Landtagswahl in Baden-Württemberg: Sie nannten ihn Brüllke

Der FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke machte fünf Jahre Brachialopposition gegen Grün-Rot. Ob ihm das ein Ministeramt bringt, ist fraglich.

Hans-Ulrich Rülke mit einem Bierglas in der Hand

Im täglichen Geschäft gibt der Lautsprecher Rülke bei der baden-württembergischen FDP den Ton an. Foto: dpa

STUTTGART taz | Der Mann scheint immer unter Strom zu stehen. Wenn Hans-Ulrich Rülke am Rednerpult steht, seine Hände auf dem Pult im Zaum zu halten versucht, und dann unvermittelt in eine Tirade ausbricht. Oder wenn er auf Podiumsdiskussionen unruhig von dem Fußballen auf die Zehen wippt und sich kaum zurückhalten kann, während der politische Gegner redet.

Auch im persönlichen Gespräch hält er den Arm auf die Sessellehne gestützt, als müsse er in jedem Moment gleich wieder aufspringen. Vielleicht ist es der Druck, den eigenen Erwartungen zu genügen oder immer für einen Angriff gewappnet zu sein, bevor man angegriffen wird, der ihn so angespannt wirken lässt.

Sicher ist, der FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke war die vergangenen fünf Jahre immer der Lauteste in dem durchaus an Pöbeleien gewöhnten Stuttgarter Landtag. Mal ätze er gegen den „kleinen Nils“, als Baden-Württembergs Finanzminister und SPD-Chef Nils Schmid seinen Haushalt vorlegte, und verglich dessen ziemlich solides Zahlenwerk mit den Bilanzen des Pleitestaats Griechenland. Ministerpräsident Kretschmann bezeichnete er deshalb als „Winfriedos Kretschmannakis“.

Unvergessen auch, wie er in der Debatte über die Entlassung der ersten Kultusministerin im Kabinett Kretschmann unvermittelt in einen Schreianfall ausbrach und immer wieder brüllte: „Das ist infam“ – so lange, bis ihn die Landtagspräsidentin zur Ordnung rufen musste. Seitdem nennt ihn der politische Gegner „Brüllke“. Rülke trägt es fast wie einen Kampfnamen.

Ist das Masche oder persönliches Defizit? Wenn man Rülke diese Frage stellt, setzt er ein schiefes Lächeln auf, schaut kurz ins Leere und sagt: „Tja, wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ Der öffentliche Auftritt sei schon eine Rolle, die er spiele, um sich als öffentliche Person manches vom Hals zu halten, sagt Rülke. Diese Distanz macht ihn aber auch seinen Anhängern gegenüber unnahbar. Selbst wenn ihn Bürger auf der Straße ansprechen: „Ich hab sie gestern im Fernsehen gesehen“, kommt nur ein kühles „ja, da bin ich manchmal“ zurück. Und schon ist er wieder fort. Man wird selbst in seiner Partei wenige finden, die sagen, dass sie Ulrich Rülke wirklich mögen. „Ach Sympathiewerte“, sagt Rülke. „Mich interessieren Wahlergebnisse. Nicht, wer wo populär ist.“

Mehr Persönlichkeit durchs Badehosen-Foto

Seine Kälte und sein Kurs der Polarisierung könnten die Wähler verschrecken, fürchten die FDP-Wahlkampfstrategen. Sie legten dem Spitzenkandidaten nahe, mehr von seiner Persönlichkeit preiszugeben. Das Ergebnis war ein Bade-Foto aus seiner Jugendzeit, das ihn in stolzer Pose am Strand zeigt. Damit schaffte es Rülke bis auf die Seiten von Spiegel Online, was Rülke ohne Frage als politischen Erfolg verbucht, dabei machte man sich dort über den Beachboy lustig. Rülke ist das egal. Er sagt, er begreife „Politik als Kampfsport“, und hält es offenbar für nötig zu ergänzen: „Natürlich ohne Handgreiflichkeiten.“ Immerhin.

Seine Tiraden haben ihm manche Fernsehminute und der FDP die Aufmerksamkeit beschert, nach der die Kleinpartei dürstet.

Dabei ist Rülke auf seinem Weg an die Spitze der Fraktion nicht besonders zimperlich vorgegangen. 2009 wird der Parlamentsneuling überraschend zum neuen Fraktionsvorsitzenden gewählt. Sein Vorgänger, Ulrich Noll, der es dem damaligen Ministerpräsidenten Mappus und der CDU in der Koalition nicht immer leicht gemacht hat, war in geheimer Abstimmung von seiner Fraktion abgewählt worden. Rülke hat immer behauptet, das sei ein Unfall und keine Intrige gewesen – er selbst habe gar in der geheimen Abstimmung für seinen Vorgänger gestimmt. Aber das glauben nicht mal alle bei der FDP. Zu gut passte damals auch dem Koalitionspartner CDU der Führungswechsel bei den Liberalen ins Konzept.

Der Durchmarsch an die Spitze seiner Landespartei ging dann aber schief. Rülke scheitert knapp am FDP-Europaparlamentarier Michael Theurer. Seitdem bilden der rempelnde Fraktionschef Rülke und der verbindliche Theurer bei den Liberalen im Ländle eine Doppelspitze, bei der der bürgerrechtliche Flügel durch Theurer und der wirtschaftsliberale vom ehemaligen Lehrer Rülke abgedeckt werden.

Im täglichen Geschäft gibt heute allerdings der Lautsprecher Rülke den Ton an. Mit seiner Politik der brutalstmöglichen Opposition hat er es geschafft, die kleine FDP-Fraktion, die mit ihren herben Verlusten 2011 der eigentliche Wahlverlierer war, auch während der liberalen Durststrecken in den letzten fünf Jahren im Spiel zu halten. Seine Tiraden haben ihm manche Fernsehminute und der kleinen FDP damit die Aufmerksamkeit gesichert, nach der sie dürstet. Und wenn die Liberalen wie zuletzt bei der Elefantenrunde aus seiner Sicht nicht angemessen vorkommen, droht er dem verantwortlichen Südwestrundfunk (SWR) schon mal mit Klage.

Rülke wirkt mit seiner Art, Politik zu betreiben, selbst wie ein Übriggebliebener aus der Ära Mappus. Also aus jener Zeit, die die CDU im Wahlkampf im Moment lieber vergessen machen möchte. Ihn verbindet, wie er selbst sagt, bis heute eine Freundschaft mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten. Man kennt sich aus dem gemeinsamen Wahlkreis Pforzheim, und Rülke war in der kurzen Regierungszeit von Stefan Mappus politisch ein treuer Gefolgsmann.

Noch heute verteidigt Rülke Mappus vergeigten Aktienrückkauf der EnBW, der dem Land große finanzielle Probleme macht. Er steht zum Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 und hat nie hörbare Worte des Bedauerns über den Polizeieinsatz am „Schwarzen Donnerstag“ verloren. Während der FDP-Kovorsitzende Michael Theurer versucht, die Partei mit dem Solarprofessor Eicke Weber für grüne Gedanken zu öffnen, positioniert sich Rülke weiter als Verfechter der Atomkraft. Er nennt die Atomkatastrophe von Fukushima „Ereignisse aufgrund eines Tsunamis in Japan“. Im Wahlkampf bietet er die FDP jetzt als demokratische Alternative für jene Wähler an, die mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin nicht zufrieden sind. Eine Position, die wenig Mitleid mit Flüchtlingen erkennen lässt, aber bisher wenigstens ohne rassistische Untertöne auskommt.

Karriereziel Fraktionschef?

Rülke, der früher Gymnasiallehrer für Politik und Geschichte war, gilt trotz seiner Ausbrüche als kühler Analytiker. Lange wollte er keine Koalition ausschließen. Dass die FDP sich in der Vergangenheit so eng an die CDU gekettet habe, sei ein Fehler gewesen, sagt er. Drei Wochen vor der Wahl zeigten die Liberalen dann aber doch Nerven und erteilten einer Koalition unter grüner Führung eine Absage: „Die wird es mit uns nicht geben“, sagte Rülke, und erhielt dafür das fast einstimmige Votum des kleinen Parteitags.

Für Schwarz-Gelb wie zu Mappus’ Zeiten wird es jedoch nicht reichen, dazu sind Liberale und die Union zu schwach. Und bei einer schwarz-rot-gelben Ampel möchte die SPD nicht mitmachen. Dazu kommt, dass jüngste Umfragen die Grünen erstmals vor der CDU sehen. Hat sich der Taktiker vergaloppiert? Abwarten, sagt Rülke. Es gehe der FDP um Inhalte, und da seien die Überschneidungen mit der Union nun einmal am größten. Solle doch keiner glauben, die Liberalen ließen sich Inhalte für einen Dienstwagen abkaufen, sagt Rülke. Dann bleibe man lieber in der Opposition.

Das klingt nur scheinbar so, als setze er alles auf eine Karte. Denn erstens ist nicht ausgemacht, dass Rülke die Ministerrolle genauso ausfüllt wie die des Oppositionsführers. Und zweitens hat Rülke in einem Interview mit seiner Heimatzeitung selbst einmal ausführlich erklärt: Als Fraktionschef sei er einem Minister gleichgestellt, inklusive Dienstlimousine und Fahrer.

Vielleicht ist ja der Ehrgeiz des Hans-Ulrich Rülke doch nicht so groß, wie es auf den ersten Blick immer scheint.

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