Kritik an Oscar-Film „Moonlight“: Das ist so amerikanisch

Unser Autor findet den Oscar-gekrönten Film nicht authentisch. Der Preis verringere die Glaubwürdigkeit sogar noch.

Eine Frau mit kurzen Haaren blickt nach rechts oben

Janelle Monáe, in den USA vor allem als Neo-Soul-Sängerin bekannt Foto: reuters

Vielleicht kennen Sie dieses Gefühl: Man hat sich einen Film angeschaut oder ein Konzert – und am Ende ist man irgendwie unzufrieden, ohne es erklären zu können. Und dann, ein paar Stunden später, ist da immer noch diese Unzufriedenheit, die man mit sich herumträgt.

Und so ist es mir mit „Moonlight“ ergangen, dem Oscar-prämierten Drama von Berry Jenkins: Im Grunde genommen ein guter Film, am Ende aber eben doch nicht glaubwürdig. Ich wurde von vielen in Berlin gefragt, was ich von „Moonlight“ halte. Als schwarzes Mitglied der LGBTQI-Community und als jemand, der in einem jener vernachlässigten Schwarzenviertel der USA aufgewachsen ist, habe ich auf diese Frage eine andere Antwort, als die meisten vermuten würden.

Ich möchte jedoch zunächst mit Lob beginnen. Einige der Besetzungen des Films waren hocherfreulich. Janelle Monáe zum Beispiel, die in den USA vor allem als Neo-Soul-Sängerin bekannt ist und ihr Filmdebüt in „Hidden Figures“ hatte, demonstriert hier, dass sie nicht nur mit dem Mikrofon in der Hand eine gute Figur macht, sondern sich auch vor der Kamera wohlfühlt.

Großartig auch die Britin Naomie Harris, die seit mehr als dreißig Jahren erfolgreich schauspielert und einen sehr guten Ruf in der Filmindustrie genießt. Das Gleiche gilt für Mahershala Ali, der ebenfalls kein Neuling in der Branche ist, was auch für den Regisseur selbst gilt. Barry Jenkins hatte schon im Jahr 2003 mit „My Josephine“ auf sich aufmerksam gemacht, zuletzt auch mit „Medicine for Melancholy“ (2008).

Es kommt auch auf Timing und Sprache an

Die missliche Lage von Schwarzen und LGBTQI in Amerika, dieses Thema ist heute noch immer so relevant wie in der Zeit der US-Bürgerrechtsbewegung und des Stonewall-Aufstands, bei dem erstmals LGBTQI gegen Polizeigewalt aufbegehrten. Und „Moonlight“ gelingt es erfolgreich, diese Situation als Hintergrund einer sehr emo­tio­nal aufgeladenen Geschichte zu verwenden. Noch mehr Lob also, denn „Moonlight“ zeigt die Geschichte von Menschen, die an den Rand gedrängt werden – anstatt deren Schicksal nicht ernst zu nehmen oder gleich ganz zu unterschlagen, wie es so oft der Fall ist. Gleichzeitig macht „Moonlight“ nicht den Fehler, diese Geschichte allzu „camp“ und stereotyp zu erzählen, was oft an den Wirklichkeiten der betroffenen Menschen vorbeigeht.

So weit, so gut. Wieso aber nun ist „Moonlight“ damit gescheitert, eine völlig glaubwürdige Geschichte zu erzählen? Es ist eben nicht nur die Relevanz, die entscheidend ist, sondern auch Faktoren wie Timing und Sprache, die am Ende für ein authentisches Gefühl sorgen. Timing, dieser Begriff umfasst hier die Art und Weise, in der die Worte und Sätze der Darsteller fließen – kann man sich in den Dialogen verlieren? Nicht, weil die Dia­lo­ge so schlecht sind, sondern weil sie Dialoge aus dem richtigen Leben widerspiegeln?

Naomie Harris verkörpert die Rolle der Mutter, eine Frau, die drogensüchtig ist und die Erziehung ihres Kindes vernachlässigt. Man nahm es ihr kaum ab, weil das Timing so selten stimmte. Mal reagierte sie völlig übertrieben in Anbetracht eines Ereignisses, mal blieb sie völlig ausdruckslos gemessen beim Anlass; es war fast unmöglich zu glauben, dass es sich bei dem dargestellten Charakter um eine tatsächlich existierende Person handeln könnte – die Realität des Publikums vor der Leinwand, sie konnte nicht durchbrochen werden.

Hinzu kommt, dass auch das Drehbuch allzu häufig nicht stimmig war, insbesondere in Bezug auf die Wortwahl. Würde man das in dieser Situation so sagen? Wenn man sich als Zuschauer in einem Film solche Fragen allzu häufig stellen muss, dann stimmt etwas nicht. Erst recht, wenn man selbst dem im Film dargestellten kulturellen Kontext entstammt.

Wir fressen einfach, was uns die Oscar-Academy hinwirft

Ich hatte Probleme als schwarzer, schwuler Amerikaner, der größtenteils in unterprivilegierten Verhältnissen aufgewachsen ist, diesen Film ernst zu nehmen. Es ist zum Beispiel unrealistisch, dass jemand, der crackabhängig ist, in einem medizinischen Beruf arbeitet: Crack hat in den Achtzigern das Leben der Menschen in den schwarzen Ghettos wahrhaftig komplett zerstört. Abrupt und nicht schleichend wie im Fall von Alkoholmissbrauch. Und Harris, Tochter einer gut situierten Drehbuchautorin, vermochte es einfach nicht, die cracksüchtige Bewohnerin eines Ghettos zu verkörpern und den Habitus ihrer eigenen Herkunft zu überspielen.

Dass es auch anders geht, hat Gabourey Sidibe in „Precious“ bewiesen. Die Hauptfigur, Precious, wurde als Kind missbraucht, mit HIV infiziert und wuchs als Analphabetin in Harlem auf, bevor der Stadtteil gentrifiziert wurde. Die Schauspielerin Gabourey Sidibe wiederum wuchs selbst im prägentrifizierten Harlem, NYC, auf – und zwar als Tochter eines senegalesischen Taxifahrers und einer Gospelsängerin. Von dem offenen Casting für den Film „Precious“ erfuhr sie durch Zufall von einer Freundin, während sie gerade in einem Callcenter arbeitete, um sich über Wasser zu halten.

... ist in New Jersey aufgewachsen. Als DJ Alternegro ist er ein Begriff im Berliner Nachtleben.

Am Ende war es der Drehbuchautor Lee Daniels, der begriff, dass die stark übergewichtige Sidibe mit der fehlenden Schauspielerfahrung genau die richtige Kandidatin war, um dem Film Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Doch das „Moonlight“-Pro­blem, es hat nicht nur mit dem Film an sich zu tun. Ein großes Problem gibt es vor allem mit ­jener Agentur, die in Hollywood für Anerkennung zuständig ist, also mit der Academy, die jedes Jahr die Oscar-Verleihungen gestaltet: Was für eine enttäuschende Rolle diese Academy stets gespielt hat – und wir alle fressen einfach, was sie uns hinwirft.

Die mangelnde Glaubwürdigkeit färbt auf „Moonlight“ ab

Seitdem es diese Institution gibt, trifft sie unfaire, unausgewogene Entscheidungen. Und dann, ganz plötzlich, ist das Jahr 2017, und die Academy setzt eine schwarze Präsidentin an die Spitze, und ein schwarzer Film wird bester Film – als wäre das völlig normal und eigentlich immer schon selbstverständlich gewesen, dass es sich bei der Academy um eine faire Institution handelt.

Das ist so amerikanisch. Und das trägt indirekt dazu bei, dass auch „Moonlight“ an Glaubwürdigkeit verliert, denn es gibt eine Diskrepanz zwischen der akademischen Relevanz der Academy und der Auswahl des Films – die erste Oscar-Verleihung fand am 3. April 1930 statt – und dann, im Jahr 2017, gewinnt plötzlich der allererste Film mit einer komplett schwarzen Crew die Auszeichnung für den „besten Film“.

Die Rechten von heute rufen „Lügenpresse“, weil sie sich durch die etablierten Medien nicht vertreten fühlen – ähnlich wie 1968 die Linken. Lesen Sie in der taz.am wochenende vom 8./9. April einen Essay über die Karriere eines Kampfbegriffs. Außerdem: Eine Reportage über einen Hotelier in Bautzen, der Flüchtlinge einziehen ließ und als Herbergsvater glücklich wurde – bis Brandsätze flogen. Und: Wie der Oscar der Glaubwürdigkeit des Schwulen-Dramas „Moonlight“ geschadet hat. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Die Tatsache, dass es in all den vergangenen Jahren niemals eine solche Berücksichtigung von Vielfalt gegeben hat, macht die Kompetenz der Academy zunichte und lässt eher vermuten, dass es sich bei der Auswahl von „Moonlight“ lediglich um eine Kulanz aus Gründen der politischen Korrektheit gehandelt hat. Die mangelnde Glaubwürdigkeit der Academy färbt am Ende auf „Moonlight“ ab. Schade.

Der Schuss droht nach hinten loszugehen, wenn die Bemühungen von schwarzen LGBTQI darin münden, dass an ihre Kunstwerke nicht die höchsten Maßstäbe gelegt werden. „Moonlight“ an sich war völlig okay. Aber den Film als „besten Film“ auszuzeichnen, wird eigentlich keinem Anliegen gerecht, weder dem der Cineasten noch dem der schwarzen Schwulen.

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