Kommentar Seenotrettung im Mittelmeer: Das Schiff, die EU und der Tod

Die Europäische Union tut so, als ginge sie die Katastrophe des Rettungsschiffs „Lifeline“ nichts an. Doch Humanität beweist sich im Konkreten.

Flüchtlinge auf Schiff

230 Flüchtlinge, dicht gedrängt: Schiff „Lifeline“ Foto: Hermine Poschmann/Mission Lifeline via ap

Wie fürchterlich die Abschottungspolitik der EU ist, lässt sich im Moment 50 Kilometer vor der Küste Maltas beobachten. Dort liegt das kleine Rettungsschiff „Lifeline“ auf See, an Bord sitzen dicht gedrängt 230 Flüchtlinge. Sie sind unterernährt, die Krätze ist ausgebrochen, die Mutter eines Babys fiel ins Koma. Und die Europäische Union? Schaut weg. Sie tut so, als ginge sie diese humanitäre Katastrophe nichts an.

Diese Ignoranz ist eine Bankrotterklärung des reichen Staatenbundes, der sich in besseren Zeiten als der Humanität verpflichtete Wertegemeinschaft verstand. Die Würde des Menschen ist unantastbar, jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die EU wendet sich gerade von diesen leuchtenden Sätzen ab, die in ihrer Grundrechtecharta festgeschrieben sind. Die Würde des Menschen ist sehr wohl antastbar geworden, zumindest die Würde derjenigen, die sich Europa vom Hals halten will.

Das Drama auf der „Lifeline“ zeigt, was passiert, wenn Rechtspopulisten regieren. Italiens Innenminister Matteo Salvini nennt Migranten „Menschenfleisch“ und diffamiert Seenotretter. Jene wollten mit ihren Einsätzen nur Geld verdienen. Dass dieser Scharfmacher Häfen für Rettungsschiffe schließt, ist keine Überraschung. Von rechten Menschenfeinden sollte man keine menschenfreundliche Politik erwarten. Aber was ist mit Frankreich, mit Spanien, mit den Deutschen?

Das dänische Containerschiff „Alexander Maersk“ mit 108 Flüchtlingen an Bord hat am Montagabend in Italien anlegen dürfen. Nach drei Tagen Wartezeit durfte das Schiff im sizilianischen Pozzalo einlaufen. Das von einer deutschen Hilfsorganisation betriebene Schiff „Lifeline“ mit 234 Flüchtlingen an Bord harrt derweil weiter auf See aus. (afp)

Auch die Staaten, die stolz auf ihre Liberalität sind, schweigen bisher still. Weder Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch Spaniens Staatschef Pedro Sánchez hat große Lust, in die Bresche zu springen. Und Merkel? Die Kanzlerin, die sonst gerne über europäische Solidarität in der Flüchtlingspolitik redet, schweigt.

Das ist ein Armutszeugnis. Eine europäische Einigung in der Flüchtlingspolitik mag ferner sein denn je. Aber Humanität beweist sich im Konkreten. Merkel muss die maltesische Regierung anrufen und ihr anbieten, die Geflüchteten auf der „Lifeline“ nach Deutschland zu holen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.