Konflikt zwischen Türkei und USA: Schroffer Ton unter Nato-Freunden

Nach dem Putschversuch in der Türkei wachsen die Spannungen zwischen Ankara und Washington. Der lachende Dritte ist der IS.

Erdogan in Nahaufnahme

Auf Konfrontationskurs mit den USA: Erdoğan am Samstag in Istanbul Foto: dpa

ISTANBUL taz | Es war ein bemerkenswerter Satz, den der türkische Ministerpräsident am Samstagnachmittag im Parlament von sich gab. „Jedes Land“, sagte Binali Yıldırım, „das jetzt noch Fethullah Gülen und seine Bewegung unterstützt, werden wir als im Kriegszustand mit der Türkei betrachten“.

Der 75-jährige Prediger und Guru der islamistischen Gülen-Bewegung war schon in der Nacht auf Samstag in einer der ersten Stellungnahmen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan als Drahtzieher des Putschversuchs beschuldigt worden. Doch zum Ärger Erdoğans kommen seine Polizisten und Staatsanwälte nicht an Gülen heran, denn dieser lebt in den USA. Noch in der Putschnacht forderte Erdoğan erneut, die Obama-Administration müsse Gülen an die Türkei ausliefern.

US-Außenminister John Kerry sagte am Samstagmittag in Moskau, wo er sich für ein Treffen aufhielt, die türkische Regierung werde ja nun wohl Beweise für die Schuld Gülens vorlegen, die dann in einem förmlichen Verfahren geprüft werden könnten. Doch vorerst erhöhten Erdoğan und sein Ministerpräsident den Druck. Wenn Gülen nicht ausgeliefert werde, hieß es, müsse man wohl davon ausgehen, dass die USA an dem Putschversuch beteiligt gewesen seien. Wieder in Washington ließ Kerry erklären: „Öffentliche Behauptungen oder Andeutungen über jedwede Beteiligung der USA an dem gescheiterten Putschversuch sind völlig falsch und schädlich für unsere bilateralen Beziehungen“.

Bemerkenswerte Sätze unter Nato-Freunden, zumal der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu dann auch einräumte, er habe im Gespräch mit seinem Kollegen Kerry die Auslieferung Fethullah Gülens nicht förmlich verlangt. Ergo, bislang ist die türkische Regierung über ihre propagandistischen Behauptungen hinaus offenbar weder willens noch in der Lage, den USA detaillierte Beweise für die angebliche Urheberschaft der Gülen-Bewegung am Putschversuch vorzulegen.

Strom in Incirlik abgedreht

Stattdessen zeigt Erdoğan den USA und den anderen Nato-Verbündeten bereits, wo er die Daumenschrauben ansetzen kann. Der große Luftwaffenstützpunkt Incirlik am südöstlichen Rand des Mittelmeers bei Adana, eine der wichtigsten Basen im Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS), wurde geschlossen. Die Behörden drehten den Militärs sogar den Strom ab.

Mehrere türkische Offiziere auf der Luftwaffenbasis wurden als Putschisten verhaftet. Ob sie dort mit dem US-Militär in Kontakt waren, ist nicht bekannt. Am Sonntag kursierte das Gerücht, Incirlik könnte noch bis Ende August dicht bleiben.

Das wäre allerdings ein starker Rückschlag im Kampf gegen den IS, denn von Incirlik aus startet nicht nur ein Teil der US-Bomber nach Syrien und in den Irak. Auch die Aufklärungstornados der Bundeswehr sind in Incirlik stationiert. Um den Besuch der deutschen Soldaten durch deutsche Abgeordnete hatte es in den Wochen vor dem Putschversuch Konflikte gegeben, weil die Türkei mit Verweis auf die Armenienresolution des Bundestags Parlamentariern den Zutritt verweigerte.

Verantwortung Gülens ist sehr unwahrscheinlich

Ob es Erdoğan und seiner Regierung im Streit mit den USA aber tatsächlich nur um eine Auslieferung von Fethullah Gülen geht, der seit Ende der neunziger Jahre in Pennsylvania lebt und von dort seine weltweit tätige islamische Bewegung leitet, ist sehr fraglich. Seit dem Bruch der vormals eng mit der AKP verbandelten Gülen-Gemeinde 2013 muss die Sekte für alles, was Erdoğan zuwiderläuft, den Kopf hinhalten. Die sogenannte „Parallelstruktur“, wie sie von der Regierung jetzt genannt wird, um anzudeuten, dass sie versucht habe, neben dem Staat eigene Machtstrukturen aufzubauen, wird mittlerweile sogar als terroristische Vereinigung verfolgt.

Tatsächlich hatte die Gülen-Sekte schon zum Zeitpunkt, als Erdoğan 2002 an die Macht kam, erheblichen Einfluss in Justiz, Polizei und anderen Behörden – wovon Erdoğan jahrelang profitierte. Aber gerade in der Armee bekamen Islamisten keinen Fuß auf den Boden. Dass jetzt ausgerechnet säkulare Putschisten, die nach eigenem Kommuniqué die weitere Islamisierung der Türkei verhindern wollten, im Auftrag von Gülen unterwegs gewesen sein sollen, ist in hohem Maße unwahrscheinlich.

Viel wahrscheinlicher ist, dass Erdoğan gegenüber den USA jetzt die Gunst der Stunde nutzt, um eine andere Forderung durchzusetzen: Im Kampf gegen den IS arbeitet das US-Militär in Syrien eng mit den syrischen Kurden zusammen. Erdoğan sieht das als Affront, weil die syrischen Kurden auch von der türkisch-kurdischen PKK-Guerilla unterstützt werden. Das müsse aufhören, hat der türkische Präsident von US-Präsident Barack Obama mehrfach gefordert. Die USA müssten sich zwischen der Türkei und der PKK entscheiden.

Profitieren von dem Konflikt wird erst einmal der IS. Etliche der fanatischsten Erdoğan-Anhänger sehen den sowieso eher als Freund als die USA.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.