Konferenz zur Spitzen-Wissenschaft: Science-Slam der Luxusklasse

Auf der „Falling Walls“-Konferenz sollten Durchbrüche in der Wissenschaft dargestellt werden. Tatsächlich war es nur eine teuere Imagekampagne.

Schweizer Innovation bei „Falling Walls“: Mit Sauerkraut und Kohle kann Kohlendioxid im Boden gespeichert werden. Bild: dpa

BERLIN taz | Im Radialsystem V am Berliner Ostbahnhof wurde früher das Schmutzwasser der Hauptstadt in die Spree geleitet. Heute ist das Industriedenkmal eine angesagte Location für hippe Kulturveranstaltungen ebenso wie für aufklärende Wissenschaftskonferenzen.

Jedes Jahr am 9. November, dem Tag des Falls der Berliner Mauer, steht hier die „Falling Walls“-Konferenz auf dem Programm, ein Science-Slam der Luxusklasse. 20 führende Wissenschaftler aus der ganzen Welt stellen vor, jeder in strikt limitierten 15 Minuten, wo in ihrem Fachgebiet die Forschungs-Durchbrüche aktuell stattfinden oder bevorstehen. Mit den Worten „Breaking the Wall“ beginnt jeder Vortrags-Slot.

Für die Berliner Einstein-Stiftung hatte der Werbeprofi Sebastian Turner (Gründer der Scholz-&-Friends-Werbeagentur) das Sciencetainment-Format vor vier Jahren erfunden. Sein Vater war in den 80er Jahren Wissenschaftssenator in Berlin, parteilos und auf CDU-Ticket, so wie der Sohn jetzt für den Oberbürgermeisterposten in Stuttgart kandidiert hatte, wo er dem Grünen Fritz Kuhn deutlich unterlag. Mauerfall, politisch.

Doch die finanziellen Erwartungen der Einstein-Stiftung, mit der „Falling Walls“-Konferenz auch Sponsoren aus der Wirtschaft für ihre Projekte und Stipendiaten zu gewinnen, erfüllten sich mit dem Auftakt 2009 nicht. Die Trägerschaft ging im Jahr darauf an die „Falling Walls Foundation“ über, allerdings keine Stiftung, sondern eine gemeinnützige GmbH, gegründet von Sebastian Turner, als deren „Kuratoriumsvorsitzender“ er seitdem fungiert.

1.000 Euro teure Tickets

Aber auch in privater Trägerschaft wurde der „Mauer-Durchbruch“ zu den Wirtschaftsgeldern nicht erreicht. Zwar kostet ein Ticket für die Konferenz bis zu stolze 1.000 Euro. Aber der Hauptanteil der Finanzierung wird weiter von der öffentlichen Hand getragen.

Das Bundesforschungsministerium (BMBF) ist mit 500.000 Euro dabei, Berlin gibt 90.000 Euro, den Rest bis knapp an die Million Euro teilen sich die öffentlich geförderten Wissenschaftsorganisationen (die Helmholtz-Gemeinschaft etwa gibt 30.000 Euro) sowie Stiftungen, teils staatlich, teils von der Wirtschaft finanziert. Zu letzten zählen der Stifterverband oder die Volkswagen-Stiftung.

Wer zahlt, schafft an. Da Wissenschaftsorganisationen wie Helmholtz-, Max-Planck-Gemeinschaft und die Leibniz-Gesellschaft die „Durchbruch“-Themen vorschlagen, geraten im interdisziplinären Reigen regelmäßig wissenschaftliche „Wiedergänger“ ans Podium.

Wiederkehrende Visionen

Keine „Fallings Walls“-Konferenz ohne die energietechnischen Versprechungen der Kernfusionsforscher. Rachael McDermott vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching präsentierte Neues vom Tokamak-Reaktor, der mit den Kühlungsmitteln Argon und Stickstoff jetzt eine punktuelle Leistung von 23 Megawatt erreicht habe. „Wir müssen nur noch die Instabilität überwinden“, so die Physikerin. Vergleichbare Technikversprechungen gab es schon früher, etwa das „Transmutations“-Verfahren zur Entschärfung nuklearer Abfälle, das Forscher des Karlsruhe Institute of Technology (KIT) vorstellten.

In der praktischen Entsorgungspolitik ist das Verfahren noch nicht angekommen. Groß angekündigt wurde auf der ersten „Falling Walls“-Konferenz auch das „Desertec“-Projekt zur Produktion von Solarenergie in Nordafrika. Passenderweise wurde letzte Woche zeitgleich zum Wissenschaftsmarathon im Berliner Außenministerium das Scherbengericht der Desertec-Industrie Initiative (DII) gehalten. Wieder ein geplatzter Techniktraum. Wie hoch die Trefferquote der „Falling Walls“-Prognosen ist, harrt noch der wissenschaftlichen Untersuchung.

Um doch noch die Wirtschaft einzubinden, wurde im vorigen Jahr das Format um die Juniorkonferenz „Falling Walls Lab“ erweitert. Hier treten 100 Nachwuchswissenschaftler an, die ihre Forschungsneuheit in sogar nur drei Minuten überbringen müssen.

Ansturm der Jungforscher

Das Projekt traf einen Nerv – Wirtschaft sucht High-Potentials –, so dass die Unternehmensberatung A. T. Kaerney die Finanzierung einschließlich eines Preisgelds übernahm. Der Ansturm übertraf die Erwartungen. Für die zweite „Lab“-Runde gingen in diesem Jahr 600 Bewerbungen (2011: 400) von Jungforschern und Berufsanfängern ein, von denen 100 in Vorrunden in Zürich, Wien, München, Köln, Johannesburg in Südafrika und São Paulo in Brasilien ausgesiebt wurden.

Im Schlussentscheid im einstigen DDR-Staatsratsgebäude, in dem jetzt symbolträchtig die private Wirtschaftshochschule der deutschen Konzerne, die European School of Management and Technology (ESMT), ihren Sitz hat, gewann eine Sauerkraut-Invention. Der Schweizer Thomas Rippel hat ein Verfahren entwickelt, bei dem mit Sauerkrautsaft und Pflanzenkohle Kohlendioxid im Boden gespeichert werden kann.

Die neueste Entwicklung der „Mauerfall“-Konferenz versuchte es in diesem Jahr in die entgegengesetzte Richtung: dem Aufbau neuer Mauern. Erstmals wurde am Anschlusstag, dem 10. November, zum „Falling Walls Circle“ geladen. Ein Spitzentreffen der Wissenschaftsmanager, das vor allem die deutsche Strategie zum Anzapfen des milliardenschweren EU-Forschungsrahmenprogramms „Horizon 2020“ beraten wollte.

Allerdings tagten die Granden der Forschungspolitik im Welt-Saal des Außenministeriums lieber hinter verschlossenen Türen, ohne Öffentlichkeit wie zwei Tage zuvor. Ohne Zweifel eine Mauer der Informationsabschottung, die zu Fall gebracht werden sollte.

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