Kommentar Umgang mit Griechenland: Deutsch und irrational

Keynesianer haben jahrelang vor der Austeritätspolitik gewarnt. Aber in Deutschland regiert das Ressentiment der Volksparteien.

Die Kanzlerin und ihr Vize im Bundestag.

Unbeeindruckt vom Ringen Griechenlands: Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Sigmar Gabriel. Foto: dpa

In dieser Woche haben sie in Sachen Griechenland noch einmal alles versucht. Thomas Piketty, Heiner Flassbeck und andere schickten ihren Offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel. Überschrift: „Die Austerität ist gescheitert“. Nobelpreisträger Paul Krugman brachte in der New York Times in einem Akt der Verzweiflung Milton Friedman, das große Vorbild der Neoliberalen, gegen die Politik der Eurogruppe in Stellung.

Keynesianer wie Krugman haben mit ihren jahrelangen Warnungen vor der Politik der Troika in Griechenland recht behalten – und stehen dennoch in der Debatte in Europa auf verlorenem Posten. Die Eurogruppe, Deutschland voran, agiert, als gäbe es keine anderen legitimen Auffassungen, wie Griechenland auf die Beine zu helfen wäre.

Pluralismus war gestern, Kompromisse auf Augenhöhe auch. Stattdessen ist Hetze angesagt: Die Bild-Zeitung, das inoffizielle Leitmedium der Medienbranche vom anderen Ende der Rudi-Dutschke-Straße, zeigt Merkel als „Eiserne Kanzlerin“ mit Pickelhaube, die Griechenland aus dem Euro drängen soll.

So wie sich viele 1914 auf einen kurzen Krieg freuten, verlangten deutsche Konservative heute den Grexit, schreibt Wolfgang Münchau auf Spiegel Online. Für ihn sei es erstaunlich, wie sich ein Land mit starken Wurzeln im Humanismus und Rationalismus in Debatten immer wieder emotional verrenne.

Ausdruck aus dem Unterbewusstsein

Auch wenn historische Analogien nicht ungefährlich sind, hat Münchau recht: Die harte deutsche Position ist zwar auch durch Interessen bedingt – schließlich hat kein Land durch Niedriglöhne und Exportfixierung mehr vom Euro profitiert als die Bundesrepublik. Mit rationalen Erwägungen alleine ist die deutsche Politik und ihre völlige Ignoranz anderer ökonomischer Positionen aber nicht zu erklären. Die griechische Frage bringt aus dem Unterbewusstsein beider deutscher Volksparteien vieles hervor, was in krisenfreien Zeiten unter der Oberfläche bleibt.

Die Union war noch in den siebziger Jahren eine unappetitliche Partei des Ressentiments gegen Fremde und Linke.

Die Union war noch in den siebziger Jahren eine unappetitliche Partei des Ressentiments gegen Fremde und Linke. Erst Helmut Kohl (Verständigung mit Europa) und Angela Merkel (Ende des Lagerkampfs mit der SPD) haben ihren zivilisatorischen Fortschritt befördert. Syriza ruft beide Ressentiments wieder hervor – etwa bei CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, der von „linken Erpressern und Volksbetrügern wie Tsipras“ spricht. Das hätte auch Franz Josef Strauß nicht anders gemacht.

Etwas anders ist die Situation bei der SPD: Zunächst beweisen Sigmar Gabriel und Martin Schulz mit ihren antigriechischen Tiraden, dass die Partei seit 1914 ein Gen in ihrer DNA hat, in historischen Situationen auf der falschen Seite zu stehen. Das Nationalistische ist der Sozialdemokratie nicht fremd, dass es gerade in den großen außenpolitischen Krisen hervortritt, nicht verwunderlich, aber problematisch.

Schwer zu ertragene Freiheit

Dass Sozialdemokraten auf Syriza so allergisch reagieren, muss man vielleicht psychologisch erklären: Die SPD ist eine Partei, in der niemand ohne Unterwerfungsrituale nach oben kommt – eine, in der die Abgabe von Voten gegen die eigene Überzeugung Alltagspraxis ist. Jüngstes Beispiel: Der Parteikonvent zur Vorratsdatenspeicherung, in der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft Abweichlern am Rande der vermeintlich offenen Abstimmung gedroht haben soll, sie würden in der SPD nichts mehr werden.

Kein Wunder, dass Sigmar Gabriel zunächst keine Einwände gegen Tsipras’ Referendums-Idee hatte – bis klar wurde, dass der griechische Ministerpräsident ein Nein empfahl. Freiheit ist für SPDler, die stets ihre eigene Unterwerfung organisieren, schwer zu ertragen.

Möglich, dass es am Sonntag zu einer Einigung in Brüssel kommt. Aber beruhigen kann das nicht: Die europäische Finanzkrise ist nur der Vorbote größerer Wachstumskrisen. Beide Volksparteien gründen ihr Versprechen sozialer Gerechtigkeit auf die Umverteilung von Wachstumsgewinnen. Dass sie in dem Moment, wo ihr Modell in die Krise gerät, nur zu einer Politik des Ressentiments fähig sind, verheißt nichts Gutes.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.

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