Kommentar Kameras im Gericht: Moderne Öffentlichkeit

Die Justizministerkonferenz wird sich für mehr Übertragungen aus Gerichtssälen aussprechen. Ein zaghafter, aber richtiger Schritt.

Kamera in einem Gerichtssaal in Albany, USA.

In den USA selbstverständlich: Kamera in einem Gerichtssaal in Albany im Bundesstaat New York. Foto: ap

Die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren birgt Risiken. Zeugen und andere Verfahrensbeteiligte könnten irritiert oder beeinflusst werden. Angeklagte stehen am Pranger.

Doch auch ohne Kameras kann es zu diesen Nebenwirkungen kommen. Freunde des Opfers und des Angeklagten sitzen im Publikum.Sie lachen, sie tuscheln, sie schauen feindselig. Auch Journalisten haben Zugang zu Prozessen. Am nächsten Tag stehen präzise Schilderungen in der Zeitung - oder auch ungenaue, falsche und hetzerische Artikel. Wenn erst jetzt vorgeschlagen würde, die Öffentlichkeit zu Gerichtsverhandlungen zuzulassen, gäbe es vermutlich viele Bedenken und keine Mehrheit.

Zum Glück wurde die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen schon in der Aufklärung durchgesetzt und gehört zum rechtsstaatlichen Standard, den niemand in Frage stellt. Die Öffentlichkeit steht dafür, dass die Justiz transparent ist, dass Richter nachvollziehbare Urteile sprechen. Die Justiz ist fehleranfällig, wie jedes menschliche Handeln. Als öffentliche Gewalt muss sie deshalb aber auch kritisierbar sein, im Kleinen wie im Großen. Voraussetzung hierfür ist die Öffentlichkeit.

Begriff und Formen der Öffentlichkeit sind aber nicht statisch. Vor 200 Jahren war der Journalist mit Stift und Block das Maß der Dinge. Inzwischen ist längst auch die Übertragung von Bildern und Tönen möglich. Sie weiter auszuschließen ist anachronistisch. Sie kann eigentlich nur begründet werden, indem das ganze Unbehagen an der Justiz-Öffentlichkeit auf die audiovisuellen Medien projiziert wird.

Nicht nur die Schlussabstimmung

Doch die Fronten sind so festgefahren, dass schon jede kleine Lockerung wie ein großer Fortschritt wirkt. Die Konferenz der Landesjustizminister schlägt heute in Stuttgart vor, dass künftig die Urteile der obersten Bundesgerichte übertragen werden können. Hier geht es oft um abstrakte Rechtsfragen, die der Rechtssetzung näher sind als einer Entscheidung von Einzelfällen. So gesehen wäre es aber konsequent, auch die Verhandlung zu übertragen. Im Bundestag ist ja auch nicht nur die Schlussabstimmung transparent.

Wenn man sich allerdings auf die Übertragung von Urteilen beschränken will, dann könnten auch die Urteile von wichtigen Strafverfahren in die Liberalisierung einbezogen werden. Denken wir nur an das Urteil im gerade abgeschlossenen Tugce-Prozess. Was der Richter hier über vorschnelle Wertungen der Öffentlichkeit sagte, war von großem allgemeinen Interesse. Und wie er dann erklärte, worauf es juristisch in diesem Fall wirklich ankam, das hat viele Fehlvorstellungen gerade gerückt.

Ein zweiter Reformvorschlag betrifft die Dokumentation von „Gerichtsverfahren mit herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung“. Auch dies ist zu begrüßen.

Historisches vom NSU-Prozess

Es ist ein historischer Gewinn, dass es zum Beispiel von den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen Bilder und Ton-Aufnahmen gibt. Auch der Schrecken des Freislerschen NS-Volksgerichtshof ist audiovisuell überliefert. Selbst von einigen RAF-Prozessen sind inzwischen aufschlussreiche Tondokumente aufgetaucht. Es wäre gut, wenn der Nachwelt auch das Vorgehen bei bedeutenden Verfahren wie dem NSU-Prozess in München im Original überliefert würde.

Dieser Vorschlag birgt allerdings am meisten Sprengstoff. Denn wenn die Aufnahmen erst mal in der Welt sind, wird man sie kaum für fünfzig Jahre wegschließen können. Anwälte und Journalisten werden auf Herausgabe klagen, um die Dokumente nutzen zu können. Das könnte noch spannend werden.

Eher eine Selbstverständlichkeit ist dagegen der dritte Reformvorschlag. Wenn das Prozessgeschehen bei großem Medienandrang in einen Nebenraum übertragen wird, ist dies gerade kein Rundfunk und deshalb eigentlich schon heute erlaubt. Nachdem aber das Oberlandesgericht München die „erweiterte Saalöffentlichkeit“ trotz großen Bedarfs abgelehnt hat, ist eine gesetzliche Klarstellung sinnvoll.

Die Vorschläge der Justizminister sind zwar halbherzig, aber immerhin ein Aufbruchsignal.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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