Kommentar Rosemarie F.: Moralische Mitverantwortung

Der Tod der zwangsgeräumten Rosemarie F. hat auch eine gesellschaftliche Komponente. Es wäre zu einfach, die Schuld nur auf die Vermieterin zu schieben.

Auch vier Tage nach dem Tod der Rentnerin Rosemarie F. in Berlin sind Zorn und Fassungslosigkeit über das Geschehene gegenwärtig. Sie gipfeln in Morddrohungen gegen die Vermieterin, die der 67-Jährigen die Wohnung gekündigt hatte. Im Internet wird sie als Mörderin beschimpft. Schuldzuweisungen, die vor allem dem nachvollziehbaren Bedürfnis dienen, jemanden für den Tod eines Menschen verantwortlich machen zu können.

Natürlich ist es absolut notwendig, darüber zu diskutieren, ob eine Zwangsräumung bei einem Menschen durchgeführt werden sollte, der nachweislich krank ist. Aber der Fall reiht sich eben nicht ein in die sich mehrende Zahl von Räumungen, die sozial Schwache zugunsten von Wohlhabenden aus ihrem innerstädtischen Lebensraum vertreiben.

Die beschuldigte Vermieterin hatte den sozialpsychiatrischen Dienst informiert, um die Betreuung der Rentnerin sicherzustellen. Das Sozialamt versuchte auf verschiedenen Wegen, mit Rosemarie F. Kontakt aufzunehmen – ohne Erfolg. Es besteht die Unwägbarkeit, dass sich die Verantwortung nicht wird klären lassen – so unbefriedigend das auch sein mag.

arbeitet als Chef vom Dienst bei der taz.berlin.

Die mittlerweile dringlichste Frage, die es zu beantworten gilt, zielt darauf, wie solch bittere Schicksale künftig vermieden werden können: Wie kann es sein, dass ein Mensch, der offenkundig auf Hilfe angewiesen, aber nicht in der Lage ist, davon auch Gebrauch zu machen, derart durch das soziale Netz fällt – mitten unter uns, in der schnelllebigen Routine einer anonymen Großstadt?

Der aufgeflammte Zorn resultiert womöglich auch aus einer moralischen Mitverantwortung. Denn es ist nicht damit getan, die Schuld auf staatliche Behörden zu schieben. Der Todesfall hat auch eine gesellschaftliche Komponente.

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