine Verzögerungsstrategie. Denn die Anklage verjährt in zwei Jahren.

Zwei Ordner stehen nebeneinander

Prozessordner mit Ermittlungsakten. Bei dem Umzug starben 21 Menschen, Hunderte wurden verletzt Foto: dpa

DÜSSELDORF taz | Multiple Quetschungen des Brustkorbs, Schädel-Hirn-Traumata, Nierenblutungen, diverse Brüche, dazu posttraumatische Belastungsstörungen: Die Verletzungen, die Oberstaatsanwalt Uwe Mühlhoff am ersten Verhandlungstag im Loveparade-Prozess aus seiner Anklageschrift verliest, sorgen für absolute Stille im Gerichtssaal. 21 Menschen starben am 24. Juli 2010 bei dem Techno-Event, mindestens 652 wurden verletzt. Lange siebeneinhalb Jahre später hat das Landgericht Duisburg in seiner Außenstelle in Düsseldorf am Freitag mit der juristischen Aufarbeitung der Katastrophe begonnen.

Vor Gericht stehen Duisburgs ehemaliger Stadtentwicklungsdezernent Jürgen Dressler, Ex-Bauamtsleiterin Anja Geer und vier weitere ihrer Mitarbeiter. Auf Seiten des Veranstalters Lopavent sind der Gesamtleiter des Techno-Events, sein Sicherheitschef, der Produktionsleiter und der technische Leiter angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen fahrlässige Tötung und Körperverletzung vor.

Alle Angeklagten hätten erkennen müssen, dass der Mega-Rave „nicht durchführbar und damit auch nicht genehmigungsfähig“ war, argumentiert Mühlhoff. Viel zu eng seien die Zugänge durch den zum Loveparade-Festplatz führenden Karl-Lehr-Tunnel und über die sich anschließende Rampe gewesen. Mit 250.000 Techno-Fans hatte der Veranstalter geplant. 228 Menschen pro Meter und Minute hätten damit Tunnel und Rampe passieren sollen – 82 gelten selbst unter optimalen Bedingungen als realistisch. Die Folge, so der Oberstaatsanwalt: „Menschenverdichtungen“ – und dann Todesopfer.

Trotzdem müssen sich diejenigen, die den Mega-Rave um jeden Preis durchgesetzt haben, nicht vor Gericht verantworten: Weil sie nicht an der Detailplanung beteiligt waren, wurde gegen Lopavent-Inhaber Rainer Schaller und Duisburgs Ex-Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) nicht einmal ermittelt.

Ihre angeklagten zehn Untergebenen werden von 32 AnwältInnen verteidigt. Schon am ersten Prozesstag setzten diese auf eine Verzögerungsstrategie: Durch verschiedenste Anträge der Verteidigung wurde die vom Vorsitzenden Richter Mario Plein geleitete Verhandlung immer wieder unterbrochen.

Leere Reihen der Nebenkläger

Bemängelt wurde die Anwesenheit potenzieller ZeugInnen. Außerdem stellten die Anwälte Befangenheitsanträge gegen zwei Ersatzschöffen, deren Töchter bei der Loveparade dabei waren. Zwar wurden diese nicht verletzt – die Laienrichter könnten aber dennoch befangen sein, rügten die Verteidiger.

Anwalt Christof Püschel versuchte sogar, die gesamte Anklageschrift für nichtig zu erklären – schließlich seien verschiedene Nebenkläger darin nicht als Opfer erwähnt. Dabei steht der Prozess schon jetzt unter Zeitdruck: Zehn Jahre nach der Katastrophe, also am 24. Juli 2020, greifen „absolute Verjährungsfristen“. Urteile würden dann nicht mehr fallen, der Prozess im Nichts enden.

Das öffentliche Interesse blieb überraschend gering: Von 254 für ZuschauerInnen vorgesehen Plätzen waren nur 45 besetzt – dabei verhandelt das Gericht wegen des erwarteten Besucheransturms nicht in Duisburg, sondern in extra angemieteten Räumen der Messe Düsseldorf.

Auffallend leer blieben auch die Reihen der 65 Nebenkläger: Etwa die Hälfte war nicht erschienen. Grund dafür: „Selbst arbeitsunfähigen, mittellosen Loveparade-Opfern werden Reise- und Übernachtungskosten nicht erstattet“, sagt der Bochumer Hochschullehrer Thomas Feltes, der den Vater der getöteten Studentin Svenja Reißaus vertritt. Hier müsse das Gericht dringend nachbessern, fordert der Anwalt: „Nebenkläger müssen die Möglichkeit haben, am Prozess teilzunehmen – zumindest wenn Dinge verhandelt werden, die sie unmittelbar betreffen.“

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