Kommentar Kirchentag: Und wo blieb das Ja zu Europa?

Der Hamburger Kirchentag begnügt sich mit Allfälligem und Wohlfeilem. So verfehlt er seinen jesuanischen Selbstanspruch.

Es ist schön und nicht hässlich, wenn sich eine gesellschaftliche (und gesellige) Institution wie der Evangelische Kirchentag hinlänglich um die guten Themen kümmert. Etwa den Einsatz von Drohnen verurteilt, Uranmunition oder Kriegswaffenproduktion ablehnt. Nicht minder okay ist es bei dieser Gelegenheit, der ohnehin begonnenen Energiewende durch ein resolutionäres Ja weiter aufzuhelfen. Auf keinen Fall soll schlecht geredet werden, dass – natürlich – auch der Schuldenerlass für die Dritte Welt innig gewünscht wurde und wird. Menschenhandel, etwa auf dem Feld der Prostitution, findet gleichfalls keine Zustimmung.

Aber was soll von solchen Bekundungen gehalten werden, die in der Bundesrepublik beinah Binsenweisheiten gleichkommen: Wer stellte sich schon hin und sagt: Ich finde das Problem mit den Drohnen kompliziert, Menschenhandel ein viel zu plakatives Wort für irritierend schwierige Problemlagen, die in Osteuropa mit notorisch hohen Arbeitslosenraten zu tun haben. Wer würde denn, zumal auf einem Kirchentag, ernsthaft sagen, nein, wir haben momentan andere Fragen zu beantworten als die nach Verantwortung für die ganze Welt.

Dann müsste nicht von Schuldenerlassen für die Dritte Welt die Rede sein, sondern von sehr konkreter Finanzhilfe Deutschland (und der Regierung Merkel) für die Länder der EU in Südeuropa. Zu sprechen wäre dann darüber, dass gerade deutsche Lohndumping- und Entschuldungserpressungspolitik die Länder des Südens an die Ränder von Bankrotten geführt hat und dies noch tut. Wäre eine gewichtige Veranstaltung auf dem Kirchentag nicht ein gutes Mittel gewesen, den Streit deutlich zu suchen: Kommen Zinssenkungen der EZB nicht auch Enteignungen von Vermögen von Kleinsparern und Lebensversicherten gleich?

Zu monieren ist auch, dass der nächste Woche beginnende Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe für die protestantischen Kirchen Nöte nach sich zieht: Es gälte, die eigene Jugendarbeit sehr bewusst auf den (christlichen) Kampf gegen völkisches Denken, gegen nationalsozialistisches Gedankengut in jugendlichen Milieus einzustellen – und für ein libertäres Miteinander gerade in einem multikulturellen Land zu werben?

Der Kirchentag muss auch politisch sein, sonst verfehlte er seinen jesuanischen Selbstanspruch. Das Hamburger Festival hingegen begnügte sich, leider, mit Allfälligem und Wohlfeilem. Wie schade – sie könnten es besser!

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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