Konzertempfehlung für Berlin: Kontinuum über Kontinente

Joshua Abrams´ Jazz-Kollektiv Natural Information Society bringt mit seinem beispiellosen Sound unterschiedlichste Instrumente zusammen.

Das Band-Kollektiv erforscht mit „Simultonality“ weiterhin Kontinuität und Wiederholung Foto: Charlie Gross

Sie ist nicht laut, aber prononciert, scheut eher das Rampenlicht und lässt andere strahlen, sie ist Dirigentin inmitten eines Kollektivs und eine Würdenträgerin ohne jeglichen Standesdünkel, denn sie weiß um ihre Herkunft als Instrument einer einst versklavten Bevölkerung: die Gimbri, eine Basslaute aus dem Nordwesten Afrikas.

„Für die Beschäftigung mit Fragen der Wahrnehmung, des Zeitempfindens und mit Rhythmus ist die Gimbri ein sehr raffiniertes Instrument“, erzählt Joshua Abrams Ende März am Telefon aus New York, seiner Zwischenstation auf dem Weg von Chicago auf die Europatournee. „Ich kannte das Instrument nicht, aber als Bassist hat mich die Gimbri angesprochen. Ich habe dann herausgefunden, dass sie meine verschiedenen Interessen auf sich vereint: meine Vorliebe für sample-basierte Musik und wie ich gemeinsam mit anderen Musiker_innen spielen möchte.“

Ein Album brachte Abrams auf die Spur der Gimbri, „The Trance of Seven Colors“, 1994 eingespielt vom marokanischen Gnawa-Musiker Maâlem (Meister) Mahmoud Ghania und dem Saxofonisten Pharoah Sanders. Angehörige der Gnawa sind Nachfahren von Sklaven aus afrikanischen Ländern der Subsahara, die in Marokko, Tunesien und Algerien heimisch wurden.

Sie bildeten eigene Rituale heraus, in denen Musik eine zentrale Rolle einnimmt, die Gimbri ist darin die unentbehrliche Konstante für Gesang und Perkussionsinstrumente. 1998 reist Abrams nach Marokko und erhält dort eine Gimbri von Maâlem Najib Soudani. Danach fragt ihn sein Mentor und Freund, der Schlagzeuger Hamid Drake, regelmäßig: „Und, hast du die Gimbri wieder gespielt?“

Joshua Abrams & Natural Information Society + support: arkaoda, Karl-Marx-Str. 16, 7. 4., 20 Uhr, 11,20 €, www.arkaoda.com

In Chicago ist Abrams in den Neunzigern bereits ein etablierter Musiker. Geboren 1973 in Boston, aufgewachsen in Philadelphia, spielt er dort in der Hip-Hop-Band The Roots. 1991 geht er nach Chicago und findet sich bald in der Velvet Lounge wieder, einem legendären Umschlagplatz für Generationen von Musiker_innen, gegründet vom Saxofonisten Fred Anderson (1929–2010).

Die Saxofonistin Matana Roberts lädt Abrams und den Schlagzeuger Chad Taylor in die Hausband der Lounge ein, woraus das Trio Sticks and Stones entsteht. Parallel wird Abrams Mitglied im Quartett Town and Country, das seine Melange aus Drone und Improvisation Veranda-Minimalismus nennt.

Ein kollektiver Gastgeber

Die Band erzeugt alle Klänge live auf akustischen Instrumenten und fungiert für Gastmusiker_innen auch als Kollektiv – zwei Merkmale der spätere Natural Information Society. In Town and Country lernt Abrams das Harmonium kennen, ein Hybrid aus europäischem Instrumentenbau und den Erfordernissen indischer Musik.

Ein paar Jahre später erlernt Lisa Alvarado, bildende Künstlerin und Lebensgefährtin von Abrams, das Harmonium eigens für die Society. Doch zunächst experimentiert Abrams unter dem Namen Reminder mit Samples, repetitiven Beats und Klangschichten, die Gäste wie die Flötistin Nicole Mitchell einbringen.

Mitchell ist Mitglied der Musiker_innenvereinigung Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) und in ihrem Black Earth Ensemble spielte Abrams Bass. 2010 erscheint schließlich „Natural Information“ als Solo-Album. Bald danach entscheidet sich Abrams für die Gesellschaft anderer: „Die Band sollte eine Gemeinschaft sein, an der Musiker_innen teilhaben und sie auch wieder verlassen können. Die Musik sollte rhythmisch und improvisatorisch sein und gleichzeitig ein Kontinuum darstellen anstatt eine Episode.“ Was bedeutet dann die „Natural Information“?

„Ich hatte diese beiden gewöhnlichen Wörter zuvor nirgends in einem Zusammenhang gesehen. Die Kombination kann den Anstoß geben, über die Zeitlichkeit natürlicher Phänomene und unserer Wahrnehmung nachzudenken. Ich habe nichts gegen Wissenschaft, aber es geht auch darum, sich die Wahrnehmung wieder zurückzuerobern aus dem Reich der Technologie. Musik kann ein anderes Empfinden von Zeit bewirken. Manchmal dehnen sich die Augenblicke, manchmal verhilft uns die Fortdauer zu einer neuen Erfahrung.“

Die Kraft der Wiederholung wird getragen von Abrams’ Gimbri, Alvarado auf dem Harmonium, dem Perkussionisten Nikel Avery und Ben Boye, der die Akkordzither (Autoharp) spielt, auf der Tour ist außerdem der Bassklarinettist Jason Stein Teil der Society. Boye ist Pianist und hatte angefangen, sich mit der Autoharp zu beschäftigen, der Erfindung eines deutschen Einwanderers in die Vereinigten Staaten.

Sie gibt der Gimbri einen hellen, singenden Nachhall und reiht sich ein in das Aufgebot an Instrumenten von wandernder Provenienz. „Ich werfe Fragen auf danach, wie Kultur sich zwischen Menschen ausbreitet. Wie sich dabei Energie und Begeisterung übertragen. Musik ist solch ein bedeutender Träger dieses Kontinuums.“

Im Konzert wird die musikalische Wiederholung sinnlich veranschaulicht, und zwar mit Malereien von Lisa Alvarado. Von Hand trägt sie feine geometrische Strukturen auf, die unzählige Male vervielfacht eine leuchtende Fläche aus kräftigen Farben bilden.

Hinter die Musiker_innen gehängt, unterstreicht die Malerei die einmalige und vielschichtige Zeremonie, der sich das Publikum und die Band überlassen können. Für die Tour hat Alvarado ein eigenes Format gewählt, in einem kleineren sind ihre Gemälde auf den CD-Covern der Society zu erwerben.

Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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