Kosten der Energiewende: Das Billionending

Minister Peter Altmaier bezifferte die Kosten der Energiewende einst auf eine Billion Euro. Die Geschichte eines Rufmords.

Gar nicht so teuer, dieser Windstrom. Bild: dpa

Am 11. Mai war Deutschland plötzlich Weltmeister. An diesem Sonntag kam der Strom im deutschen Netz zu fast drei Vierteln aus Sonne und Wind. Gemerkt hat es niemand, gefeiert erst recht nicht. Im Gegenteil: Die allgemeine Begeisterung für dieses Projekt „von der Dimension der Mondlandung oder der deutschen Einheit“ (der damalige CDU-Umweltminister Peter Altmaier) war verflogen.

Deutschland redet nicht mehr über den Umbau der Industriegesellschaft, die Chancen für grünes Wachstum und grüne Jobs, den Klimaschutz oder seine Vorbildrolle für andere Länder bei der „großen Transformation.“ Deutschland redet darüber, wie verdammt teuer das alles angeblich ist.

Die Debatte ist ein Lehrstück darüber, was passiert, wenn die Politik versagt, wenn Medien hemmungslos polarisieren und wenn Lobbys zu erfolgreich sind: Wenn die Vision Alltag wird, reden alle nur noch über das Preisschild.

Und das steht seit dem 20. Februar 2013 quasi regierungsamtlich fest: Bis 2040 könnten sich „die Kosten der Energiewende und des Umbaus unserer Energieversorgung auf rund eine Billion Euro summieren, wenn sich nichts ändert“, sagt da Peter Altmaier in einem Interview mit der FAZ.

Totengräber des Ökostroms

Die plakative Zahl hat der Minister selbst aus verschiedenen Quellen seines Ministeriums zusammengerechnet und sie macht schnell die Runde: 1.000 Milliarden für Einspeisevergütung, Netzausbau, Speicher, Forschung, Häuserdämmung und Elektroautos. „Die Summe war sogar noch höher“, sagt Altmaier heute. Im Gespräch waren eher 1,2 Billionen.

Altmaier kämpft gegen den Vorwurf, der ihn seit dieser Zeit begleitet: Er sei der Totengräber des Ökostroms. „Ich war und bin begeistert von der Energiewende“, sagt der heutige Kanzleramtsminister der taz. „Aber die Kosten liefen aus dem Ruder. Ich musste das ansprechen, um die Akzeptanz der Energiewende zu retten. Sie musste bezahlbar bleiben. Und zwar nicht nur für die Deutschen. Wir wollen ja zeigen, dass sie auch anderswo funktionieren kann.“ Das allerdings war ein Trugschluss. Wurden früher die Deutschen von Besuchern und auf internationalen Konferenzen ehrfürchtig nach den Details der „Energy Transition“ gefragt, lautet heute oft die erste Frage: „One trillion? How can you afford that?“

Als Altmaier im Februar 2013 seine Rechnung präsentiert, steht er unter mächtigem Druck. Seine Amtsvorgänger Sigmar Gabriel (SPD) und Norbert Röttgen (CDU) haben ihm eine Kostenbombe hinterlassen: Als zwischen 2009 und 2011 die Preise für die Solarenergie in Deutschland massiv fallen, schaffen sie es nicht, gegen die Lobby der Erneuerbaren die Fördersätze zu senken. Die EEG-Zahlungen steigen rasant.

Dann macht Bundeskanzlerin Angela Merkel 2011 den nächsten Fehler: Sie verspricht in ihrer Regierungserklärung, die EEG-Umlage werde „nicht über den heutigen Umfang steigen“. Das tut sie dann aber doch. Nur ein Jahr später springt sie von 3,6 auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde. Auf den aufkommenden Protest über einen „Kosten-Tsunami“, befeuert auch von Gutachten im Auftrag der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM), einem Lobbyverband der Metall- und Elektro-Arbeitgeber, reagiert die Regierung defensiv.

Druck auf die Opposition

In Altmaiers Ministerium geht die Angst vor einer Kampagne der Bild-Zeitung um. Ein Mitarbeiter sagt heute: „Die Furcht war, dass Springer mit Bildern von Rentnern im Dunkeln das EEG sturmreif schießt. So wie sie das nach 1999 durch die Benzinwutkampagne mit der Ökosteuer gemacht haben.“ Ohnehin streiten zwei Fraktionen im Ministerium, ob man das EEG verändern oder konservieren soll.

Im Februar 2013 will Altmaier wegen dieses Drucks unbedingt seine „Strompreisbremse“ durchsetzen. Mit seinem Billionending will er Druck auf die Opposition machen, mit ihm die Bremse zu ziehen. Also setzt sich der Umweltminister an die Spitze der Kritiker. Energieexperten, Ökoverbände und die Opposition sind entsetzt. Als Felix Matthes, als Experte des Öko-Instituts einer der besten Kenner der Materie, von Altmaiers Vorstoß hört, liefert er sich mit dem Minister ein wütendes Twitter-Gewitter.

Auch er hat immer davor gewarnt, die Kosten der Erneuerbaren unkontrolliert steigen zu lassen. Aber Altmaiers Vorstoß findet er unseriös. Heute sagt er: „Alle Analysten haben sich totgelacht, aber diese Billion ist auch heute nicht mehr totzukriegen. Sie war eine groteske Vermischung von Kosten der Energiewende mit den allgemeinen Kosten des Energiesystems“.

Plakatives Preisschild

Auch ganz ohne EEG müsse es Investitionen ins Energiesystem geben, erinnert Matthes. Studien hätten gezeigt, dass die Kosten für ein erneuerbares Energiesystem mittelfristig „nur um etwa 10 Prozent“ höher lägen als bei einem neuen System, das weiterhin auf Kohle, Kernenergie, Öl und Gas beruhe. „Es war richtig, diese Debatte loszutreten“, meint Matthes in der Rückschau. „Aber Altmaier hat die Kosten nicht thematisiert, sondern denunziert.“

Die Medien nehmen das plakative Preisschild gern auf. Da können Experten und Gegengutachten noch so oft kritisieren, dass Altmaiers Rechnung Kosten und Investitionen vermische, dass er vermiedene Ausgaben für Brennstoffe und Umweltschäden ebenso unterschlage wie Steuereinnahmen aus neuen Jobs – egal. Das Handelsblatt schreibt von der „schockierenden Billionenzahl“, die FAZ von einem „Subventionsmonster“, die Welt von „Peter Altmaiers 1.000.000.000.000-Euro-Schock“, die Bild von „Altmaiers 1-Billion-Euro-Drohung“. Und der Spiegel hebt pünktlich zur Bundestagswahl im Herbst 2013 den angeblichen „Luxus Strom“ auf die Titelseite. „In der Berichterstattung ist mein Konjunktiv weggefallen, aber das ist nicht meine Verantwortung“, weist Altmaier Vorwürfe zurück. Er habe mit ehrlichen Zahlen hantiert, beteuert er.

Unveränderter Kostensockel

„Das ist die Methode der großen Zahl“, entgegnet Gerd Rosenkranz, der die Energiewende für die NGOs „Deutsche Umwelthilfe“ und „Agora Energiewende“ begleitet hat. „Die funktioniert am besten mit einem langen Betrachtungszeitrum. Über 30 Jahre kommen immer beeindruckende Zahlen heraus.“ Für ihn hätte auch Altmaiers Kostenbremse – die 2013 im Bundesrat scheitert – an den wirklichen Kosten der Energiewende wenig geändert: „Der große Brocken war ja durch den Solarausbau zwischen 2009 und 2011 längst festgezurrt, und an diesen Kostensockel wollte und konnte niemand wirklich heran.“ Für ihn führte Altmaier zusammen mit dem damaligen Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) ein „Doppelspiel: Die Industrie wurde entlastet, private Haushalte und Mittelstand zahlten die Zeche. Der Aufschrei war einkalkuliert und sollte die Akzeptanz für die Energiewende unterhöhlen.“

Das ist nicht passiert. Trotz des Billionen-Einsatzes stehen die Deutschen fest in ihrer Zuneigung zu einer Politik, die sie angeblich verarmen lässt. Nach einer Umfrage der Energie- und Wasserwirtschaft vom Frühjahr 2014 finden 89 Prozent der Bevölkerung die Energiewende wichtig oder sehr wichtig. Für Rosenkranz ist etwas anderes viel gefährlicher: „Die Kostendebatte hat stimmungsmäßig den Boden bereitet für die ökologische Diskreditierung der Energiewende, die jetzt stattfindet. Jedenfalls, wenn die CO2-Emissionen durch die verstärkte Kohleverstromung weiter steigen statt zu sinken, wie in den letzten Jahren. Dann steht für die Leute zu Recht die Frage im Raum, warum eine so teure Energiewende finanzieren, wenn sie nicht einmal die versprochenen Ziele erreicht.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.