Lady Gagas neues Album: Einen Moment Jeff Koons sein

Musikalisch ist Lady Gagas drittes Album „Artpop“ purer Dancefloor. Sie gibt sich nun als Allround-Künstlerin – und meint es ernst.

Lady Gaga neulich in Berlin. Bild: reuters

Poptheoretiker Simon Reynolds sagt, Pop recycle sich selbst. Der Versuch, diesem großen Zyklus zu entkommen, wird bei jeder neuen CD, die einE KünstlerIn aufnimmt, schwerer – fanden HörerInnen im ersten oder zweiten Werk noch jede Menge Originalität, so gibt es trotz Ideenreichtum oft einen Abnutzungseffekt, den nur die loyalsten Fans als Sich-selbst-Treubleiben wahrnehmen. „Die alten Sachen fand ich ja ganz gut, die neuen nicht“, sangen die Fanta4 dazu 1995.

Manche MusikerInnen haben sogar selbst die Nase voll von ihrem Unique Selling Point und ändern Musik, Image oder beides. Das klappt verschiedentlich gut, zumindest eine Weile, wie bei Madonna. Es kann Publicity heraufbeschwören, wie bei Miley Cyrus. Dass die Musik dabei in den Hintergrund gerät, stattdessen die Visuals und Gesten – Nacktheit, Bikini, Twerking, Herausstrecken der Zunge – zum Schlüsselelement werden, ist erwünscht und nicht schade drum.

Lady Gaga, deren drittes Studioalbum „Artpop“ gerade herausgekommen ist, hat sich noch nie wirklich mit Musik aufgehalten. Seit sie 2007 mit 21 Jahren begann, sich von DesignerInnen einzigartige Outfits schneidern zu lassen, die die Flachheit des Sex-sells-Prinzips immer gleichzeitig parodieren und benutzen, ging es weniger um Musik als vielmehr um Statements.

Tebartz-van Elst, Brüderle, Guttenberg. Darüber regen wir uns auf. Aber warum? Und was bringt das? Den großen Empörungsvergleich lesen Sie in der taz.am wochenende vom 9./10. November 2013 . Darin außerdem: Christian Ströbele ist nun weltbekannt als „der Mann, der Edward Snowden traf“. Aber wie hilft das der Sache des Whistleblowers? Und ein Gespräch über den Glanz im Schund, echte Adelige und Sexwestern: Mit Anna Basener, einer der jüngsten Groschenromanautorinnen Deutschlands. Am eKiosk, Kiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Auf ihrer ersten Platte „The Fame“ etablierte sie ihre Haltung zu Ruhm, die weniger ambivalent ist, als man anhand der Inszenierung denken könnte. Auf „Born this way“ konnte man das Überthema Toleranz ausmachen, vor allem im Titeltrack, der akkordmäßig dem 23 Jahre alten „Express yourself“ von Madonna nachempfunden war. Was die alte Pophäsin cool demonstrierte, indem sie die zentralen „Born this way“-Zeilen bei ihren Live-Konzerten einfach in „Express yourself“ hineinsang.

„I’m beautiful in my way / cause God makes no mistakes / I’m on the right track baby / I was born this way“ lautet der Refrain, der zwischen Queerness, Genderbending und Außenseitertum alle „little monsters“ im Zeichen des Herrn umarmen will.

„Verbindung von zwei Auras“

„Artpop“ nun spielt mit Gaga als bildende Allround-Künstlerin, und sie meint es ernst. Für die Covergestaltung hat sie mit Jeff Koons zusammengearbeitet, das sei „die Verbindung von zwei Auras“ gewesen, erzählte Gaga bei ihrem Pre-Listening-Besuch im Berliner Berghain Ende Oktober.

Für eine Fundraising-Kampagne des Marina-Abramovic-Instituts ist Gaga in einem Video zu sehen, in dem die New Yorkerin in streng komponierten Bildern nackt durch die Natur geht, ihren Körper durch monotones „Tönen“ zu erspüren versucht oder unbekleidet auf einem riesigen Kristall sitzt (was der Regisseur des viel diskutierten Videoclips zu Miley Cyrus’ „Wrecking Ball“, in dem Cyrus in ähnlicher Stellung nackig auf einer Abrissbirne hockt, garantiert im Fotografenhinterkopf hatte). Gaga hatte neben Koons und Abramovic bei dem Theaterautor und Bühnenkünstler Robert Wilson Inspiration für ihre ehrlichen Kunstabsichten gesucht.

Das Album selbst jedoch, wenn man es neben dem Kunstgequatsche einmal als Musikstück betrachtet, bleibt genau da stehen, wo Gaga die ganze Zeit war: Bis auf die Christina-Aguilera-artige Schmalzballade „Gypsy“ reiht sich ein Eurodance-Elektropopkracher an den anderen. Ob sie nun in „Aura“ fragt, ob man „das Mädchen sehen möchte, das hinter dem Schleier lebt“, ob sie in „Sexxx Dreams“ über eben Sexträume referiert oder in „Swine“ Fatboy Slims legendären „The Rockafeller Skank“-Break übernimmt, der aus einer Verlangsamung der digitalen Wiedergabe eines Tons besteht, so dass nur noch eine einziges lautes Signalteil zu hören ist – „Artpop“ ist weitgehend purer Dancefloor. Und recycelt, um Reynolds zu bemühen, sämtliche Poptextilien der vergangenen dreißig Jahre.

Textlich geht Gaga nur im Titelsong „Artpop“ und der ersten Singleauskopplung „Applause“ auf ihre Ambitionen ein, in letzterer sogar auf Reynolds: „Die Theorie, dass Nostalgie etwas für Langweiler ist, möchte ich überhört haben“, singt sie darin, und später: „One second I’m a Koons, then suddenly the Koons is me / Pop culture was in art / now art’s in pop culture in me.“

Bemerkenswerter als das Dancealbum, das die Fans lieben und zu dem alle anderen tanzen können, ist der Verbreitungsweg, den die LGBT- und Menschenrechtsaktivistin gewählt hat: Neben dem ProSiebenSat1-Musikstreaming-Service „Ampya“, der die Pre-Listening-Sessions des auf Universal erschienenen Albums vermarktet hat, ließ sich Gaga in Deutschland exklusiv von der Bild-Zeitung promoten. Eine konsequente Kooperation mit der Fachpublikation „Texte zur Kunst“ wäre vermutlich dann doch viel zu wenig Mainstream.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.