Kommentar Weltsozialforum: Lasst nicht jeden rein!

Das WSF hat seinen politischen Minimalkonsens unter die Wahrnehmungsschwelle gedrückt. Diese daraus folgende Beliebigkeit birgt ihre eigenen Gefahren.

Das Weltsozialforum musste dieses Jahr im Land des Arabischen Frühlings stattfinden. Es musste dorthin gehen, wo die sozialen Bewegungen kürzlich Großes geleistet haben – auch wenn es dabei in den Strudel heikler politischer Konflikte gerät.

Ob man dafür dem Regime in Tunis gleich „innenpolitische Neutralität“ zusichern muss, wie es die lokalen Organisatoren getan haben, ist eine andere Frage. Die Erwartung jedenfalls, dass die Kontaktaufnahme zwischen den Basisbewegungen der Welt und dem postrevolutionären Maghreb für beide fruchtbar sein würde, war berechtigt. Und sie könnte sich durchaus erfüllt haben.

Es war richtig, das Forum nach Tunesien zu bringen, auch wenn es hier Gruppen anzieht, deren Vision einer anderen möglichen Welt man lieber nicht am eigenen Leibe erleben will. Mit ihnen umzugehen, muss man lernen.

Das kann aber nicht bedeuten, politischen Mist jedweder Couleur gleichermaßen willkommen zu heißen. Neben den Tausenden unterstützenswerten antikapitalistischen, ökologischen und basisdemokratischen Initiativen hatten auch Stalinisten und antisemitische Hetzer, Diktatorenfans und Scharia-Freunde ihren Platz. Außer Israel-Solidarität ist kaum ein Anliegen vorstellbar, für das man in den letzten Tagen vom WSF-Hof gejagt worden wäre.

Das kommt nicht von ungefähr: Das WSF hat seinen politischen Minimalkonsens unter die Wahrnehmungsschwelle gedrückt. Es braucht aber eine stärkere Charta, die politische Standards festlegt. Der Ruf nach Grundsätzen, die fortschrittliche Mindeststandards festschreiben, ist kein Gesinnungs-TÜV und mitnichten eurozentrisch: Auch im Süden der Welt gehen die politischen Vorstellungen der sozialen Bewegungen weit auseinander. Das WSF darf darauf nicht mit politischer Beliebigkeit reagieren. Die „andere Welt“, für die hier gekämpft wird, sollte eine sein, in der halbwegs vernünftige Menschen gern leben würden.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

Auch Jahre nach Beginn des „Arabischen Frühlings“ reißen die Massenproteste nicht ab. Ein ganzes Jahrzehnt ist tief durch die Arabellion geprägt. Im Schwerpunkt-Dossier „Zehn Jahre Arabischer Frühling“ berichten taz-Korrespondent*innen und Gastautor*innen aus den Umbruchsländern vom Maghreb über Nordafrika bis nach Syrien, den ganzen Nahen Osten und die arabische Halbinsel.

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