Kommentar Transplantationsgesetz: Mein Hirntod ist mir egal

Das Problem sind nicht frisierte Laborwerte, sondern dass zu wenige Organe gespendet werden. Weil sie zu knapp sind, kommt es zu Verteilungskämpfen.

Noch viel zu wenige spenden Herz oder Niere. Deshalb wird um die Organe hart gekämpft. Bild: dpa

Ich bekenne: Ich habe seit zwanzig Jahren einen Organspendeausweis. Trotz diverser Medizinskandale gab es für mich nie einen Zweifel, dass dieser Ausweis in mein Portemonnaie gehört. Und was heißt schon „Skandal“: Ich fand es immer erstaunlich, dass nur das Wort „Organspende“ fallen muss, um aus jeder Unregelmäßigkeit gleich einen Schauerroman zu machen.

Natürlich ist es nicht in Ordnung, dass Mediziner Blutproben fälschen, damit ihre Patienten auf der Liste der Organberechtigten nach oben rücken. Und natürlich ist es gut, dass die Leopoldina jetzt Vorschläge macht, um Manipulationen zu verhindern. Aber das eigentliche Problem sind nicht frisierte Laborwerte – sondern dass zu wenig Organe gespendet werden. Nur weil Nieren und Herzen knapp sind, kommt es zu gruseligen Verteilungskämpfen.

Viele meiner FreundInnen sehen das anders. Aber auch nach jahrelangen Diskussionen muss ich zugeben, dass ich ihre Gegenargumente nie verstanden habe. Vielleicht fehlt mir die Fantasie. Doch mir ist es herzlich egal, wie tot ich beim Hirntod bin. Ich gehe davon aus, dass ich nichts mehr fühle und ganz bestimmt nicht mehr der autonome Mensch von heute bin.

Es könnte großzügig wirken, dass ich meinen toten Körper zur Verfügung stelle, um Schwerstkranken zu helfen. Aber so empfinde ich es nicht. Ich habe mich aus egoistischen Gründen für die Organspende entschieden: Es ist tröstlich, dass ich nicht ganz und gar sterben muss, sondern zumindest Teile meines Körpers in einem anderen Menschen weiterleben könnten. Der Tod, eigentlich so sinnlos, hätte doch einen Sinn.

Mein Organspendeausweis ist allerdings nicht als blinder Vertrauensbeweis für die Ärzte zu verstehen. Kontrolle muss sein. Die Leopoldina hat recht, dass es nicht optimal ist, dass gleich 47 Kliniken Organe verpflanzen – und selbstverständlich muss bei jedem Patienten gefragt werden, ob sich dieser schwere Eingriff lohnt oder das Leiden nur noch vergrößert.

Doch auch die beste Kontrolle wird nicht verhindern, dass Menschen sterben, nur weil Organe fehlen. Das ist grausam. Die Spanier machen vor, wie es besser geht. Auch dort entscheiden alle selbst, ob sie ihre Organe abgeben wollen. Aber man muss sich keinen Ausweis beschaffen, sondern die Spendenbereitschaft wird vorausgesetzt – es sei denn, man widerspricht. Doch fast niemand nutzt dieses Recht, was den Deutschen zu denken geben sollte.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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