Künstlerische Spurensuche in Hebron: Mit Uralt-Maske ins Palästinenserdorf

Sie suchten Ruinen und fanden Pflanzen: Das palästinensische Künstlerduo Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme stellt in Hamburg aus.

Prähistorie trifft Zeitgenossenschaft: Abbas' und Abou-Rahme auf Spurensuche Foto: Fred Dott/Kunstverein

HAMBURG taz | Die Masken waren die Rückversicherung, damals, in Nahost. Denn sie symbolisierten die Ahnen, und wenn der Schamane sie im Tanz anrief, bezeugten sie, dass den Nachkommen das Land gehörte: weil nämlich schon der Großvater hier gesiedelt hatte. Welche Belege sonst konnte es geben vor 9.000 Jahren, in einer schriftlosen Zeit?

Konkret geht es um die Landnahme prähistorischer Siedler in der Region um Jerusalem und Hebron. Deren kalksteinerne Schädelmasken fanden israelische Archäologen in den 1980ern und stellten sie 2014 im Jerusalemer „Israel-Museum“ aus. Heute gehören die meisten davon europäischen, amerikanischen und israelischen Privatsammlern – aber nicht Palästinensern.

Das wollten die KünstlerInnen Ruanne Abou-Rahme und Basel Abbas, in New York und Ramallah zu Hause, nicht hinnehmen. In einem Akt der Wieder-Aneignung haben sie die online gestellten Masken durch den 3-D-Drucker geschickt und in ein international tourendes Ausstellungsprojekt integriert.

Zurzeit stehen die Köpfe mit leeren Augen und Mündern in den Ecken des Hamburger Kunstvereins. Die Schau heißt „And Yet My Mask Is Powerful“, und man fühlt sich ein bisschen verfolgt von ihnen. Denn auch wenn die Steinzeit lange her ist und diese Masken bloß kopiert: Ihre archaische, düstere Kraft übermittel sich und lässt frösteln.

Basel Abbas' und Ruanne Abou-Rahmes Ausstellung "And Yet My Mask ist Powerful" ist bis 29. April 2018 im Hamburger Kunstverein zu sehen.

Überhaupt ist dies keine Wohlfühlschau: Die Bässe eines Soundtracks dröhnen, das Licht ist gedimmt, das Gitter am Eingang ähnelt dem Maschendraht der Westbank. Im Halbdunkel läuft ein Film, der zunächst nach „Dschungelcamp“ aussieht, bis man spürt: Das vermeintlich Vertraute wurde neu codiert. Hier stapfen Menschen mit besagten Masken durchs Dickicht zu den Ruinen von von Israel zerstörten Palästinenserdörfern.

Es sind Abbas und Abou-Rahme sowie palästinensische Jugendliche aus der Region. Sie haben sich auf Spurensuche begeben, illegal natürlich, denn so leicht kommt man in dieses Gebiet nicht rein.

In die Vergangenheit eingetaucht

In die Vergangenheit wollen sie tauchen, wie es der palästinensische Konzeptkünstler Khalil Rabah 2015 im Hamburger Kunsthaus nebenan tat, als er unbekannte historische palästinensische Dörfer wiederbelebte und Postkarten davon druckte, um palästinensische Identität neu zu definieren, weg vom bloßen Protest gegen die Besatzer.

Basel Abbas und Ruanne Abou-Rahme im Kunstverein gehen ähnlich vor, aber sie wollen mehr, haben ein philosophisches, poetisches, fast utopisches Projekt erdacht. Ihre Reise führt zwar nicht, à la Jules Verne, zum Mittelpunkt der Erde, wohl aber zum Zentrum der Wahrheit, zur – natürlich ihrerseits künstlerisch-fiktiven – Faktizität der Dinge. Sie wollen weg von Gerüchten und Geschichten über Region und Okkupation und einfach schauen, was noch da ist.

Der Kontext ist durchaus politisch: „Diving into a wreck“ heißt das Gedicht, das die US-amerikanische Feministin, Anti-Vietnamkriegs-Aktivistin und Poetin Adrienne Rich 1973 schrieb. Nach diesem Poem ist die Schau benannt, weitere Zitate zieren die Wände: „Erst ist die Luft blau und dann ist sie noch blauer und dann grün und dann schwarz / mir wird schwarz vor Augen / und trotzdem ist meine Maske voller Kraft, sie pumpt mein Blut mit Kraft auf“, steht da.

Diesen Text im Kopf, steigen die Künstler Schritt für Schritt in die Ruinen – zum vermeintlich unverstellten Ursprung. Und wo Adrienne Rich von einer Sauerstoffmaske schreibt, die sie beim Tauchen überleben lässt, nutzen Abbas und Abou-Rahme besagte Ahnenmasken als Schutz vor den Geschichten, die sich inzwischen über diese Orte gelegt haben.

Der Versuch, Geschichte zu überschreiben

„Ursprung“ meint hier einen im Wortsinn prä-historischen Moment, von dem aus Geschichte neu geschrieben werden könnte. Und zwar mit Hilfe jener imaginativen Kraft, die durch das Such-Ritual freigesetzt werden soll. Vielleicht, so die Hoffnung, kann die Epoche der Zerstörung überschrieben, eine neue, friedliche Geschichte verfasst werden. Nicht zufällig berufen sich die beiden auf den Literaturtheoretiker Edward Said, der für Nahost schon vor Jahren einen binationalen Staat vorschlug.

Den Anfang dieser neuen Geschichte machen die Fransen des Vergangenen, die das Künstlerduo in den Ruinen der 1948 zerstörten Dörfer fand, in denen trotzig Leben blieb. Dort wuselte eine ungeheure Vielfalt an Pflanzen und Insekten, die von wildem Spargel und Fenchel bis zu Granatapfelbäumen reichten.

Einige Zweige haben sie mitgebracht und in die Hamburger Ausstellung integriert. Manche liegen auf dem Boden, andere wachsen scheinbar aus Pflastersteinen, den Wurfgeschossen gleich, die man aus Fernsehbildern der Westbank kennt. Daneben liegen Heftchen mit Notizen des Künstlerduos. Sie sind erst in der Hamburger Station der Ausstellung dazugekommen.

Wer jetzt denkt, Spargel und Fenchel seien keine spektakulären Funde, irrt: Sehr gezielt haben die israelischen Besatzer in dieser Region Pinien gepflanzt, um Ruinen und Ursprungsvegetation zu überwuchern. Das hat nicht flächendeckend funktioniert: Immer wenn Abbas und Abou-Rahme Originalpflanzen der Gegend fanden, wussten sie, sie waren auf dem richtigen Weg.

Eigenartig, dass nicht nur ein Baum, sondern auch ein Fenchel Dokumentar einer Gegend, einer Brutalität, eines Leidens werden kann. Dabei haben schon die prähistorischen Siedler, Assyrer und Babylonier, um die Identität stiftende Bedeutung regionaler Fauna gewusst. Sonst hätten sie nicht auf Reliefs und Handschriften, die von Heldentaten erzählten, stets die Pflanzen der Gegend mit abgebildet.

Zeiten und Techniken klug verfugt

Abbas und Abou-Rahme haben – Zeiten und Techniken abermals geschickt verfugend – Internet-Ausdrucke dieser alten Reliefs und Manuskripte in die Ausstellung gehängt. Daneben die mitgebrachten echten Pflanzen – halb verdorrt, aber in der Kunst bewahrt. „Diese Pflanze gehört hierher“, so der Subtext, „und also auch die Menschen, die hier vor Tausenden Jahren siedelten.“ Pflanzen sind zu Chiffre und Visitenkarte einer Gegend geworden; sie harren aus, solange die zugehörigen Menschen nicht vor Ort sein können.

Das versuchen die übrigens durchaus. Immer wieder gehen einstige Dorfbewohner heimlich in die Moscheen und Kirchen, um dort Zeremonien zu feiern. Und wenn Abbas und Abou-Rahme die Masken an ihren Herkunftsort zurückbringen, verbreitern sie diese Spur und „flicken“ die Verbindung zur eigenen, positive Identität stiftenden Geschichte.

Ganz frei von anti-israelischen Ressentiments ist die Schau indes nicht. Das zeigen die zu Schattenfiguren arrangierten Werkzeuge. Spachtel mit Widerhaken, bizarr gebogene Zangen, Ambosse mit rückwärts gewandten Spitzen: Die Requisiten eines harmlosen Schreiners sind das nicht. Eins der Geräte gleicht einer Daumenschraube. Vielleicht ist dies eine Phalanx aus Folterinstrumenten, einen oft an Israel gerichteten Vorwurf manifestierend.

Und auch wenn das alles dezent und spielerisch wirkt: Ein Gegenbild zur täglichen brutalen Bilderflut bietet diese Schau kaum, auch wenn die KünstlerInnen das beteuern. Vielleicht ist das richtig so, und jede Facette erlittenen Leidens muss benannt und künstlerisch verarbeitet werden. Womöglich gehören auch die palästinensischen Dorfruinen fiktiv zum Leben erweckt, der Gesellschaft im übertragenen Sinne zurückgegeben, bevor die Politik ernsthaft und nachhaltig darüber verhandeln kann.

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