Krieg in Syrien: Keine Ruhe, kein Frieden

Am Samstag treffen sich Putin und Merkel. Der russische Präsident will die Kanzlerin überzeugen, dass der Krieg in Syrien vorbei ist. Ist er das?

ein belebter Platz mit Uhrenturm

Muss Idlib eine Offensive der Assad-Truppen fürchten? Blick auf den Uhrenturm in Idlib-Stadt (Juni 2017) Foto: reuters

„Der Krieg ist vorbei“, titelte das US-Magazin Fo­reign Policy kürzlich, „und Amerika hat verloren.“ Nicht nur Amerika, möchte man rufen, auch all jene Syrer, die sich ein anderes Syrien erhofft hatten, die auf die Straße gingen und später zu den Waffen griffen, um sich vom Joch der Assad-Diktatur zu befreien.

Doch vielmehr noch lässt die Feststellung stutzen, der Krieg sei vorbei. Sind wir nach sieben Jahren Krieg und einer halben Million Toten jetzt am Ende der Tragödie angelangt? Ist das neue Syrien das alte Syrien, nur ethnisch, religiös und politisch homogener als zuvor? Steht jetzt der Wiederaufbau auf der Tagesordnung?

Davon wird der russische Präsident Wladimir Putin Kanzlerin Angela Merkel zu überzeugen versuchen, wenn er sie am Samstagabend auf Schloss Mese­berg trifft. Von Europa erhoffen sich die syrische Regierung und ihre Schutzmacht Russland vor allem noch eines: Geld. Der Krieg – so die Erzählung von Damaskus und Moskau – sei vorbei, jetzt sei die Zeit für den Wiederaufbau und die Rückkehr der Flüchtlinge. Werden die Europäer bereit sein zu zahlen, um die Rechten in ihren eigenen Ländern in Schach zu halten? Oder werden sie dabei bleiben, dass der Massenmörder Assad, der sich noch immer Präsident nennt, nicht einfach weitermachen kann?

Mit tatkräftiger Hilfe Russlands und Irans haben Assads Truppen in den vergangenen Wochen die Kon­trol­le über weite Teile Sy­riens zurückgewonnen. Ausgerechnet in Daraa, wo im Frühjahr 2011 die ersten Kundgebungen begannen, hissten sie ihre Flagge, die alte schwarz-rot-weiße Nationalflagge. Jetzt kontrolliert das Regime, von wenigen Flecken abgesehen, wieder ganz Zentral- und Südsyrien.

Kommt jetzt die „Mutter aller Schlachten“?

Im Norden allerdings ist Assad von einem militärischen Sieg fast so weit entfernt wie von einer politischen Lösung. Und beides dürfte schwierig werden, schwieriger als im Süden, wo die Nachbarländer Assad und seine Verbündeten weitgehend machen ließen. Im Nordwesten kontrollieren Rebellen mit Idlib die letzte ihnen bleibende Provinz des Landes. Gleich angrenzend, im Norden der Provinz Aleppo, haben sich türkische Truppen festgesetzt. Und schließlich kontrollieren kurdische Kräfte die Gebiete östlich des Euphrats.

„Der Zeitpunkt unseres Sieges ist nah“, schrieb Assad am Mittwoch in einem Brief anlässlich eines Militärjubiläums. Zuvor hatte er angekündigt, dass Idlib sein nächstes Ziel sein werde. Staatsmedien sprachen schon von der „Mutter aller Schlachten“.

Foto: Infotext

Eine Großoffensive auf die Provinz könnte katastrophale Folgen haben. Zwar ist Idlib ländlich geprägt, aber es leben in der Provinzen nach UN-Schätzungen immerhin 2,9 Millionen Menschen. Hunderttausende würden die Flucht ergreifen, darunter viele Binnenvertriebene, die in Idlib Zuflucht gesucht haben oder dorthin geschafft wurden. Seit Jahren karren die grünen Busse des Regimes Oppositionelle und ihre Familien dort hin. Evakuierung nennt die Regierung die Zwangsumsiedlung.

Auch Tausende Kämpfer verschiedener Anti-Assad-Milizen harren in Idlib aus, darunter viele radikale Islamisten. Die Dschihadisten von Hai’at Tahrir al-Scham herrschen über weite Teile der Provinz. Sie dürften wild entschlossen sein, sich Assad in den Weg zu stellen.

Sollte das Regime die Lage eskalieren, warnt UNICEF, wären auch Hunderttausende Kinder in Idlib gefährdet. „Viele der Kinder wurden gezwungen zu fliehen, einige bis zu sieben Mal“, schrieb das UN-Hilfswerk in einem Statement. „Die meisten leben nun in überfüllten Lagern und Unterkünften in ländlichen Gebieten.“ Bis zu 350.000 Kinder könnten das Dach über dem Kopf verlieren. Insgesamt sollen rund eine Million Kinder in Idlib leben.

Wird Ankara eine Idlib-Offensive billigen?

Doch wäre eine Großoffensive auf Idlib nicht nur eine humanitäre Katastrophe, sondern auch ein politischer Drahtseilakt. Nördlich von Idlib hält die Türkei einen mehr als 100 Kilometer breiten Streifen besetzt. In Idlib selbst soll sie nach Absprachen mit Iran und Russland für Ruhe sorgen und hat zu diesem Zweck zwölf Beobachtungsposten mitsamt Soldaten und Panzern errichtet. Schnell könnte aus einem Angriff auf Idlib ein kriegerischer Akt gegen die Türkei werden.

Alexey Khlebnikov, Analyst

„Jedwede Großoffensive gegen Idlib ist aus russischer Sicht vom Tisch.“

Assad müsste also fein säuberlich um die türkischen Truppen herumbomben oder aber einen Deal mit den Türken finden, dass sie sich aus Idlib zurückziehen. Und Russland hat einer Großoffensive kein grünes Licht gegeben. Moskau würde seine Beziehungen zur Türkei aufs Spiel setzen, sollte es eine Großoffensive billigen oder womöglich sogar aus der Luft unterstützen.

„Jedwede Großoffensive gegen Idlib ist aus russischer Sicht vom Tisch“, schreibt Alexey Khlebnikov in einer Analyse für das Beiruter Carnegie Middle East Center, „andernfalls würde sich eine weitere Flüchtlingswelle in Richtung der türkischen Grenze in Bewegung setzen.“ Denn wohin sollten die Menschen fliehen, wenn nicht nach Norden? Zuerst in die türkische Besatzungszone, dann in die Türkei selbst, dann in die EU.

Kontrolle heißt Macht

Der Empfang

Nachdem die Bundeskanzlerin den russischen Präsidenten im Mai in Sotschi besucht hatte, wird dieser nun Angela Merkel besuchen. Den Samstagabend verbringen die beiden im Gästehaus der Bundesregierung, auf Schloss Meseberg in Brandenburg.

Die Agenda

Der Krieg in Syrien, die Lage in der Ostukraine, die verschärften US-Sanktionen und die Ostseepipeline Nord Stream 2.

Der Krieg

Auch bei dem Treffen der Kanzlerin mit dem russischen Außenminister und dem russischen Generalstabschef im Juli in Berlin ging es bereits um die Folgen der Entwicklung in Syrien, insbesondere um die Rückkehr von Flüchtlingen in das Bürgerkriegsland.

Das will die Türkei vermeiden. Für sie bedeutet die Präsenz in Nordsyrien vor allem Verhandlungsmasse. Wie auch immer der Krieg ausgeht, Präsident Erdoğan wird in künftigen Verhandlungen ein mächtiges Wort mitzureden haben. Angela Merkel hat sich am Freitag bereits offen für den Vorschlag Erdoğans ausgesprochen, ein Treffen mit den Präsidenten Frankreichs, Russlands und der Türkei zum weiteren Vorgehen in Syrien zu vereinbaren. Selbst eine langfristige Präsenz oder gar Annexion des türkisch besetzten Teils ist nicht undenkbar. Vieles deutet darauf hin, dass Ankara bereit ist, das Anne­xions­szenario zumindest als Druckmittel einzusetzen.

Vor den Behörden in der Zone weht die türkische Flagge; die Regierung in Ankara lässt Straßen reparieren, und die türkische Post hat Filialen in Nordsyrien eröffnet. Ab Herbst sollen Schulkinder auch Türkisch lernen.

Unlängst schwärmte ein Bezirksbürgermeister der Stadt Aazaz von den Türken. „Für Sicherheit in Aazaz ist gesorgt“, sagte er dem Syrien-Blogger Aymenn Jawad al-Tamimi, „an den Kreisverkehren sind Tag und Nacht Patrouillen unterwegs, die Schulen werden renoviert.“

Was die Menschen in der Region von diesem Szenario halten und ob das Nato-Land Türkei eine Annexion nach dem Vorbild der russischen Krim-Annexion international durchsetzen könnte, ist allerdings ungewiss.

Kurden verhandeln mit Assad

Druckmittel braucht die Türkei vor allem in Hinblick auf die Kurden, deren Status im künftigen Syrien offen ist. Seit Wochen verhandeln die kurdisch-dominierten Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF), die mit US-Unterstützung den IS vertrieben hatten, mit der Regierung in Damaskus. Die Kurden könnten sich bereit zeigen, nicht-kurdische Städte wie Rakka an das Assad-Regime zurückzugeben – im Tausch gegen weitreichende Autonomierechte für die selbstverwalteten Gebiete in Nordsyrien.

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Es werde über „Selbstverwaltung“ gesprochen, sagte İlham Ahmed, Ko-Vorsitzende des einflussreichen Syrisch-Demokratischen Rats, des politischen Arms der SDF, dem russischen Propagandasender Russia Today. Die Frage sei, „inwiefern diese Verwaltung Teil eines Regierungssystems in Syrien sein kann“. Selbst die Möglichkeit, die kurdisch dominierten SDF-Truppen zu einem späteren Zeitpunkt in die syrische Armee zu integrieren, schloss Ahmed nicht aus.

Ein mächtiger Quasi-Staat der Kurden an der Grenze zur Türkei aber wäre der Alptraum Ankaras. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wird die türkische Regierung Damaskus drängen, diese nicht zu mächtig werden zu lassen. Wenn Assad die Kurden in Schach hält, so könnte der Deal aussehen, würde Ankara im Gegenzug das Land räumen.

Was Syrien noch bevorsteht, darauf gab es am vergangenen Wochenende einen Vorgeschmack. Nach UN-Angaben wurden mindestens 134 Menschen getötet, als sich Aufständische im Nordwesten heftige Kämpfe mit Assads Truppen lieferten. Momentan sieht also alles danach aus, als würden Assad und seine Verbündeten zunächst versuchen, die Ränder Idlibs zurückzuerobern, ohne die Türkei mit einer Großoffensive zu verärgern.

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