Kommentar Katalonien: Das Recht, zu kandidieren

Der Ex-Chef der katalanischen Autonomieregierung, Carles Puigdemont, will wieder ins Amt. Spaniens Regierung hält jedoch an der Strafverfolgung fest.

Leute halten Schilder, auf denen „Libertat!“ steht

„Libertat!“ – Demo für die Freilassung der inhaftierten katalanischen Politiker am 4. Januar Foto: dpa

Der abgesetzte Chef der katalanischen Autonomieregierung Carles Puigdemont will erneut ins Amt. Seine Antrittsrede vor dem Parlament will er entweder per Videokonferenz halten oder von einem Parlamentskollegen verlesen lassen. Ungewöhnlich? Ja. Am Rande der Strapazierfähigkeit der Geschäftsordnung des Autonomieparlaments? Ganz sicher. Gar unrechtmäßig? Kann sein.

Doch all das ist nicht die Frage, auch wenn Madrid, die katalanische Opposition und die spanischen Medien dies in den Mittelpunkt der Debatte stellen. Die Frage muss vielmehr lauten: Warum greifen Puigdemont und die Verfechter der Unabhängigkeit Kataloniens zu diesen ungewöhnlichen Mitteln?

Die Antwort: Spaniens Justiz verfolgt Politiker. Gegen alle ehemaligen Minister und Mitglieder der Präsidiums der katalanischen Volksvertretung wird wegen „Rebellion“, „Aufstand“ und „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ ermittelt. Vier sitzen seit über zwei Monaten in Untersuchungshaft, unter ihnen Vizeregierungschef Oriol Junqueras, und fünf sind im Exil, unter ihnen Puigdemont. 55 Jahre Haft stehen insgesamt auf die drei Delikte. Puigdemont droht bei Rückkehr die sofortige Verhaftung.

Die Anschuldigungen sind so überzogen, dass sie für die Auslieferungsanträge an Belgien nicht haltbar waren. Für Rebellion und Aufstand ist – so sollte man meinen – Gewalt notwendig, Barrikaden, Brandsätze. Doch auf den Bildern der vergangenen Monate waren Menschen zusehen, die friedlich demonstrierten. Keine Vermummten waren da am Werk, sondern ganzen Familien. Nur einmal kam es zu unkontrollierter Gewalt: Am 1. Oktober, dem Tag des Unabhängigkeitsreferendums. Die Polizei schlug brutal zu und hinterließ rund 900 Verletzte. Der Widerstand blieb aber gewaltfrei.

Was hier geschieht verdient nur einen Namen: politische Verfolgung

Die Regierung in Madrid unter Mariano Rajoy, die Katalonien unter Zwangsverwaltung stellte und Neuwahlen ausrief, sowie die rechtsliberalen Ciudadanos und die Sozialisten, die diese Maßnahmen unterstützten, sind schlechte Verlierer. Die Befürworter der Unabhängigkeit haben die Wahlen gewonnen und damit erneut die absolute Mehrheit im Autonomieparlament.

Politiker wegen „Wiederholungsgefahr“ für inexistente Delikte in U-Haft zu halten oder ihnen im Falle der Rückkehr mit Verhaftung zu drohen, ist ein politisches Manöver, um das Ergebnis demokratischer Wahlen auszuhebeln.

Was hier geschieht verdient nur einen Namen: politische Verfolgung. Puigdemont hat, wie auch die anderen Exilierten und Inhaftierten, das verfassungsmäßige Recht, Parlamentarier zu sein und sich für Ämter zu bewerben, solange er nicht verurteilt ist. Madrid muss diese Rechte gewähren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.