„Lohengrin“ an der Deutschen Oper: Wenn Jungens träumen

Ohne Schwan, aber mit Flügeln: Kasper Holten hat für die Deutsche Oper Berlin Richard Wagners „Lohengrin“ neu inszeniert. Er wird sogar mit dem gröbsten Unfug fertig.

Neuinszenierung von „Lohengrien“ an der Deutschen Oper. Bild: Marcus Lieberenz

Es ist Nacht, ein Komet fällt vom Himmel, die Erde ist übersät mit toten Soldaten. Dazu spielen vier Soloviolinen im Flageolett eine armselige kleine Melodie, die so wenig Kraft hat, dass sie sofort in die Moll-Parallele fällt. Mühsam krabbelt sie dann wieder in das reine Dur zurück, das ihr eigentlich gehört. Flöten helfen ihr dabei, dann auch tiefer, mit vollerem Ton spielende Streicher.

Sehr langsam schweben sie alle zusammen herab, goldene Hörner und weich gefederte Bässe nehmen sie in Empfang. Wir sind gelandet, und ein schwarzer Vorhang fällt. Mit einem breiten Pinsel voll weißer Farbe hat jemand das Wort „Lohengrin“ darauf geschrieben und ein bisschen gekleckert dabei.

Kein Video nirgends. Die Dänen Kasper Holten für die Regie und Steffen Aarfing für Bühne und Kostüme haben sich dieses gemalte Bild ausgedacht, das von Anfang an fast alles sagt, was es hier zu sagen gibt. Allein schon der Name „Lohengrin“ und noch mehr dieses ziellose, narkotische Klingen der Gralsmusik sind ein Inbegriff all dessen, was man an Wagner lieben und hassen muss: Mythische Krieger und Helden, verklärt in einer Musik ohne Form und Gestalt, deren suggestiver Kraft man sich kaum entziehen kann.

Holten und Aarfing stellen sie in den Kontext, in den sie gehören. Der Gral schwebt über dem Schlachtfeld wie ein böser Traum von Männern, die so furchtbar gerne allmächtige Götter wären.

Aber das sind sie nicht. Der schwarze Vorhang mit dem mystischen Namen fährt wieder hoch, auf der Bühne steht Albrecht Dohmen und ruft als König Heinrich mit mächtigem Bass nach neuen Truppen für einen neuen Krieg gegen die Ungarn und möglicherweise auch gegen die Dänen. Holten gesteht im Programmheft, dass ihn der Blick von der Deutschen Oper zur Berliner Siegesäule irritiert. Sie ist für den Sieg der Preußen im Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 errichtet worden.

Das weiß heute wahrscheinlich kaum noch ein Berliner, aber gerade deswegen ist es gut, bei Lohengrin auch daran zu erinnern. Die Oper ist 1850 in Weimar uraufgeführt worden. Liszt hat dirigiert, Wagner war nach Paris geflohen, die März-Revolution geschlagen, die politische Idee des deutschen Nationalstaates aber umso lebendiger.

All das gehört zur Aktualität des Lohengrin, die Holten und Aarfing mühelos in die Gegenwart übersetzen. Der Chor trägt Militäruniformen jeder Zeit und jedes Staates. Soldaten werden gebraucht, aber es gibt ein Problem mit der Führung. In Brabant möchte die letzte Überlebende eines alten Clans die Macht zurückerobern, und wirft Elsa, der designierten Erbfolgerin der gegenwärtig herrschenden Clique einen Brudermord vor. Beweise gibt es nicht, allein die pure Gewalt muss entscheiden. Der König ordnet ein so genanntes Gottesurteil an, und mit geradezu cineastischer Genialität hat Wagner damit den Auftritt seines Helden vorbereitet: Lohengrin erscheint, in einem Boot übers Wasser kommt er an Land, gezogen von einem Schwan.

Unter dem vielen groben Unfug, den Wagner in seine Textbücher schrieb, ist das vermutlich der gröbste. Aber Holten wird selbst damit fertig, was allein schon seine Regie zu einem Meisterstück macht. Natürlich zeigt er nicht den Schwan. Nur der Chor schaut gebannt in den Zuschauerraum, als ob dort das Wunder geschähe, während in seinem Rücken tatsächlich Klaus Florian Vogt die Bühne betritt, eingehüllt in leuchtenden Theaternebel, schulterlanges Haar, auf dem Rücken zwei glänzend weiße Schwanenflügel.

Traum der Allmacht

Vogt hat nicht nur eine wundervolle Tenorstimme, sondern auch eine Figur, die diesen Auftritt zum Ereignis macht: Ein Bild von einem Mann, überirdisch und makellos. Der Führer ist gekommen, alle liegen ihm zu Füssen. Man muss nicht an Hitler denken, der diese Oper natürlich liebte, aber man muss ihn auch nicht verdrängen. Was Holt großartig inszeniert, ist das universal gültige Modell eines im Kern unpolitischen, pubertären Traumes der Allmacht. Wo so einer nur auftaucht, versinkt alles irdische zu Staub. Nur unreife Jungs können wahrscheinlich so träumen.

Elsa, die mit ihm an ihrer Seite hoffen zwar darf, doch noch an der Macht zu bleiben, durchschaut ihn deshalb schon in der Hochzeitsnacht. Niemand darf nämlich wissen, wer der Strahlemann eigentlich ist. Sie aber will es wissen, und Wagners Oper erreicht damit ihren dramatischen Höhepunkt. Nach den sehr viel größeren Mühen der Ebene in den zwei langen Akten davor, haben Holten und Aarfing ein leichtes Spiel. Wieder ist das Schlachtfeld zu sehen, aber jetzt liegen die Toten in Särgen. Danach darf Vogt seine Gralserzählung singen.

Es war Wagners letzter Versuch, eine richtige Opernarie zu schreiben. Er ist kläglich misslungen. Es fehlte ihm schlicht an melodischer Phantasie. Vogt singt dieses lange Stück Musik hinreißend schön. Es kommt trotzdem kaum von der Stelle, hört ohne Höhepunkt und Dramatik auf, um dem allgemeinen Schlusslärm Platz zu machen, den Wagner besser konnte und auch Donald Runnicles und sein Orchester prächtig hinkriegen - luxuriöserweise sogar mit live spielenden, im ganzen Raum verteilten Blech- und Schlagzeuggruppen aufgerüstet. Wagner war ein Genie des Effekts, aber was nun Lohengrin, den Helden, angeht: „Nie sollst du mich befragen“.

Holten hat es getan. Das ist vermutlich die einzig mögliche Art, dieses Werk auf die Bühne zu bringen. Es nützt nichts, es bloß lächerlich zu machen, man muss es ernst nehmen. Dann wird es symptomatisch. Und falls es jemand noch nicht weiß: Lohengrin selbst ist niemand, sagt er selber, denn er ist nur der Sohn eines sehr mächtigen Vaters. Der heißt Parsifal. Mehr darüber in der nächsten Oper.

Deutsche Oper Berlin, nächste Vorstellungen: 15., 19., 22., 25., 28. 4. 2012

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