Kommentar S21-Umfrage: Neue Fakten, neues Denken

Ministerpräsident Kretschmann hat sich unter Berufung auf Volkes Stimme bequem zurückgelehnt. Damit ist es jetzt vorbei.

Die Stimmung kippt – der Turm des Hauptbahnhofs nur in der Spiegelung. Bild: dpa

Eine Umfrage, egal wie seriös und repräsentativ sie sein mag, ist natürlich keine Volksabstimmung. An dem Ergebnis der Emnid-Umfrage, die von der taz und der Wochenzeitung Kontext in Auftrag gegeben wurde, kann sich dennoch keiner vorbeimogeln. Dafür ist sie zu eindeutig.

Seitdem eine realistische Kalkulation auf dem Tisch liegt und die BürgerInnen wissen, dass der Tiefbahnhof Stuttgart 21 mindestens 2 Milliarden Euro teurer wird als zum Zeitpunkt der Volksabstimmung behauptet, kippt die Stimmung. 54 Prozent der Baden-Württemberger haben sich jetzt gegen den Weiterbau ausgesprochen.

Das sind Fakten, auf die verantwortliche PolitikerInnen reagieren müssen. Vor allem deshalb, weil es sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seinem Amt allzu präsidial gemütlich gemacht hat. Dabei half ihm das Scheinargument, er sei zwar im Wahlkampf gegen den Bau des neuen Bahnhofs gewesen, als gewählter Vertreter aber habe er sich nun mal dem Willen des Volkes zu beugen.

Die strategischen Gründe für diese Argumentation sind bekannt. Sie bescherten dem grünen Ministerpräsidenten den Frieden mit dem S 21 befürwortenden Koalitionspartner SPD, ohne den er nicht regieren konnte.

Was heißt das nun? In allererster Linie, dass Baden-Württemberger denkende Bürger sind. Die sich nicht allein von irgendwelchen parteipolitischen Vorgaben leiten lassen, sondern ihre Einschätzungen an Fakten orientieren. Interessant: Besonders eindeutig haben sich die schwäbischen Frauen mit 61 Prozent gegen S 21 ausgesprochen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt in Berlin und Brüssel, wie es geht, unliebsame Entscheidungen ganz präsidial an sich abperlen zu lassen. Für sie ist es ausgesprochen misslich, dass sie sich ausgerechnet bei S 21 so eindeutig positioniert hat und bereits vor zwei Jahren verkündete, die „Zukunftsfähigkeit Deutschlands“ entscheide sich an dem Verkehrsprojekt.

Das hat die grüne Landesregierung nie geglaubt, im Gegenteil. Sie sollte die aktuelle Umfrage und vor allem die aktuellen Kostenberechnungen nutzen, etwas anderes von der Bundeskanzlerin zu lernen: dass man nämlich seine Meinung auch radikal ändern kann, wenn es gute neue Argumente gibt. Und die liegen nun vor.

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Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)

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