Konstruktiver Journalismus: Es geht auch schöner

Positiver und lösungsorientierter: Eine Gruppe Wissenschaftler will den Journalismus besser machen. Das Projekt ist kurz vor dem Finanzierungsziel.

Ein Clown in Südafrika

Gutes zeigen: Bongekile Mabuya von den „Clowns Without Borders“ in Südafrika Foto: dpa

Wenn man die Nachrichten der vergangenen Tage zusammenfasst, dann sind da Terror in Brüssel, Terror in Istanbul, ein fauler EU-Türkei-Deal und frierende Flüchtlinge in Idomeni. Schlechte Nachrichten überall. Das macht Leser und Zuschauer krank, glaubt eine kleine Bewegung, die gerade aus den USA und Skandinavien nach Deutschland schwappt. Mit „konstruktivem Journalismus“ will sie das ändern.

„Er ist das Gegenteil zum aktuellen problemzentrierten Journalismus“, sagt Uwe Krüger, Journalistikdozent der Uni Leipzig. „Er lenkt Aufmerksamkeit nicht nur auf Probleme und Missstände, sondern auf Menschen und Projekte, die etwas verändern wollen.“

Die prominentesten Verfechter dieser Idee in Deutschland sind die Gründer von “Perspective Daily“. Gerade sammeln sie Geld für den Start. Für 42 Euro im Jahr versprechen sie eine „tägliche Dosis neuer Perspektiven“. 12.000 Mitglieder will das Team gewinnen. Mehr als 10.000 haben sie schon, sechs Tage läuft das Crowdfunding noch. „Wir möchten einen Journalismus machen, der ein realistisches Weltbild vermittelt“, sagt Maren Urner, eine der Gründerinnen. „So negativ, wie die Medien häufig berichten, lässt es viele Leser apathisch zurück. Wir hingegen wollen unsere Leser ermutigen, ihnen zeigen, dass sie etwas tun können.“

Urner ist promovierte Neurowissenschaftlerin, journalistische Erfahrung hat sie in verschiedenen Redaktionen gesammelt. Ihre Mitstreiter haben ähnliche Profile – und genau darauf bauen sie: Ihr Journalismus soll auf Fakten und auf Studien basieren. Schreiben darf nur, wer einen wissenschaftlichen Hintergrund hat.

Neu ist das Konzept nicht. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte der Friedensaktivist Robert Jungk in den USA eine Agentur für gute Nachrichten aufzubauen, scheiterte aber an der Finanzierung. Die Idee allerdings hat überlebt: Der Nachrichtenchef des öffentlich-rechtlichen dänischen Rundfunks, Ulrik Haagerup, hat im vergangenen Jahr ein Buch darüber geschrieben, wie er versucht, in seinen Sendern konstruktiv zu berichten. Der US-amerikanische Autor David Bornstein kolumniert seit 2012 in der New York Times über „Fixes“: Verbesserungsvorschläge für die Welt.

Schlechte Nachrichten führen zu Stress

Wenn Maren Urner und Uwe Krüger über die Ziele des konstruktiven Journalismus sprechen, argumentieren sie mit der Leserforschung. So haben Forscher der Uni Southampton gezeigt, dass zu viele negative Nachrichten bei Lesern Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit und Stress auslösen.

„Konstruktiver Journalismus kann außerdem den Medienhäusern helfen, ihre Reichweite zu steigern – und gesellschaftlichen Fortschritt befeuern“, sagt Uwe Krüger. Auch dafür gibt es Studien, die zeigen, dass Menschen mehr Artikel in einer Zeitung lesen, in der Konstruktives steht, als in Zeitungen, die mehr über Konflikte berichten.

Uwe Krüger, Journalistikdozent

„Konstruktiver Journalismus kann helfen, die Reichweiten

zu steigern“

Doch die Welt besteht nun einmal nicht nur aus guten Nachrichten. In Syrien tobt Krieg. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Die Pole schmelzen. Ist es da nicht ein bisschen naiv und wohlfeil, gute Nachrichten zu fordern?

Auch über Syrien könne man konstruktiv berichten, sagen Uwe Krüger und Maren Urner: mehr Fokus auf die komplexen geopolitischen Zusammenhänge, weniger Einzelmeldungen über jeden neuen Bombenanschlag, weniger Propaganda übernehmen, öfter auch mal Friedensinitiativen vorstellen. Das klingt gut, ist allerdings kein Unikat des konstruktiven Journalismus. Es sind die Maßstäbe für guten Journalismus.

„Weltrettung als Ideenwettbewerb“

Es mag sein, dass hoffnungsvolle Beispiele für eine sich verbessernde Gesellschaft wenig im medialen Mainstream vorkommen, aber sind Journalisten Entertainer? Ist es ihre Aufgabe, Leser aufzuheitern? Oder besteht ihre Aufgabe nicht viel mehr darin, über Probleme zu berichten, Skandale aufzudecken, den Leser zu befähigen, sich ein Bild von der Welt zu machen? Der Begriff des „lösungsorientierten Journalismus“ klingt, als seien Journalisten PR-Agenten des gesellschaftlichen Fortschritts. „Weltrettung als Ideenwettbewerb“ hat das die Journalistin Kathrin Hartmann verächtlich genannt.

Der konstruktive Journalismus, schreibt sie, tappe in die Falle des neoliberalen Ideals: Wenn wir alle mit anpackten, würde die Welt eine besser werden. Soziale Missstände aber haben komplexe, zum Teil strukturelle Ursachen. Ein Bericht über den netten Kleingartenverein bekämpft soziale Ungleichheit nicht. Kontinuierliche Berichterstattung über Fehler im Bildungssystem vielleicht schon eher.

Maren Urner sagt, dass sie weder Schönfärberei noch Kampagnen betreiben möchte. Auch ihre Artikel suchten nach Problemen, zeigten Haltung, seien kritisch und undogmatisch. Aber das „Naming and shaming“, was viele Medien betreiben, also die permanente Suche nach einem Schuldigen, wolle sie beenden. „Uns ist wichtiger zu diskutieren, wie es weitergehen kann.“

Dieser Idee folgen mittlerweile auch etablierte Medienhäuser: Spiegel Online veröffentlichte im vergangenen Jahr einen Tag lang „Artikel, die weitergehen“. Der Spiegel druckt seit Anfang des Jahres die wöchentliche Kolumne „Früher war alles schlechter“. Urner und ihre Kollegen wollen dieses Angebot des Konstruktiven nun ausweiten, als Ergänzung, nicht als Ersatz zur bestehenden Berichterstattung.

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