Kommentar Grüne Rhetorik und Realität: In Love with Habeck

Die Deutschen und Grünen-Chef Habeck – das passt gut. Doch die Ökopartei operiert in einem Widerspruch, über den zu wenig geredet wird.

Robert Habeck klatscht

Lässig, zugewandt und optimistisch: Robert Habeck ist der Mann der Stunde Foto: dpa

Die Deutschen und Robert Habeck, das ist Liebe. Der Vorsitzende der Grünen weckt gerade große Gefühle. Begeisterte BürgerInnen rennen der Partei die Bude ein, wenn Habeck auftritt. Journalisten – in der Tat: meistens Männer – schreiben ihn zum nächsten Kanzler hoch. Im Politbarometer verdrängte Habeck neulich Angela Merkel in der Liste der wichtigsten PolitikerInnen von Platz Eins, was eine groteske Kluft zwischen gefühlter und tatsächlicher Macht dokumentiert.

Habeck verkörpert die perfekte Mischung aus Zukunftsoptimismus, Zugewandtheit und Lässigkeit, die das Land aus der jahrelangen Merkel-Lethargie reißen könnte. Aber Verliebtheit, das wird manchmal vergessen, macht bekanntlich blind. Die coolen Grünen operieren in einem Dauerwiderspruch, über den zu wenig geredet wird. Habecks Alles-ist-möglich-Rhetorik erzeugt Erwartungen, die seine Partei in der realen Politik nicht erfüllt beziehungsweise erfüllen wird.

Habeck fordert im Bund mit großer Geste Enteignungen, um den Mietenirrsinn in Städten einzudämmen. Aber in Schleswig-Holstein, wo die Grünen zusammen mit CDU und FDP in einem Jamaika-Bündnis regieren, schaffen sie die Mietpreisbremse und die abgesenkte Kappungsgrenze für Mieterhöhungen vorzeitig ab. Kurz: Als Oppositionspartei im Bund präsentieren sie sich als Vorkämpfer für MieterInnenrechte, um sie in der Regierungspraxis zu planieren.

Die Liste solcher Beispiele ist lang. Wenn die Grünen mit den Konservativen regieren, wird ihr utopistischer Überschuss, von dem sie im Bund profitieren, in Windeseile zerrieben. Die Industriepolitik Winfried Kretschmanns unterscheidet sich nicht groß von der Konservativer. Das, was der Daimler will, ist in Baden-Württemberg heilig. In Hessen winken die Grünen, die selbst ernannte Bürgerrechtspartei, ein Gesetz durch, das der Polizei das Eindringen in Smartphones per Staats­trojaner erlaubt.

Es käme eine Art Öko-Groko

Im Bund sähe es in einer schwarz-grünen Koalition nicht anders aus: Annegret Kramp-Karrenbauer freut sich bestimmt schon darauf, mit den Grünen Hartz IV abzuschaffen, um eine sanktionsfreie, 30 Milliarden Euro teure Grundsicherung einzuführen. Und die humane Flüchtlingspolitik, die die Grünen fordern, wäre sicher der Knüller auf jedem CSU-Parteitag. Enteignungen mit der CDU? Selten so gelacht.

Im Ernst: Schwarz-Grün wäre eben nicht der gesellschaftliche Aufbruch, der Spirit, den Robert Habecks Prosa verspricht. Sondern ein Bündnis mühsam ausgehandelter, kleinteiliger Kompromisse mit riesigem Konfliktpotential. Schwarz-Grün wäre eine Art Öko-Groko. Sie würde ein paar mehr klimaschutzpolitische Akzente setzen als das aktuelle Bündnis, dafür gäbe es weniger Sozialpolitik, weil die SPD fehlte.

Als die Grünen 2017 über Jamaika verhandelten, wurde deutlich, wie niedrig ihre Schmerzgrenze liegt. Progressive Steuerpolitik, etwa die Vermögenssteuer, schmissen sie aus Rücksicht auf CDU und FDP von Anfang an in die Tonne. Glaubt man führenden Christdemokraten, waren die Grünen in der Flüchtlingspolitik bereit, einen Großteil ihrer Positionen abzuräumen. Das progressive Potential von Schwarz-Grün oder Jamaika wird also allgemein überschätzt, übrigens auch in der Klimaschutzpolitik.

Die SPD, die seit Jahren an der Seite der CDU regiert, bekommt die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ständig vorgehalten, durchaus zu Recht. Aber es ist schon bemerkenswert, dass die Geschmeidigkeit der Grünen im Moment komplett unter dem öffentlichen Radar bleibt.

Das eine versprechen, das andere tun

Dabei haben sie ja oft kein Problem damit, das eine zu versprechen und das andere zu tun. In Bayern haben sie sich über Markus Söders böse Sprüche empört („Asyltourismus“), dennoch hätten sie nach der Wahl liebend gern mit ihm koaliert. Bei der SPD würden Journalisten ein solches Verhalten schnell als Opportunismus beschreiben, bei den Grünen heißt es dann gerne, dass Pragmatismus eben nötig sei.

Damit hier kein Missverständnis entsteht: Eine Oppositionspartei muss natürlich ihr Profil schärfen, wo sie kann. Regieren – also: gestalten – ist allemal besser, als in der Opposition zu versauern. Und Kompromisse in einer Koalition sind nichts Verwerfliches, sondern der Treibstoff der Demokratie. Selbstverständlich müssen die Grünen über Schwarz-Grün nachdenken, wenn andere Machtoptionen ausfallen. Aber darauf hinweisen, dass die gerade zu besichtigende Verliebtheitsphase nicht ewig anhält, das darf man schon.

Dem aufregenden Flirt, dem ersten Rausch folgt zwangsläufig die Ernüchterung. Spätestens dann, wenn der Alltag gemanagt werden muss, wenn anstrengende Absprachen und Kompromisse anstehen, wenn Versprechen nicht eingehalten werden, dann erkennt man den wahren Charakter des oder der Angebeteten. Den Deutschen und Robert Habeck steht diese Ernüchterung noch bevor.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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