Kommentar Streit zwischen CSU und CDU: Mehr Chaos geht nicht

Innenminister Horst Seehofer spricht von Rücktritt. Geht er? Klar ist: Misstrauen und Kränkungen bleiben. Nach der Krise ist vor der Krise.

Horst Seehofer geht vor einer blauen Wand entlang, auf die das CSU-Logo als Muster gedruckt ist

Europäisches Blau interessiert Horst Seehofer nicht, er kann nur in bayerischen Grenzen denken Foto: reuters

Endlich. Horst Seehofer hat sich geäußert, gottlob. Die politisch interessierte Öffentlichkeit hat darauf gewartet, stundenlang. Dann hat er zu uns gesprochen – der CSU-Vorsitzende und deutsche Innenminister.

Wunderbar. Aber was hat er denn nun eigentlich gesagt? Dass er zurücktreten wird? Dass er zurücktreten will, falls bestimmte Bedingungen nicht erfüllt sind? Oder dass er seinen Rücktritt anbietet?

Das sind sehr unterschiedliche Aussagen. Im einen Fall ist er weg, im zweiten Fall prüft er seine Macht – genau wie im dritten Fall. Ein erfahrener Politiker wie der CSU-Vorsitzende Seehofer weiß natürlich, wie unterschiedlich sich Sätze interpretieren lassen. Warten wir also erst einmal ab, was er wirklich will.

Bis zum späten Sonntagabend hat allenfalls eine Minderheit der politischen Beobachterinnen und Beobachter geglaubt, dass es tatsächlich zum Knall kommen würde. Alle Beteiligten hatten ihre Krallen gezeigt, alle – na ja: die SPD nicht, aber daran ist sie ja gewöhnt – also, fast alle Koalitionspartner konnten darauf verweisen, dass sie aus dem Streit siegreich hervorgegangen sind. Was mehr kann man sich wünschen?

Seehofer hat „angeboten“ zu gehen

Offenbar hat das nicht mehr gereicht, offenbar haben Gefühle eine größere Rolle gespielt, als das in der Politik üblich und wünschenswert ist. Der CSU-Parteivorsitzende und Bundesinnenminister hat, salopp formuliert, sich bereit erklärt, die Brocken hinzuschmeissen. Aus, vorbei. Ach so, nein: Das genau hat er nicht getan. Er hat „angeboten“ das zu tun.

Über die Motive der verschiedenen Konfliktparteien wird seit Tagen gesprochen und geschrieben, vieles davon stimmt und wird über hektische Gremiensitzungen hinaus Bestand haben. Die CSU hat – natürlich – die Landtagswahlen in Bayern im Blick. Sie fürchtet, dass ihre Klientel keine Leistung auf einem anderen Gebiet würdigen wird, solange sie kein „Zeichen“ in der Flüchtlingsfrage setzt.

Die CDU hingegen genießt, jedenfalls in Teilen, das Gefühl, dass sie tatsächlich „in der Mitte“ der Gesellschaft angekommen ist: Liberal, tolerant gegenüber Minderheiten – und zugleich fest auf dem Boden der kapitalistischen Ordnung stehend: In der gegenwärtigen Lage wird die Kanzlerin sogar von weiten Teilen der Opposition unterstützt. Toll. Wer in der CDU hätte das je zu hoffen gewagt?

Eine starke CDU-Minderheit hält Merkels Kurs für Verrat

Aber es gibt innerhalb der Partei auch eine starke Minderheit, die den Kurs von Angela Merkel für einen Verrat am Konservatismus hält. Oder die sie ganz einfach satt hat. Und die sich deshalb über alles freut, was ihr schadet. Sei das nun rational oder nicht.

Sehr viel mehr Chaos geht nicht. Hinsichtlich der Zukunft der Euroäischen Union stimmt das nicht hoffnungsvoll. Wenn selbst deren wirtschaftlich stärkstes Land keinen klaren Kurs mehr fährt, dann ist der Rückweg zum jeweiligen nationalen Eigeninteresse vorgezeichnet.

Klares Signal: Drei von 14 EU-Staaten – Tschechien, Ungarn und Polen – haben mittlerweile bestritten, dass auf dem jüngsten Gipfel der Europäischen Union weitgehend Einigkeit über ein Abkommen hinsichtlich des Umgangs mit Flüchtlingen erzielt worden sei. Damit widersprechen sie der in Bedrängnis geratenen Bundeskanzerlin Angela Merkel. Etwas Schlimmeres hätte ihr derzeit kaum passieren können. Ihr überraschender Verhandlungserfolg ist mal eben so zerschossen worden.

Und nun? Es gibt wenig Hoffnung, dass sich daran bald etwas ändert. Unabhängig davon, wie es mit CDU und CSU weitergeht: Das wechselseitige Mißtrauen und die Kränkungen sind da. Innerhalb Deutschlands und innerhalb Europas. Der Schaden ist nicht mehr leicht zu beheben. Nach der Krise, vor der Krise.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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