Länderspiel abgesagt: Terror, Alarm!

Die Polizei findet in Hannover keinen Sprengstoff, aber eine „gut gemachte“ Attrappe. Die Warnung stammt offenbar aus Frankreich.

Das Stadion in Hannover

Alles dicht: das Stadion in Hannover nach der Absage des Länderspiels. Foto: dpa

HANNOVER taz | Genau 91 Minuten vor Anpfiff ziehen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und sein niedersächsischer SPD-Amtskollege Boris Pistorius die Notbremse: Das für Dienstagabend 20:45 Uhr angesetzte Fußball-Länderspiel gegen die Niederlande wird abgesagt, das noch ziemlich leere Stadion geräumt.

Wenige Minuten später geht rund um die auf einer Halbinsel zwischen den Flüsschen Leine und Ihme liegende HDI-Arena nichts mehr: An den Straßenrändern stehen hunderte Mannschaftswagen der Sicherheitskräfte, PolizistInnen mit Maschinenpistolen versperren den Weg. „Hier kommen Sie nicht durch, tut mir leid“, sagt eine Beamtin immer wieder. „Das Länderspiel ist abgesagt, das Stadion wird geräumt.“

Vor der Polizeiabsperrung herrscht Ratlosigkeit. Warum die Nationalelf nicht spiele, fragen zwei Studenten, die auf Restkarten gehofft hatten. Erste Gerüchte von einer Bombendrohung kursieren. Ein Stadionordner, der mit seinen Kollegen in einer rauchenden Gruppe zusammensteht, macht sich wichtig: „Drei Koffer“ mit Sprengstoff habe die Polizei gefunden, gefüllt „mit TNT“, fabuliert er.

Kurz darauf bitten Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und sein niedersächsischer Kollege Boris Pistorius (SPD) zur Pressekonferenz ins keine zwei Kilometer entfernte niedersächsische Innenministerium. Auch auf dem Weg dahin immer wieder Polizei: In Gruppen jagen Mannschaftswagen mit Blaulicht und Sirenen durch die Stadt. Beamte, alle mit Maschinenpistolen im Arm, blockieren die Straßen. Martialisch ist die Stimmung an diesem regnerischen Herbstabend in der niedersächsischen Landeshauptstadt, ja gespenstisch: Am Straßenrand telefonieren Menschen, versichern Familie und Freunden, dass es ihnen gut geht.

Kontrollen vorm Ministerium

Vor dem Ministerium wollen beide Politiker der Presse wohl beweisen, wie ernst die Lage ist. Auch dieses Haus ist stark gesichert, auch hier schwer bewaffnete Polizisten. Nur in Zweiergruppen werden die JournalistInnen eingelassen, danach intensiv durchsucht. Ob sie „gefährliche Dinge wie Messer“ dabei hätten, werden Kollegen gefragt, danach abgetastet: Selbst Portemonnaies und Schachteln mit Kopfschmerztabletten werden gründlich untersucht.

Doch der an Ausnahmezustand erinnernde Aufmarsch auf den Straßen steht in seltsamen Kontrast zu dem, was die Minister inhaltlich sagen wollen. „Hinweise“ auf die „Gefährdung des heutigen Fußballspiels haben sich so verdichtet, dass die Sicherheitsbehörden des Bundes aus Gründen des Schutzes der Bevölkerung dringend empfohlen haben, dieses Länderspiel abzusagen“, referiert de Maizière in bestem Beamtendeutsch. Gemeinsam mit seinem niedersächsischen Kollegen Pistorius sei er sich schnell einig gewesen: „In solch schwieriger Lage hat die Sicherheit der Menschen Vorrang.“

Bundesinnenminister De Maiziere

„An einem Dienstag gegen 22 Uhr ist es normal, dass man nach Hause kommt.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit der er zusammen nach Hannover gereist sei, sei deshalb direkt vom Flughafen Langenhagen aus nach Berlin zurückgekehrt, sagt der Bundesinnenminister. Auch die beiden hinter einander fahrenden Busse mit den Nationalmannschaften seien etwa fünf Kilometer vor dem Stadion gewarnt worden und hätten umgedreht. Die Spieler der deutschen Nationalmannschaft befänden sich bereits auf dem Heimweg, ergänzt der ebenfalls anwesende kommissarische DFB-Präsident Reinhard Rauball.

Bitte um Vertrauen

Allein: Worin die „Gefährdungslage“ konkret besteht, was die Sicherheitsbehörden genau befürchten, wollen beide Minister nicht beantworten. „Ein Teil der Antwort“ würde „die Bevölkerung verunsichern“, orakelt de Maizière. Außerdem könnten Hinweisgeber „beeinflusst“ werden und in Zukunft schweigen. Er bitte „die deutsche Öffentlichkeit“ deshalb „um einen Vertrauensvorschuss“.

Warum Hannovers Polizeipräsident Volker Kluwe gleichzeitig vor einer „konkreten Gefährdungslage für ganz Hannover“ warnt und die Menschen bittet, am besten in kleinen Gruppen nach Hause zu gehen, will der Bundesinnenminister dagegen nicht erklären. Stattdessen versucht de Maizière, witzig zu sein: „An einem Dienstag gegen 22 Uhr ist es normal, dass man nach Hause kommt.“

Konkreter wird auf Nachfrage lediglich SPD-Mann Pistorius: Weder im Stadion noch in der Umgebung sei Sprengstoff gefunden worden - zuvor kursierten bereits Gerüchte, die Polizei sei so nervös, dass sie beginne, ihre eigenen Fahrzeuge und Krankenwagen nach Bomben zu durchsuchen.

Danach gleicht Hannover bis in Nacht einer Stadt im Ausnahmezustand. Zwar sind die Kneipen nicht leer - viele lassen es sich nicht nehmen, sich wenigstens die Übertragung des Testspiel Frankreich - England aus dem Londoner Wembley-Stadion zusammen mit Freunden anzuschauen. In der Innenstadt rund um den zentralen Kröpcke-Platz und den Hauptbahnhof aber beherrschen einmal mehr schwer bewaffnete Polizisten das Bild.

Warnung aus Frankreich?

Spiegel und Bild melden, die Terrorwarnung für Hannover stamme vom französischen Geheimdienst: „Namentlich bekannte Nordafrikaner“ könnten „einen Anschlag planen“. Ganz konkret sei von Sprengmitteln, Sprengstoffgürteln, automatischen Waffen und Sprengsätzen die Rede gewesen. Außerdem habe es Hinweise auf „einen irakischen Schläfer“ gegeben, der einen Anschlag auf das Freundschaftsspiel plane.

Gefunden werden die ganze Nacht über keinerlei Bomben, wohl aber eine „gut gemachte“ Sprengstoff-Attrappe im Intercity-Fernzug nach Oldenburg. Die Polizei sucht weiter nach Verdächtigen. „Wir sind an verschiedenen Orten im Einsatz“, so eine Sprecherin.

Was bleibt ist Verunsicherung. Wie schon am Abend ist der Terroralarm Thema Nummer eins in Niedersachsens Landeshauptstadt: „Wie ängstlich die Leute schauen“, sagt eine junge Frau am Morgen an einer Straßenbahnhaltestelle: „Kein Wunder.“

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