Kritik an Müllers Grundeinkommen: „Nicht mehr viel übrig“

Die Grüne Bangert hat Kritik an Müllers Konzept für das „Solidarische Grundeinkommen“. Vor der Umsetzung müsste noch vieles geklärt werden.

Eine Geldbörse mit ein paar Scheinen darin

Langzeitarbeitslose sollten nach Müllers Idee für verschiedene Tätigkeiten Mindestlohn bekommen Foto: dpa

taz: Frau Bangert, der Hauptausschuss hat die Mittel für Michael Müllers Modellprojekt eines „Solidarisches Grundeinkommen“ vergangene Woche nicht freigegeben. Warum?

Sabine Bangert: Weil von der Ursprungsidee nicht mehr viel übrig ist. Müller wollte einen Modellversuch für eine öffentliche Beschäftigung mit unbefristeten sozialversicherungspflichtigen Stellen. Das war die Maßgabe. Jetzt plant Müller ein Förderinstrument des Bundes mitzunutzen, bei dem keine Beiträge für die Arbeitslosenversicherung entrichtet werden. Das widerspricht den Grundsätzen. Wenn wir einfach ein Instrument des Bundes anwenden, frage ich mich auch, was das Modellhafte daran ist. Das ist dann nichts anderes als ein ganz normaler öffentlich geförderter Beschäftigungssektor. Zumal noch unklar ist, ob wir tatsächlich unbefristete Stellen anbieten können.

Müller will sicherlich die Kosten senken und bezieht deshalb Gelder des Bundes mit ein. Schafft man wie geplant 1.000 öffentlich geförderte Stellen für Arbeitslose, dann kostet das laut Senat 30 Millionen Euro im Jahr.

Ja, das ist eine Menge Geld. Wenn wir schon so einen vergleichsweise teuren Modellversuch machen, wollen wir das Optimum für die Menschen rausholen. Es muss sichergestellt sein, dass sie gut betreut werden und sinnvolle Tätigkeit verrichten, aus denen eine berufliche Perspektive erwächst.

Das Modellprojekt Das vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) angestoßene Pilotprojekt hat mit einem bedingungslosen Grundeinkommen nichts zu tun. Es ist eine Beschäftigungsmaßnahme: Arbeitslose sollen gemeinnützige Jobs verrichten und dafür nach Tarif, mindestens aber nach dem Mindestlohn bezahlt werden. Die Teilnahme ist freiwillig, die Jobs sollen unbefristet sein. Es richtet sich an Menschen, die zwischen einem und maximal drei Jahren ohne Arbeit sind.

Gemeinnützige Jobs Als Beispiele für Tätigkeiten nennt die Senatskanzlei etwa „City-Lotsen“: Sie sollen Mängel im öffentlichen Raum melden oder auch die Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr testen. „Schulorgani­sationsassistent*innen“ sollen in Schulen helfen, etwa Stühle umräumen oder Material besorgen. „Mobilitätshelfer*innen“ sollen ältere oder obdachlose Menschen zu Terminen begleiten.

Umfang Ursprünglich war von 4.000 Stellen die Rede. Weil Müller jedoch keine Unterstützung vom Arbeitsminister und Genossen Hubertus Heil bekam, schrumpfte das Projekt auf 1.000 Stellen. Jetzt soll es zunächst mit 250 Stellen losgehen. (all)

Das ist im bisherigen Konzept nicht geregelt?

Da ist nicht verbindlich genug festgeschrieben. Müller will ja vor allem die Menschen erreichen, bei denen das Arbeitslosengeld I ausläuft. Er will ihnen die Angst davor nehmen, in Hartz IV zu fallen, was richtig ist. Diese Menschen sind meist ausgebildet, sie haben relativ gute Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Sie sollen nun zum Beispiel als Kiezläufer auf Ordnung und Sauberkeit achten. Eingreifen dürfen sie nicht, ihre Jobs müssen ja zusätzlich sein zu Stellen im öffentlichen Dienst oder auch in der Wirtschaft. Also laufen sie herum, sehen etwas – und rufen das Ordnungsamt. Wie sinnvoll das ist, sei dahingestellt. Das ist eine arbeitsmarktferne Tätigkeit, aus der sich keine berufliche Perspektive entwickelt. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass die Menschen auch qualifiziert werden.

Ihre Beschreibung klingt, als heißen Sie zusätzliche Jobs grundsätzlich nicht gut.

Keine Frage: Wir brauchen in Berlin einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Aber wir brauchen ihn für eine andere Zielgruppe, nämlich für die Langzeiterwerbslosen, die bei der Stellensuche auf dem ersten Arbeitsmarkt wirklich keine Chance mehr haben.

An die richtet sich seit Januar das neue Programm von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), das sogenannte Teilhabechancengesetz. Die Stellen müssen dabei noch nicht mal zusätzlich sein. Sollte man ganz auf Müllers Modellprojekt verzichten und sich stattdessen auf Heils Gesetz konzentrieren?

Nein, das ist für mich keine Option. Wir hätten schon gerne so einen Modellversuch. Wir wollen sehen, was es mit den Menschen macht, wenn wir sie über einen längeren Zeitraum als bisher fördern, ihnen die Existenzängste nehmen und sie qualifizieren. Das muss dann natürlich auch evaluiert werden.

64, ist arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen im ­Abgeordnetenhaus.

Müller hat immer damit geworben, dass die Teilnehmenden unbefristete Stellen haben sollen. Auch das steht nicht fest?

Bislang ist nicht geklärt, ob es rechtlich überhaupt möglich ist, Menschen nach fünf Jahren automatisch – sofern sie keinen anderen Job gefunden haben – in den öffentlichen Dienst zu übernehmen. Stellen im öffentlichen Dienst muss man üblicherweise ausschreiben, es gibt ein geregeltes Verfahren. Entsteht dann wieder ein Stellenpool, wie wir ihn schon mal hatten? Was sollen diese Menschen dann machen? Wir müssen auch klären, ob wir uns im Haushalt überhaupt so lange festlegen können. Wir würden mit unbefristeten Stellen ja vorgreifen auf zukünftige Haushalte, die aber der Entscheidung derer unterliegen, die dann regieren.

Der Modellversuch soll im Juli starten. Winken Sie ihn also bei der nächsten Sitzung des Hauptausschusses Ende Mai durch, trotz der Unklarheiten?

Wir wollen, dass nachgebessert wird, und haben dazu einen Fragenkatalog eingereicht. Müller muss schon ein Konzept mit Substanz vorlegen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.