Landtagswahl in Thüringen: Die Kümmerer

Die Linke profiliert sich in Thüringen als große Oppositionspartei und kommunale Kraft. Reicht das für einen Wechsel?

Ein Anhänger der Linken hat sich bei einem Wahlkampf-Termin ein Quietsche-Entchen mit dem Logo der Partei gekauft. Bild: Reuters

GREIZ UND ARNSTADT taz | Greiz, die Perle des Thüringer Vogtlandes, liegt malerisch im Tal der Weißen Elster. Hoch über dem Städtchen ragt das Obere Schloss, das wie das Untere Schloss und das Sommerpalais an die Glanzzeit als Hauptstadt der Reußen-Fürsten erinnert.

Doch das Bild der schmucken Innenstadt trügt, so wie die neue Stadthalle oder die neue Turnhalle. „Greiz hat die höchste Abwanderungsquote in Thüringen“, sagt der Linken-Kreisvorsitzende Frank Lux. Die Stadt hat seit der Wende fast 40 Prozent ihrer Einwohner verloren; jetzt leben gerade noch 21.000 Menschen hier.

Wenn es um die Landtagswahlen am Sonntag in Thüringen geht, konzentrieren sich die Analysen meist auf Bodo Ramelow; der Spitzenkandidat könnte der erste linke Ministerpräsident werden. Aber die Gründe für die Stärke der Partei gehen weit über die Person Ramelow hinaus. Die Linke ist mit stetig steigenden Stimmanteilen bis 30 Prozent in die Nähe der CDU vorgerückt.

Ein pensioniertes Lehrer-Paar schätzt die Linke als „verlässliche Kraft“

Fragt man Frank Lux, warum seine Partei in einem so bieder-braven Land wie Thüringen so beliebt ist, nennt er die „Leuchtturmpolitik“ der Staatsregierung. Gemeint ist die Achse Erfurt-Weimar-Jena, die boomt.

Aus Sicht der Staatskanzlei in Erfurt steht das Land gut da: Die Arbeitslosenquote ist dank der vielen Pendler über die nahe West- und Südgrenze die niedrigste in Ostdeutschland. „Doch jenseits des Hermsdorfer Autobahnkreuzes ist Thüringen zu Ende“, hört man oft in Ostthüringen. „Viele in der Bevölkerung fühlen sich allein gelassen“, sagt Lux. Vielleicht ist deshalb der Westernhagen-Platz recht gut gefüllt, als die Linke zehn Tage vor der Wahl um Stimmen wirbt.

Rund 200 vor allem ältere Bürger warten nicht nur auf Superstar Gregor Gysi, unter ihnen auch ein Lehrerehepaar. Die beiden erinnern daran, dass dies bis in die DDR-Zeit hinein eine Arbeiterregion war: „Alle hatten ihr Auskommen, jetzt herrscht Verunsicherung.“ In dieser Lage erscheint ihnen ausgerechnet die Linke als verlässliche Kraft, als „Stabilitäts- und Ausgleichsfaktor“. Nathalie und Jakob, beide kaum 20 Jahre, trauen den Linken den Aufbau eines „Staats für alle“ zu. Sie sei „die einzige Partei, die etwas verändern kann“.

Riesenmasten im Thüringer Wald

Der Politologe Torsten Oppelland von der Uni Jena kann erklären, wie es zu solchen Aussagen kommt: Die Linke habe sich in Thüringen als die große Oppositionspartei profilieren können, was der SPD wegen ihrer Spaltung in den 90ern und der Koalitionen mit der CDU nicht gelang.

Ausschlaggebend dürfte außerdem sein, dass die Linke sich in Thüringen den Ruf der „Kümmererpartei“ erarbeitet hat, etwa nach dem Hochwasser im Juni 2013, als sich die Linke der Nöte der Überfluteten annahm. Mit diesem Engagement hat sie ihre kommunale Präsenz ausgebaut, und das kommt ihr nicht nur in strukturschwachen Orten wie Greiz zugute, sondern auch dort, wo es den Menschen wirtschaftlich relativ besser geht.

Südlich von Erfurt geht es über die Thüringerwaldautobahn vorbei an Gewerbegebieten, entlang der neuen ICE-Trasse und der Riesenmasten der umstrittenen Thüringer Strombrücke nach Arnstadt.

Der Wiederstand gegen die Stromtrasse hat der Linken Stimmen gebracht

Der Ilmkreis gehört zu den dynamischsten in Thüringen, obschon seit 2012 hier eine linke Landrätin amtiert. Petra Enders Weg ins Arnstädter Landratsamt illustriert, wie fest die Linke in der Region verankert ist. Enders, eine aparte Frau Mitte 40, trägt ein knallrotes Kleid. Aber die Bodenhaftung ist ihr deutlich anzumerken.

Angefangen hatte sie noch in einem VEB der DDR, im Glaswerk Großbreitenbach. Nach der Wende führte ihre Fraueninitiative zu einem Beschäftigungsprojekt, aus dem 70 Arbeitsplätze in Kultur, Umwelt und Sozialarbeit hervorgingen. Sie gründete eine Wählergemeinschaft, gelangte in den Stadtrat, wurde Bürgermeisterin und 2012 eine von zwei Landräten der Linken in Thüringen. „Etwas Glaubwürdiges tun“, so beschreibt Petra Enders ihr Motto. Schule, Verkehr, Spielplätze, das sind Bürgerthemen.

Im Ilmkreis protestierten die Menschen besonders heftig gegen die markante Schneise, die die 380-kV-Strombrücke durch den Thüringer Wald schlägt. Enders konnte die Leitung nicht verhindern. Aber der Widerstand hat ihr Stimmen gebracht.

„Die Partei hat das Sagen. Nicht Bodo“

Nun könnten die Linken kurz davor stehen, die Macht in Thüringen als Teil eines rot-roten Bündnisses zu übernehmen. Beim letzten Thüringen-Monitor zeigten sich zwar 92 Prozent der Thüringer relativ zufrieden, aber die Hälfte findet, dass es im Lande nicht gerecht zugeht. Reicht das für einen Wechsel?

Der Spitzenkandidat gibt sich dieser Tage besonders landesväterlich. Der Ramelow-Effekt aber kommt sozusagen obendrauf auf die Basisarbeit, einen „Paradiesvogel“ nennt ihn Politikwissenschaftler Oppelland. Dass der Erfolg der Linken nicht nur ihm zu verdanken ist, ist bei allem Kult um den Frontmann aber vielen klar. Kreischef Frank Lux gibt sich in Greiz sogar ausgesprochen selbstbewusst. „Die Partei hat das Sagen“, sagt er, „nicht Bodo.“

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