Kommentar Straßenprotest in Frankreich: Der Zorn der Schnecke

Es begann mit steigenden Benzinpreisen, jetzt geht es um marode Schulen und Migranten. Dieser Widerstand ist ein Schlag ins Gesicht von Macron.

Ein Demonstrant gestikuliert aus einem Auto heraus, während Fahrer und Biker Straßen und Autobahnen blockieren.

Nicht nur Schall und Rauch: Der Unmut der Franzosen wird zur Gefahr für den Präsidenten Foto: dpa

Das Auto bringt sie auf die Straße. Natürlich, was sonst? Die innige Liaison mit dem Pkw ist eine amour fou – in Frankreich wie in Deutschland. Ohne geht es nicht oder kaum, zugleich entzündet sich an ihm eine Wut, die sich offenbar seit Monaten angestaut hat. Hunderttausende Menschen gingen am Wochenende in ganz Frankreich auf die Straßen.

Angestachelt wurden sie online, von einem virtuellen Netzwerk von Bürger*innen, die die Politik ihres Präsidenten Emmanuel Macron satthaben. Ihr Symbol: eine gelbe Weste – eine, wie sie in Frankreich in keinem Auto fehlen darf. Für die Protestbewegung steht sie weniger für Sicherheit als für eine deutliche Warnung.

Der Widerstand begann mit der Aufregung über gestiegene Spritpreise. Darum geht es längst nicht mehr. Die Protestbürger*innen beschweren sich über die hohen Mieten und marode Schulen, aber auch über Migrant*innen und das Tempolimit auf der Autobahn – alles, was in Frankreich vermeintlich die Schere zwischen Arm und Reich öffnet. Der Auto-Widerstand ist ein Schlag ins Gesicht für den Präsidenten.

Doch der schweigt bisher und weilt in Berlin, während sich zu Hause der Zorn Bahn bricht. Am Sonntag, am Volkstrauertag, appellierte Macron an die Verantwortung Deutschlands und Frankreichs, sich für den Weltfrieden einzusetzen und gegen nationalistische Strömungen anzugehen. Er sprach von einer gemeinsamen Sicherheitspolitik, dem Kampf gegen den Klimawandel und der digitalen Revolution.

Langsam, aber beharrlich

Ein Stück weit findet Letztere gerade in seinem Land statt, aber wohl anders, als Macron im Sinn hat. Der Unmut der Franzosen und Französinnen wird zur Gefahr für den Präsidenten. Die Bewegung aber stellt viel mehr als nur seine Person auf den Prüfstand. In etlichen EU-Ländern sind rechtsextreme Parteien an der Macht und buhlen um die Gunst der „Wutbürger*innen“.

Und in Frankreich sehen jetzt vor allem die rechten Parteien den Protest aus der Bevölkerung als Treiber für ihre extremistischen Parolen – und springen auf den Zug der Menschen auf, die es tatsächlich geschafft haben, Autobahnen lahmzulegen, die aber auch Hunderte Verletzte und sogar den Tod ihrer Unterstützer*innen in Kauf nahmen. Nichtsdestotrotz findet der Aufstand im Netz immer mehr Anhänger*innen und ist nicht zu kontrollieren.

Der Schlachtruf der „gelben Westen“ lautet „Opération escargot“ (Operation Schnecke). Das Motto ist nicht nur im wörtlichen Sinne zu verstehen, weil sie mit ihren Straßenblockaden den Verkehr blockierten. Eine Schnecke ist langsam, aber beharrlich. So leicht lässt sie sich nicht vom Weg abbringen.

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Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Seit März 2024 im Ressort ausland der taz, zuständig für EU, Nato und UN. Davor Ressortleiterin Inland, sowie mehrere Jahre auch Themenchefin im Regie-Ressort.

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