Kuratorin über „Global Activism“: „Demonstrationen sind Performances"

Joulia Strauss ist Aktivistin und Mitkuratorin bei „Global Activism“ im ZKM in Karlsruhe. Sie hofft, das Wertesystem des korrupten Kunstmarktes durcheinanderzubringen.

Stehen als Protest: Istanbul Juni 2013. Bild: reuters

Die Aktivistin Joulia Strauss ist Mitkuratorin einer Ausstellung im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) mit dem Titel "Global Activism". Die Veranstaltung findet noch bis zum 30. März 2014 statt und thematisiert die weltweit in Erscheinung tretenden sozialen Bewegungen. Joulia Strauss lebt in Berlin und nimmt bei den Aktionen von „Refugee-Strike“ teil.

taz: Frau Strauss, sind Sie ein Refugee?

Joulia Strauss: Meine Motivation an dem Antigrenzaktivismus teilzunehmen entstand weniger aufgrund meiner langen Erfahrungen mit der Ausländerbehörde, sondern aus dem selbstverständlichen Mitgefühl und politischer Solidarität im hier und jetzt. „Refugee“ ist ein zu breiter und zugleich stigmatisierender Begriff. Er stellt erst jene Grenze her, die ja gerade durch das sofortige Aufheben der rassistischen Gesetze und durch das Zusammenleben aller Berliner aufzulösen ist. Wir teilen lange nicht genug mit den Bedürftigen. Wir beschäftigen uns mit der Bewältigung der humanitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts und sehen zu bei einer des 21.

Was ist mit „Global Activism“ gemeint?

Peter Weibel, der Leiter des ZKM, nannte so die Ausstellung, für die er eine Gruppe von Forschern und Aktivisten, unter anderem mich, eingeladen hat, mitzuarbeiten. Er sagt, dass Demonstrationen Performances im öffentlichen Raum sind. Er sagt auch, dass Aktivismus die Kunstform der Protestbewegung ist. Für einige beginnt „Global Activism“ in Genua, für andere erst in Kairo, für manche in New York, für mich in Athen.

Was machen diese Phänomene in einem Museum?

Sie stammt aus der heidnischen Wolgarepublik Mari El. „Ich bin dazu erzogen, politischer, kultureller und religiöser Unterdrückung von staatlicher Seite Widerstand entgegenzusetzen“, sagt sie. Sie studierte an der „Neuen Akademie der Schönen Künste“ in St. Petersburg. „Wir fühlten uns unserer Kunstrichtung des Neoakademismus verpflichtet, der die von den Institutionen des Westens an die Kunst des Ostens zur Perestroika-Zeit gestellten Fragen vorsätzlich falsch beantwortet hat. Die westlichen Museumsdirektoren kamen und suchten die freie abstrakte Malerei – im Gegensatz zur totalitären früheren – fanden aber kitschige narzisstische selbsthistorisierende Ästhetik. Die Provokation hat funktioniert“, erzählt sie. Ab 1997 studierte sie an der Berliner Hochschule der Künste in der Klasse von Georg Baselitz.

Ist das ZKM überhaupt ein Museum? Für mich ist es der einzige Ort in Europa, an dem eine Ausstellung als Forschungsprozess durchgeführt werden kann. Wenn jedes Museum auf die Entwicklung der Informationstechnologien und den Wandel von sozialen Strukturen so schnell reagieren würde wie das ZKM, würden die SteuerzahlerInnen längst die widerständige, erfinderische, und vor allem nach 2.500 Jahren vom Imperium befreite und weltnahe Kunst des 21. Jahrhunderts bewundern sowie auch mitmachen können.

Was wird in der Ausstellung zu sehen sein?

Es werden dort Dinge präsentiert, die mindestens aus zwei Perspektiven interpretierbar sind. Man wird sie als aktivistische Kunst sehen können: Das ist eine Kunst, die nach der Aufhebung der ontologischen Differenz zwischen Kunst und Wirklichkeit entstand. Aus einer anderen Perspektive kann man die Exponate als Artefakte, Relikte, Spuren von Aktivitäten gobaler Bewegungen betrachten. Beide Perspektiven werden sich womöglich in der Ausstellung vereinen, wie zwei Bilder zu einem in der Stereoskopie. Zumindest ist es mein Wunsch, dass der Betrachter es aus der binären Rückkopplung Kunst/Nichtkunst herausschafft und sich vom passiven Betrachter zu einem Aktivisten transformiert.

Ein konkretes Beispiel für Artefakte bitte.

Das Mitglied der russischen Gruppe „Vojna“, Alexander Wolodarskij wird zum Beispiel in der Ausstellung mit seinem Blog „Anarchy And Other Shit“ vertreten sein, in welchem er 2009 als einer der ersten inhaftierten Aktivisten von den Missständen im Gefängnis berichtet hat, was nicht ungefährlich war. Wir stellen sein altes Nokia-Gerät aus, mit dem er seine Blog-Einträge veröffentlicht hat. Der Betrachter kann das Gerät selbst benutzen, um nachzuvollziehen, wie kompliziert und langsam das war.

Ein anderes Beispiel ist eine Skulptur von Noah Fischer, die zugleich ein wichtiges Werkzeug in der Öffentlichkeitsarbeit von „Occupy Wall Street“ war: eine Abe-Lincoln-Penny-Münze, als Maske aus Holz geschnitzt, die sich Noah Fischer aufsetzte. Sie ist eine von sieben Münzen, die Bestandteil seines sogenannten „Currency Manifesto“ sind. Auf einer steht „Master of Fine Arts“. Um diesen Titel zu erhalten, verschulden sich die Künstler in Amerika: „71,851.57 Dollar“ steht da darauf.

Wie stellt man eine Aktion aus?

Neben Artefakten der Aktionen werden viele Dokumentationen gezeigt. Das ZKM arbeitet schon von Anfang an mit Video. Es ist eine seltene Gelegenheit, sorgfältig zusammengestelltes Material in einem großen Raum zu sehen, wo man sich eine Übersicht auf das globale antikapitalistische Geschehen verschaffen kann.

Zeigen Sie selbst auch Videos?

Die Ausstellung im ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe mit dem Titel „Global Activism“ findet noch bis zum 30. März 2014 statt, sie bildet den Auftakt zum Karlsruher Jubiläumsmarathon „Globale“ und thematisiert die weltweit in Erscheinung tretenden sozialen Bewegungen.

Symposium am 24. und 25. Januar: Forscher analysieren soziale Bewegungen, Bürger-Initiativen, Protestformen usw. legen den Schwerpunkt auf den technologischen Aspekt, wie mathematische Theorien, die Hacktivisten für ihre Strategien verwenden, sowie um die technologiepessimistischen Einwände.

Summit am 26. Januar: Es geht um die Architektur der ersten globalen Revolution. Gesucht werden die Modulationspunkte zwischen den einzelnen Bewegungen.

An dem Symposium und dem Summit nehmen Aktivisten u.a. aus Patagonien, Reykjavík, Madrid, Budapest, Athen, Rio, Ramallah, Tel Aviv, New York, Moskau, Kairo, Peking, Istanbul, Casablanca, Warschau teil.

Es wird mein „Anamorphous Monument to Chelsea Manning“ zu sehen sein: das erste 3D-Computerporträt als anamorphisches Video, es wurde zunächst auf der Moskauer Biennale 2011 ausgestellt. In den Medien hat man damals Manning als Verräter verzerrt dargestellt, im Ausstellungsraum ist er anamorphisch wieder zurechtgezerrt. Die Arbeit wird mit einem Brief von Peter Weibel benachbart, in dem er Chelsea Manning einlädt, im ZKM zu arbeiten. Solche Unterstützungsaktionen sollen dazu führen, dass Manning vorzeitig entlassen wird.

Ich denke, dass die aktivistischen Artefakte, die Kunstwerke sind, und Artefakte, die keine sind, sich in der Ausstellung vermischen – und damit das Wertesystem des korrupten, neoliberalen, prostitutiven Kunstmarktes durcheinanderbringen. Viele andere Einrichtungen versuchen krampfhaft zu übersehen, dass in der Kunst eine radikale Demokratisierung stattgefunden hat. „Global Activism“ ist eine Ausstellung, die mit der veralteten Art, Ausstellungen zu machen, bricht und die mit dem globalen sozialen Wandel entstehende Form einer Ausstellung des 21. Jahrhunderts annimmt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.