Krieg in Syrien: „Wir brauchen eine Flugverbotszone“

Ein junger Syrer fordert die Welt auf, den Wahnsinn des Krieges in seiner Heimat endlich zu beenden. Der Islamische Staat spiele kaum eine Rolle.

Männer halten Schilder mit arabischen Schriftzeichen in die Höhe

„#Aleppo“ (l) und „Sorry Aleppo, du bist nicht Paris“ (r): Solidarität im Libanon mit Aleppo Foto: ap

BERLIN taz | Aleppo ist meine Heimatstadt. Bustan al-Zahra war bis vor zwei Jahren mein Viertel. Es liegt zwischen der Rebellenseite und den vom Regime kontrollierten Gebieten. Vor der Feuerpause, die bis Dienstag dauern soll, sind dort zehn Tage lang bis zu 30 Luftangriffen täglich geflogen worden. Meine Mutter und meine Schwester waren gezwungen, in ihrer Wohnung abzuwarten, ob es auch sie treffen wird. Die Häuser um sie herum stürzten ein. Denn die Front verläuft etwa drei oder vier Meter von ihrem Haus entfernt.

Meine Familie hat nicht das Geld, um eine Wohnung im Regimegebiet zu mieten. Sie gehen dort nur zum Einkaufen hin, denn dort gibt es noch Läden. In ihrem Viertel ist die Stromversorgung seit drei Jahren zusammengebrochen. Ein einziger Dieselgenerator läuft noch in ihrer Straße, von dem aus Kabel in die Häuser gelegt werden. Alles ist ungeheuer teuer geworden, auch der Strom, aber es funktioniert. Deshalb können wir fast jeden Tag skypen. Ohne das Geld, das ich von Berlin aus schicke, könnten meine Schwester und meine Mutter nicht überleben.

Meine Mutter hat ihr Leben lang hart gearbeitet. Sie leitete bis zum neuen Flächenbombardement einen staatlichen Gemüseladen und steht kurz vor der Pensionierung. Jetzt ist der Weg zum Laden zu gefährlich geworden. Doch taucht sie dort nicht auf, gilt sie dem Regime als Rebellin und verliert ihre Rente. Sie will Syrien nicht verlassen, aber wie soll sie jetzt noch in Aleppo überleben? „Wenn du die Kinder hier sehen würdest, du würdest verrückt“, sagte sie bei unserem letzten Gespräch. Meine Eltern sind seit vielen Jahren getrennt. Mein Vater lebt auf der Seite, die vom kurdischen Militär kontrolliert wird. Vor sechs Tagen schickte er mir eine SMS: „Der Lärm der Schüsse und Bomben übertönt alles. Es gibt hier kein anderes Geräusch mehr. Selbst das Schreien der Kinder hörst du nicht mehr.“

Als wir am Sonntag miteinander sprachen, sagte er: „Jetzt ist alles ruhig. Warum haben sie Assad nicht vorher zurückgepfiffen? Und warum soll der Waffenstillstand nur 72 Stunden dauern, damit danach das Töten weitergehen kann?“

Der Krieg soll weitergehen

Wieder frage ich mich: Warum richten sie keine Flugverbotszone ein? Wenn die USA und die Russen möchten, dass in Syrien nicht gebombt wird, wird nicht gebombt. An ihren Befehl hält sich das Regime, die Freie Syrische Armee, die Kurden, al-Nusra und der IS. Die Waffenruhe in Aleppo und in Syrien der letzten Wochen haben das gezeigt. Doch dann sagte US-Außenminister John Kerry am 22. April der New York Times, dass es schwerer sei, Terroristen von Rebellen zu unterscheiden als gedacht – und das Gemetzel in Aleppo begann von Neuem.

Fünf Jahre nach der Revolution weiß Kerry, dass die Gleichsetzung von Assad-Gegnern mit Islamisten und Söldnern Tausende Menschen das Leben kosten wird. Aber er sagt den Satz immer wieder und gibt so grünes Licht dafür, dass das Regime seinen Vernichtungsfeldzug gegen die Bevölkerung in Syrien fortsetzen kann. Warum?

Wollen sie die Überlebenden so sehr zermürben, dass sie jedem Deal zustimmen?

Die Supermächte können das Bombardement beenden, aber offensichtlich wollen sie das nicht. Die Kämpfe am Boden würden auch weitergehen, wenn sie eine Flugverbotszone einrichteten und damit Frauen, Kindern und Alten eine Schutzzone gewährten. Auch die Geldwäsche, die im großen Maßstab in Syrien stattfindet, bliebe unberührt. Aber ein paar Tausend Kinder würden nicht verstümmelt werden oder getötet. Warum stört ihr Überleben Russen und Amerikaner so sehr? Warum finden sie keinerlei Ausgleich zwischen Menschenrechten und ihren nationalen Interessen?

In den deutschen Medien ist meist von Bürgerkrieg die Rede. Das ist so verlogen! Denn es wird behauptet, dass zwei etwa gleich starke Kräfte aufeinander losgehen und also gleichermaßen für den Massenmord in Syrien verantwortlich sind.

Doch in Syrien besitzt nur eine Seite Flugzeuge. Warum wird das wieder und wieder übersehen? Ja, auch die Assad-Gegner haben vor Kurzem eine Krankenstation beschossen. Doch sie verfügen nicht über Hightechwaffen. Sie schießen und schauen dann, was sie getroffen haben. Sie sind abhängig von ihren Waffen- und Geldgebern, von deren Einzel- und Business-Interessen. Deshalb haben sie keine kohärente Strategie.

Es geht um Vernichtung

Das Regime hingegen verfügt über Präzisionswaffen. Wenn sie das einzige Kinderkrankenhaus in der Region bombardieren, dann war das kein Versehen, sondern mission accomplished.

Es geht um Vernichtung. Seit die Russen offen in Syrien kämpfen, sprechen die Regimeanhänger das auch offen aus. Ahmad Shleish, Mitglied des Parlaments, postete am 29. April auf Facebook: „Aleppo ist doch berühmt fürs Grillfleisch. Jetzt könnt ihr Menschenfleisch braten.“ Und die Journalistin Kenana Alush, die fürs Regierungsfernsehen arbeitet, posiert stolz vor Leichen und schickt das Foto über Facebook.

Der herrschende Clan ist verhasst. Sie haben alles zu verlieren. Aber welches Interesse haben die Großmächte am Genozid in Syrien? Sollen die arabischen Sunniten zu einer Minderheit gemacht werden, damit sich mehr Schiiten in Syrien ansiedeln können? Sollte es wirklich darum gehen, die Demografie zu ändern? Bisher war das nur eine Verschwörungstheorie.

Schon heute sieht man in Aleppos Straßen fast keine Männer mehr. Meine Mutter sagte mir, dass die ältesten Jungs gerade noch 14 Jahre alt sind. Alle anderen zwischen 15 und 50 sind entweder tot, an der Front oder geflohen – wie ich.

Fest steht: Die Russen und Amerikaner setzen auf Zeit, der Krieg soll weitergehen. Wollen sie die Überlebenden so sehr zermürben, dass sie jedem in Genf oder anderswo ausgehecktem Deal zustimmen? Noch sind sie dazu nicht bereit. Während der Waffenruhe in den letzten Wochen wurde sofort wieder gegen das Regime demonstriert. Erklärt das den neu entflammten Vernichtungswillen?

Im Voraus gewarnt

Als die Revolution in Syrien begann, ließ das Regime überall auf die Wände in Schwarz sprühen: „Assad auf ewig, oder wir brennen euch nieder“.

Ich kann verstehen, warum die Russen jede Demokratiebewegung niederschlagen. Es ist ein wichtiges Signal nach innen. Und nach außen ist ihre Gewalt ein Mittel, um wieder als Superpower ernst genommen zu werden. Aber die Amerikaner? Warum stört auch sie die Möglichkeit so sehr, dass sich ein Land im Nahen Osten zu einer Demokratie wandelt?

In Syrien passiert nichts Wesentliches, ohne dass Russen und Amerikaner das miteinander absprechen würden. Doch die meisten westlichen Medien schieben die Schuld für die Eskalation allein den Rebellen zu. Der IS müsse bekämpft werden. Das ist lächerlich. In Aleppo gibt es keinen IS, und auch andere Fundamentalisten spielen kaum eine Rolle.

Übrigens: Die Russen haben angekündigt, dass ihr nächstes Ziel die Hochburgen von IS, die Städte Raqqa und Deir-al-Sor, sein werden. Die Islamisten wurden Tage im Voraus gewarnt, sie können sich nun auf die Angriffe einstellen. Meine Mutter und meine Schwester traf die Bombardierung ohne jede Vorwarnung. Sie konnten noch nicht mal in einen Keller laufen.

Mitarbeit: Ines Kappert

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30, Anglist und Aktivist aus Aleppo. Er kam über die Balkanroute 2015 nach Deutschland. Seine Mutter und seine Schwester leben an der Frontlinie zwischen Rebellen und Assad-Regime.

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