Kommentar Sterbehilfe: Die Tücken der Selbstbestimmung

Selbstbestimmter Wunsch zu sterben? Wenn Alte Angst haben, in ein Heim mit schlechter Betreuung zu kommen, gibt es den nicht.

Engelsfigur auf Friedhof

Bei der Sterbehilfe muss es eine bundesweit einheitliche Regelung geben – wie auch immer diese aussehen wird Foto: dpa

Ursprünglich ging es bei der Debatte über Beihilfe zum Freitod „nur“ darum, ob „gewerbsmäßig“ auftretenden Suizidhelfern das Handwerk gelegt werden soll. Im Bundestag geht es inzwischen jedoch auch darum, ob es Ärzten erlaubt sein soll, auf Wunsch eines Patienten eine tödliche Substanz zu verschreiben. Verboten ist das derzeit nicht. In einigen Bundesländern ist dies jedoch durch ärztliches Standesrecht untersagt.

Dringend notwendig ist, dass hier eine bundesweit einheitliche Regelung kommt – wie auch immer diese aussehen wird. Da sind jedoch die Standesorganisationen gefragt. Befürworter einer freizügigeren Regelung argumentieren mit dem Recht auf Selbstbestimmung. Ein wahrlich sehr starkes Argument, das auch kaum zu widerlegen ist. Ein aus der Religion abgeleitetes Verbot der Selbsttötung sollte auf keinen Fall federführend bei der Gesetzgebung sein. Der Glaube sollte Privatsache bleiben.

Infrage gestellt werden muss aber, ob der Wunsch nach Suizidhilfe derzeit wirklich unter das Recht auf Selbstbestimmung fallen kann. In einer Gesellschaft, in der in die Jahre kommende Menschen Angst haben müssen, alt und gebrechlich oder gar schwer krank zu werden und dann in ein Pflegeheim mit oft unzureichender Betreuung zu kommen, ist der selbstbestimmte Wunsch, zu sterben, so gut wie nicht möglich.

Zwar hat sich in den letzten Jahren viel getan in den Heimen, doch ein Mangel an Pflegekräften ist häufig Standard. Da sitzen dann gebrechliche Patienten mitunter zwei Stunden auf der Toilette, bis eine Pflegekraft kommt und ihnen herunterhilft. Auch ist nicht sichergestellt, dass unheilbar Schwerkranke am Lebensende einen Hospizplatz bekommen oder dass eine fachgerechte schmerztherapeutische Behandlung flächendeckend möglich ist. Dazu kommt oftmals noch ein Streit mit der Krankenkasse, die sich weigert, die Schmerzbehandlung zu bezahlen.

Nicht alle Sterbenden bekommen einen Hospizplatz

Zwar will der Bundestag diese Woche auch ein Hospiz- und Palliativgesetz beschließen, das sterbenden Menschen eine bessere Versorgung verspricht. Aber solange das noch keine Selbstverständlichkeit ist, verbietet es sich, freizügigere Regelungen für die Suizidbeihilfe zu fordern. Denn Betroffene werden so regelrecht dazu gedrängt, „freiwillig“ den Freitod zu wählen.

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Jahrgang 1955, war von 1993 bis Ende 2022 Wissenschaftsredakteur der taz. Er hat an der FU Berlin Biologie studiert. Vor seinem Studium hatte er eine Facharbeiterausbildung als Elektromechaniker gemacht, später dann über den zweiten Bildungsweg die Mittelere Reife und am Braunschweig-Kolleg die allgemeine Hochschulreife nachgeholt.

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