Kommentar Neue Asylzahlen: Ende der Humanität

Die gesunkenen Asylzahlen zeigen: Die Abschottung funktioniert. Trotzdem werfen die Koalitionssondierer Verfassungsgrundsätze über Bord.

Männer laufen an einem Zaun entlang

Die liebsten Flüchtlinge scheinen vielen Politikern derzeit die zu sein, die man von hinten sieht Foto: dpa

Die Politik der Abschottung funktioniert. Nichts anderes beweist die dramatisch gesunkene Zahl der Asylanträge im letzten Jahr. Die Entwicklung lässt sich ja nicht darauf zurückführen, dass die Welt plötzlich friedlicher geworden wäre oder weniger Menschen auf Rettung aus Todesgefahr hofften.

Vor diesem Hintergrund lassen sich bisherige Ergebnisse der Sondierungen für die Bildung einer Großen Koalition zum Thema Migration nur als obszön bezeichnen. Bis zu höchstens 1.000 Angehörige von Geflüchteten mit eingeschränktem Aufenthaltsstatus sollen künftig monatlich im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland kommen dürfen. Eintausend! Das bedeutet eine Person pro – etwa – 82.500 Deutsche. Anders ausgedrückt: Eine Stadt wie Tübingen muss den Zuzug eines weiteren Mannes, einer Frau oder eines Kindes pro Monat verkraften.

Wer bei diesem Zahlenverhältnis behauptet, Angst vor Überfremdung zu haben, spinnt. Oder verfolgt rassistische und völkische Motive. Den neuen – und alten – Regierenden geht es ums Prinzip, und sie haben Angst. Vor einem befürchteten Stimmenzuwachs der Rechten. Deshalb werfen sie Verfassungsgrundsätze wie den Schutz der Familie über Bord, deshalb dehnen sie Völkerrecht.

Die AfD hat bei den letzten Bundestagswahlen 12,6 Prozent der Stimmen erzielt. Ein Erfolg, aber auch nicht mehr. Bedeutend werden die Rechtspopulisten erst, wenn andere sie behandeln, als seien sie mehrheitsfähig. Genau das tun derzeit die meisten traditionellen Kräfte der Republik. Manche scheinen sich nach über 70 Jahren Frieden einfach nicht mehr vorstellen zu können, was Krieg bedeutet. Ausgerechnet die Union, die den Schutz der Familie auf ihre Fahnen geschrieben hat, macht deutlich, dass dieser Schutz für Nichtdeutsche nicht gilt. Und die SPD spielt mit – auch im Hinblick auf die Gesamtzahl der Geflüchteten, die sie für akzeptabel erklärt.

Faktisch bedeutet das die Anerkennung einer Obergrenze. Den Abschied von der Humanität.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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