Leichtathletik-EM am Breitscheidplatz: Was geht denn hier?

Die Leichtathletik-Europameisterschaft in der Innenstadt soll BerlinerInnen für diese Sportart begeistern. Klappt das? Ein Besuch am ersten Wettkampftag.

Da wurde es laut am Breitscheidplatz: Der deutsche Geher Nathaniel Seiler kommt nach 50 Kilometern als siebter ins Ziel

Und dann, ganz unvermittelt, gleich ein paar Meter hinter der Brücke über den Landwehrkanal am Katharina-Heinroth-Ufer, ist Leichtathletik-EM in der Stadt: Ein Gitter versperrt am Dienstagvormittag das Weiterkommen in Richtung Breitscheidplatz, eine Handvoll KampfrichterInnen darbt auf Klappstühlen in der Sonne, und die 50-Kilometer-GeherInnen, die hier seit halb neun in der Frühe um die ersten Medaillen dieser Kontinentalmeisterschaften kämpfen, sehen in ihren klatschnassen Leibchen aus wie einmal durch den Badesee gezogen.

So wenige Zuschauer klatschen Beifall, dass man ihr Klatschen einzeln und arythmisch hört: Klapp. Klapp-klapp. Klapp. Hier, am äußersten westlichen Punkt der Zwei-Kilometer-Runde für die GeherInnen, könnte man auch meinen, man wohne gerade den Regionalmeisterschaften Berlin-Brandenburg bei.

Dass die Wettkämpfe erstmals nicht nur im Olympiastadion stattfinden, sondern auch mitten in der City ist ein Novum bei Leichtathletik-Titelkämpfen. Zwar lagen zum Beispiel bereits bei der Leichtathletik-WM 2009 in Berlin Start und Ziel für die MarathonläuferInnen und die GeherInnen auf dem Boulevard Unter den Linden.

Doch jetzt finden auch die Siegerehrungen auf der „Europäischen Meile“ am Breitscheidplatz statt, die Eröffnungsfeier am Montagnachmittag fand ebenfalls im Schatten der Gedächtniskirche statt und auch die KugelstoßerInnen hatten hier ihre Ausscheidungsrunden fürs Finale.

Die Leichtathletik-EM findet vom 7. bis zum 12. August in Berlin statt. 1.500 Athleten aus über 50 Nationen messen sich im Olympiastadion in verschiedensten Disziplinen wie Hammerwurf, Hochsprung oder Sprint. Insgesamt 47 Disziplinen sind vertreten. Tickets gibt es ab 15 Euro für eine Qualifikations-Session und ab 25 Euro für eine Final-Session.

Das 50-Kilometer-Gehen der Männer gewann der Ukrainer Maryan Zakalnytstyy in 3:46:32 Stunden. Bei den Frauen gewann die Portugiesin Inês Henriques in 4:09:21 Stunden. (taz)

Warum man diesen Aufwand treibt, ist klar: Man will die altehrwürdige Leichtathletik, im Vergleich zum allmächtigen Fußball doch eher Randsportart, den BerlinerInnen unter die Nase reiben. So, dass sie quasi nicht dran vorbei können – oder zumindest nicht, ohne einen großen Bogen um die City West zu schlagen. Eine „Brücke vom Olympiastadion in die Berliner Innenstadt“, nennt das der ausrichtende Verband, die European Athletic Association, kurz EAA. Ob das gelingen kann?

Was hier eigentlich los sei?

Guckt her!, schreit am Dienstag jedenfalls der in das orange und nachtblau der EAA gehüllte Glockenturm der Gedächtniskirche. Kommen Sie ran an die Strecke!“, ruft der Moderator ins Mikrofon.

Das „ganz Berlin!“ zugucke, wie der Moderator sagt, ist eine gewagte These

Was hier eigentlich los sei?, fragten ihn viele KundInnen, erzählt der Pommesverkäufer am Rande des Geschehens.

Rund 3.000 ZuschauerInnen fasst die zentrale Tribüne. Bei der Eröffnungsfeier am Montag zuvor soll jeder Platz besetzt gewesen sein. Doch am Dienstagmittag, kurz bevor der Ukrainer Marjan Sakalnyzki nach 3 Stunden und 46 Minuten als erster Europasieger dieser Titelkämpfe ins Ziel wankt, sind die heißen Plastikschalensitze kaum besetzt. Selbst einen Platz in der ersten Reihe am Absperrgitter, keine 100 Meter vor der Ziellinie, findet man ganz ohne Drängeln.

Kurz schaffen es die ZuschauerInnen beinahe, die gut gelaunte Popmusik aus den Lautsprechern zu übertönen – als Carl Dohmann etwa vier Minuten nach dem Sieger als Fünftplatzierter und damit als bester deutscher Geher bei einer EM seit der Wiedervereinigung, gen Ziel strebt. Dann gewinnt Bryan Adams „Summer of 69“ wieder die Oberhand.

Das „ganz Berlin!!“ zugucke, wie der Moderator versichert, ist schon eine gewagte These. Zum Glück, wird aber denken, wer genau das an der Leichtathletik schätzt: Diese gelassene, freudig-gespannte Atmosphäre eines Sportfests, das vielleicht nie den Sog eines wirklichen Volksfests entwickeln kann, wie das die Fanmeilen beim Fußball schaffen – aber eben auch nichts von deren bierseeliger, fahnenschwenkender, mitunter latenten Aggressivität hat.

Ins Stadion oder in die City?

Vor einem Getränkestand sitzen Claudia Plate und Edith Wohlfahrt, zwei Sportlehrerinnen aus Erfurt, und halten sich an ihrem Eis fest. Lange hätten sie am Morgen im Hotel mit sich gerungen, ob sie nun gleich vormittags zu den parallel laufenden Wettkämpfen ins Olympiastadion gehen sollen oder doch lieber auf den Breitscheidplatz.

Sie landeten schließlich bei den GeherInnen: „Das ist doch toll, dass man hier auch außerhalb des Stadions die EM feiern kann“, sagt Plate. Ein paar Meter weiter drücken sich Marita Lessner und Friedrich Trebbels aus Aachen in den Schatten einer Häuserfassade. Auch sie sind, wie die beiden Erfurterinnen, extra wegen der EM hier.

Lessner sagt, sie habe am Montag bei der Eröffnungsfeier erst ein mulmiges Gefühl gehabt: Breitscheidplatz, da denke man doch zuerst an den Lkw-Attentäter, der hier im Dezember 2016 in einen Weihnachtsmarkt raste und zwölf Menschen tötete. Natürlich entspann sich im Vorfeld der EM eine Debatte darüber, ob dieser Platz der richtige Ort sei für ein Fest. Gerade deshalb!, war am Ende die Haltung, die sich durchsetzte. „Und das war auch genau das Gefühl, das ich gestern bei der Eröffnungsfeier hatte“, sagt Lessner.

Mit täglich mehreren 10.000 BesucherInnen rechnet der EAA auf der Europäischen Meile. Mag sein, dass so viele vorbeischlendern. Doch so passioniert wie die Erfurter Sportlehrerinnen und das Aachener Paar sind nicht alle bei der Sache. Nicht jeder bleibt offenbar stehen und ist bereit, sich auf die Leichtathletik einzulassen. „Das Geschäft läuft ehrlich gesagt mies“, sagt Olof Köller, der mit einem Eis-Wagen vor der Tribüne steht. Auch das gehört nämlich zu den Volksfest-Ambitionen dieser EM dazu: Ein Street Food Festival, das mehrere „Food Trucks“, also Burgerbrater, Kaffeeröster und Eiswagen, längs der Zuschauertribüne versammelt.

Mag sein, dass das mit der Fressmeile noch nicht so hinhaut. Was sonst noch so geht nach den GeherInnen? Abwarten. Die Party hat ja gerade erst angefangen.

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