Lausitz: Gegen den Kohletod

Proschim ist ein Vorreiter der Energiewende – und soll trotzdem dem Braunkohletagebau weichen. Der Kampf um die Zukunft spaltet das kleine Dorf.

Am Montag ketteten sich Greenpeace-Aktivisten an, um gegen den neuen Tagebau zu protestieren Bild: Patrick Pleul/dpa

Auf den ersten Blick wäre Proschim ein idealer Ort, um einen Werbespot für die Energiewende zu drehen. Auf den Feldern blüht gelb der Senf. Fünf Windräder drehen sich sachte, das sechste wird gerade aufgebaut, drei weitere sind geplant. Auf den Dächern glitzern Solarzellen, in den Scheunen stehen Biogasanlagen. Das herausgeputzte Dorf mit seinen 330 Einwohnern produziert längst viel mehr Energie, als es verbraucht – erneuerbare Energie, ohne CO2-Ausstoß.

Petra Rösch würde in einem solchen Spot auftreten. Sie ist Geschäftsführerin im Firmenverbund Proschim. Die daran Beteiligten bauen Getreide an, halten Rinder und erzeugen viel Strom: Auf alle ihre Gebäude haben sie Solarzellen geschraubt, 860 Kilowatt Leistung insgesamt.

Eines aber passt nicht in diese Idylle der Brandenburger Lausitz: der Braunkohletagebau „Welzow Süd“, nur wenige Kilometer entfernt. Er bewegt sich vorwärts, rund einen Meter am Tag. Wenn es nach Vattenfall geht, wird Proschim deswegen weggebaggert. Ausgerechnet.

Greenpeace-Aktivisten haben sich am Montag vorübergehend an Gleise bei Spremberg gekettet, über die Braunkohle aus dem Tagebau Welzow-Süd in die Vattenfall-Kraftwerke Jänschwalde, Schwarze Pumpe und Boxberg transportiert wird. Der Konzern teilte mit, für die Kraftwerke führe das „zu einer angespannten Situation“. Nach mehreren Stunden schnitten Polizisten die Gleise vor und hinter den Protestlern durch und hoben die an einem Gleisabschnitt hängenden Umweltschützer zur Seite. Am Nachmittag war eines der blockierten Gleise frei, aber noch nicht befahrbar. (dpa)

Alle müssen raus

Proschim gehört zu Welzow, der „Stadt am Tagebau“, wie sie sich selber nennt. Wenn der zweite Teilabschnitt des Tagebaus kommt, ist Welzow von drei Seiten umschlossen, rund 800 Einwohner müssen ihre Häuser verlassen, darunter alle Proschimer.

An diesem Dienstag ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zur endgültigen Entscheidung: Die Einspruchsfrist im sogenannten Braunkohleplanverfahren endet. Beim ersten Beteiligungsverfahren hatte es über 5.000 Einwände gegeben. Dann wurde der Plan nachgebessert, wieder gab es viel Einspruch. Umweltverbände haben mehr als 112.000 Unterschriften gegen den Tagebau gesammelt – allerdings nicht nur in der Lausitz, sondern in ganz Deutschland. Voraussichtlich Anfang 2014 will die SPD-geführte Brandenburger Landesregierung entscheiden. Und die ist grundsätzlich pro Braunkohle.

Petra Rösch setzt sich gegen den neuen Tagebau ein. Sie beklagt die drohende Umweltbelastung und dass der Abbau der Braunkohle nur rentabel sei, weil Vattenfall keine Förderabgabe bezahlen müsse. Vor allem sagt sie: Die Kohle wird doch gar nicht mehr gebraucht. Jedenfalls wenn man Klimaschutz auch nur im entferntesten ernst nimmt.

Petra Rösch ist 58 Jahre alt, blond, ihre Augen sehen müde aus. Allein im Betrieb gäbe es genug zu tun und dazu kommt der Kampf um die Zukunft des Dorfes. Ihre Familie lebt seit Generationen hier. Nach der Wende haben sie den Betrieb in den Kapitalismus überführt, 85 Mitarbeiter sind heute beschäftigt. Rund 800 Hektar Fläche würden sie verlieren, wenn der Tagebau kommt, sagt Rösch, die fruchtbarsten zudem. Sie müssten den Betrieb zumachen. Am Ende entscheiden die Gerichte über die Zukunft des Dorfes, glaubt Petra Rösch. „Niemand hat das Recht, unser Leben so zu zerstören.“

In der Lausitz wurden schon viele Dörfer und Ortsteile wegen der Kohle umgesiedelt. Auch Proschim sollte schon mehrfach verschwinden. Jedes Mal entschied das Schicksal anders. Und dieses Mal? Viele arbeiten darauf hin, dass der Tagebau kommt. Die Lobbyisten im Land auf Seiten der Bergbaugewerkschaft IG BCE und des Vattenfall-Konzerns, der hier bis 2042 Kohle abbauen will, 204 Millionen Tonnen. Bis dahin soll das Kraftwerk Schwarze Pumpe laufen.

Auch im Dorf gibt es Leute, die es zumindest für falsch halten, sich konsequent gegen den Tagebau auszusprechen. So wie Gebhard Schulz, der mit seiner Bürgerinitiative „Zukunft Proschim Welzow“ 30 Familien um sich geschart haben will. Petra Rösch nennt ihn einen „von Vattenfall eingeschleusten Maulwurf“. Aber Rösch ist nicht nur Unternehmerin, sie ist auch die Ortsvorsteherin von Proschim. Das macht die Sache schwierig.

Deutlich wurde das beim Dorffest vor ein paar Wochen. Wuskens Hof in der Ortsmitte, ein denkmalgeschützter Vierseithof aus Backstein. Es gibt Bier oder rote Brause aus Plastikbechern an diesem Sonntagvormittag. Einer von Petra Röschs Mitstreitern kommt auf sie zu. Wie sie es nun machen sollen mit den Unterschriftenlisten, fragt er. Petra Rösch antwortet leise, sie flüstert fast: „Lass es, wir machen nur alles kaputt.“ Man sieht ihr an, dass es ihr nicht gutgeht.

Tags zuvor hat Vattenfall einen Vorschlag in alle Briefkästen stecken lassen, wie eine Umsiedlung aussehen könnte. Für die Kohlegegner der Versuch, Fakten zu schaffen, bevor die Entscheidung gefallen ist. Aber Rösch will die Auseinandersetzung nicht ins Fest hineinziehen: „Heute wird gefeiert!“ Die Sängerin auf der Bühne trällert: „Wenn der Wein blüht an der Donau, freuen sich die Menschen …“ Außerhalb des Hofs trifft sich ein Dutzend Kohlegegner, um die jüngsten Ereignisse zu diskutieren. Auch Wolfgang Nešković ist gekommen, der als unabhängiger Direktkandidat für den Bundestag den Kampf gegen die Kohle zu seinem Thema gemacht hat. Im Halbkreis stehen sie an der Straße, neben einem Schild, auf dem steht: „Seine Heimat lässt man sich nicht abkaufen, seine Heimat verteidigt man.“

Ein Riss durchs Dorf

In Proschim ist viel los für ein Dorf seiner Größe, Backsteinkirche, Gaststätte, Jugendclub, zwei Handvoll Vereine, man pflegt die sorbische Tradition. Doch die Stimmung ist vergiftet. Durch Proschim geht ein Riss zwischen den erklärten Tagebaugegnern und jenen, die sich zumindest damit arrangieren wollen. In manchen Familien, wird erzählt, spricht man nicht mehr miteinander, weil die einen gegen und die anderen für die Kohle sind. Es gibt Streit, wo Unterschriften gesammelt werden dürfen, gegenseitige Vorwürfe und nicht beweisbare Anschuldigungen. Von Stasi-Methoden ist die Rede und davon, dass die Hörigkeit der Ex-DDR-Bürger ausgenutzt wird.

Gebhard Schulz wohnt nicht weit von der Zentrale des Firmenverbunds. Er ist der Mann, der – glaubt man der Ortsvorsteherin – von Vattenfall angesetzt wurde, Stimmung pro Tagebau zu machen. In den 90er Jahren zog er in ein Haus, das schon geräumt war wegen der damals geplanten Tagebauerweiterung, der die Wende zuvorkam.

Schulz ist 57, stämmig, gestutzter grauer Bart, die Haare zurückgekämmt. Dass man ihn als Befürworter des neues Tagebaus bezeichnet, mag er nicht. „Wenn der Tagebau nicht kommt, kann ich damit leben“, sagt er. Aber man müsse vorbereitet sein und rechtzeitig mit Vattenfall verhandeln, um am Ende nicht leer auszugehen. „Eine Blockadehaltung bringt doch nichts.“

Als Freund der Kohle will sich Gebhard Schulz nicht bezeichnen lassen, aber je länger er redet, desto mehr Argumente nennt er, die direkt aus einer Hochglanzbroschüre von Vattenfall stammen könnten: Was soll man tun, wenn keine Sonne scheint? Nur durch die Braunkohle können die Strompreise noch einigermaßen gehalten werden. Und die Arbeitsplätze, nicht zu vergessen. Man braucht die Kohle einfach, noch für eine ganze Weile. So sieht er es.

Und die Vorwürfe? Stimmten alle nicht, sagt er. Natürlich sei er nicht von Vattenfall beauftragt. Der Konzern sei nur ein Sponsor des Vereins unter mehreren. Sie seien völlig unabhängig. Im Gegensatz dazu repräsentiere die Ortsvorsteherin nicht alle Proschimer. Sie habe ihre eigene Agenda. Und die Aktivisten von außen hätten hier auch nichts zu suchen. Schulz, der erst betont freundlich und sachlich gesprochen hat, redet sich ein bisschen in Rage. Er bemängelt, dass es im Dorf nie eine Umfrage gegeben habe in Sachen Tagebau. Und er schiebt die Verantwortung weit weg: „Entscheiden tun wir es sowieso nicht, das tut das Land.“

Hoffen auf Entschädigung

Gebhard Schulz steht auf, denn er will jetzt beweisen, dass das alles gar nicht stimmen kann. Keiner könne behaupten, dass er gerne wegwolle, sagt er. Er zeigt seinen Garten, den Teich, das Schwimmbecken. Soll heißen: Sehen Sie, wie gut es mir hier geht – aber notfalls ziehe ich weg, mit einer hoffentlich großen Entschädigung von Vattenfall. Aber klar hat er, der Gewerkschafter und Stadtverordnete von Welzow, auch Unterschriften gesammelt – „pro Lausitzer Braunkohle“.

Apropos Kohle. Schulz muss das Gespräch abbrechen. Neben seinem Garten hat ein Lkw angehalten, beladen mit sechs Paletten Briketts „Lausitzer Qualität“. Schulz arbeitet als Lokführer bei Vattenfall, fünf Tonnen Kohle bekommt er als Mitarbeiter im Jahr geschenkt. Er zieht sich Handschuhe an und trägt die 10-Kilo-Packen in die Scheune. Er freut sich auf die Abende am Kamin: „Ich habe es gerne gemütlich.“

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